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Juristen: Das Leben ohne Prädikat

Der Traum vom Job in der Großkanzlei platzt für die meisten Juristen im Examen. Der Markt ist hart umkämpft. Ohne Topnoten hat man es schwer und verdient wenig.

Rund 100 000 Euro Einstiegsgehalt, bekannte Kunden, große Deals und Chancen auf den schnellen Aufstieg: Damit locken transatlantische Großkanzleien. Es ist neben dem Staatsdienst der Traumjob vieler Jura-Absolventen, aber nur die besten zehn Prozent erreichen ihn. Wer sein Studium nicht mit Prädikat in beiden Staatsexamina abschließt, muss sich seine Nische auf dem umkämpften Arbeitsmarkt mühsam suchen – und große Abstriche beim Gehalt hinnehmen.

Glücklich sind viele schon, wenn sie das Studium überhaupt abschließen. Beim ersten Staatsexamen fällt ein Drittel der Studenten durch, beim zweiten noch einmal ein Fünftel. Studieren frei nach der Philosophie „einfach nur bestehen“ reicht trotzdem noch lange nicht.

„Das Studium ist auch eine Prüfung, ob man dem Stress später standhält“, sagt der Anwalt Oliver Beetz. Denn was an der Universität anfängt, geht auf dem Arbeitsmarkt weiter. Jährlich schließen über 8000 Juristen das zweite Staatsexamen ab. Offene Stellen sind hart umkämpft. Auf 670 Stellenangebote kamen im Februar 6100 arbeitslose Juristen, fast 600 mehr als in den Jahren zuvor.

Umso seltener sind die Chancen auf eine Stelle in einer Großkanzlei. Wer deren hohe Anforderungen nicht erfüllt, dem bleibt oft nur, bei einer kleineren Kanzlei anzuheuern. Hier gibt es mehr Stellen, der Kontakt zu Mandanten ist enger. Die Kehrseite: „Während sich Großkanzleien bei den Einstiegsgehältern teilweise gegenseitig übertrumpfen, sind kleinere Kanzleien deutlich zurückhaltender“, sagt Heike Friedrichsen von der Vergütungsberatung Personalmarkt.

Das liegt zuweilen auch an deren Finanzlage. Gerade Berufseinsteiger würden oft ausgenutzt, wie ein junger Anwalt berichtet. Seinen Namen möchte er nicht nennen, um seine Karriere nicht zu gefährden. „Viele werden über den Tisch gezogen. Kleine und mittlere Kanzleien lassen Anfänger häufig in Scheinselbstständigkeit arbeiten oder locken mit Beteiligungen“, sagt er.

Am Ende sei es meist nicht weit her mit den Versprechen. Dem Anwalt ist das passiert: Nach einiger Zeit als Angestellter wurde ihm gekündigt – und im selben Atemzug eine freie Mitarbeit angeboten. Die mangelnde Erfahrung der Absolventen macht solch ein Verhalten erst möglich. „Man kommt mit einem unerschütterlichen Rechtsgedanken von der Uni und kann sich gar nicht vorstellen, dass es in diesem Beruf schwarze Schafe gibt“, sagt der Jurist, „aber die gibt es definitiv“.

Rechtsanwalt Beetz ist lieber sein eigener Chef geworden. Allein oder im Team eine Kanzlei zu gründen, ist für viele Absolventen der einzige Weg. Einfach ist der freilich nicht. Vor einem Jahr hat der 37-Jährige sein Büro in Frankfurt eröffnet. Seine Nische heißt Service. Er geht selbst ans Telefon, fährt zu den Mandanten, ist so viel mehr Gesprächspartner als viele Kollegen. Er hört auch zu, wenn sich Mandanten ihren Kummer von der Seele reden. „Man ist zum Teil auch Psychologe“, sagt er. Mit seiner Arbeit ist er jetzt glücklich, doch finanziell sieht es mager aus: Gerade fängt er an, überhaupt Gewinn zu machen. Bis eine neue Kanzlei rentabel ist, dauert es meist mehrere Jahre.

Laut dem Trendence Institut erwartet die High Potentials unter den Jura-Absolventen im Durchschnitt ein Einstiegsgehalt von 67 000 Euro. Dafür sind sie bereit, 53 Stunden in der Woche zu arbeiten. Um seine Kanzlei voranzubringen, sagt Beetz, müsste der Tag 26 Stunden haben. Hinzu kommt die große Verantwortung, die er trägt. „Mandanten legen existenzielle Teile ihres Lebens in die Hände des Juristen.“

Bisher hat er es immer geschafft, Zeit für sein großes Hobby rauszuschlagen: den lateinamerikanischen Tanz. Seit er die Kanzlei gegründet hat, ist es vorbei mit den internationalen Wettbewerben. Nur Schiedsrichter ist er manchmal noch, am Wochenende, wenn er seine Anwaltskanzlei zusperrt. (HB)

Annika Reinert

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