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© dpa

Krankenhaus: Besondere Patienten

Kranke aus anderen Kulturen haben ganz eigene Bedürfnisse. Das Personal sollte sie kennen.

Wenn sich ein Muslim das Bein bricht und im Krankenhaus landet, kann der gewöhnliche deutsche Mitpatient schnell neidisch werden. Muslime bekommen nämlich viel Besuch. Es gilt als Ehre, einen Kranken zu besuchen – und so stehen schon mal zwanzig Verwandte und Bekannte um das Bett herum. „Mit solchen Situationen muss das Pflegepersonal umgehen können, denn die Zahl der Patienten mit Migrationshintergrund wächst“, sagt Ulrich Söding, Ausbildungsleiter der Berliner Vivantes-Kliniken. Umgekehrt ist nicht alles im deutschen Klinikalltag auch für Patienten aus anderen Kultur selbstverständlich. Damit sich Personal und Kranke trotzdem verstehen und die Patienten die besten Aussichten auf Heilung haben, bemühen sich Kliniken zunehmend um eine „kultursensible“ Pflege.

Vivantes geht dieses Thema von zwei Seiten an. So bemüht sich Söding seit gut vier Jahren um junge Auszubildende mit Migrationshintergrund, die sich gut in die Situation migrantischer Patienten einfühlen können. Dank einer Kooperation mit dem Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste konnte er bislang 25 junge Migranten für eine Pflegeausbildung gewinnen. Die ersten haben ihre Lehre erfolgreich abgeschlossen.

Wie dringend diese jungen Leute gebraucht werden, fällt im Klinikalltag sofort ins Auge – allein schon dadurch, dass sie mit den Patienten in ihrer Muttersprache reden können. Auch das Verständnis für kulturelle Besonderheiten sei größer, wenn man sie aus der eigenen Familie kenne, weiß Söding. So ist körperliche Nähe für viele Patienten eine Zumutung, im Pflegeberuf aber unumgänglich. „Hier geht es darum, Vertrauen zum Patienten zu gewinnen.“

Da aber die meisten Kranken- und Altenpfleger hierzulande aufgewachsen sind, müssen sie erst lernen, auf die Bedürfnisse von Patienten aus anderen Ländern einzugehen. „Interkulturelle Pflege“ steht deshalb auf dem Lehrplan für alle Auszubildenden der Vivantes-Kliniken. Zwei Tage lernen die jungen Leute, sich mit eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Sie erhalten eine Einführung in die religiösen Vorstellungen verschiedener Patientengruppen und in migrationstypische Erkrankungen. „Außerdem geht es zum Beispiel um Sterberituale“, sagt Erika Hamann, die den Fachbereich Krankenpflege leitet. So sollen verstorbene Muslime gleich nach dem Tod mit dem Gesicht in Richtung Mekka, also südöstlich, ausgerichtet werden. „Leider haben wir noch keine einzige türkische Lehrkraft“, sagt Hamann. „Interkulturelle Pflege ist ein wichtiges Thema, aber wir stehen damit noch ziemlich am Anfang.“

Auch bei Weiterbildungsinstituten gibt es bislang wenig Angebote zum Thema. Wer dennoch mit einer solchen Qualifizierung aufwarten kann, ist klar im Vorteil. Denn immer mehr Migranten kommen in ein Alter, in dem sie Pflege in Anspruch nehmen müssen. Auch die erste Einwanderer-Generation aus der Türkei ist inzwischen ins Rentenalter gekommen. An sie richtet sich das Türk Bakim Evi in Kreuzberg, Deutschlands erstes Altenpflegeheim für türkische Senioren. Dort gibt es Freitagsgebete, Kost ohne Schweinefleisch und einen nach Südosten ausgerichteten Gebetsraum. Für die Intimpflege sorgt ausschließlich Personal des gleichen Geschlechts.

Interkulturelles Verständnis ist aber nicht nur im Umgang mit Bewohnern und Patienten wichtig. Auch das medizinische Personal wird immer „bunter“. „Viele Ärzte kommen zum Beispiel aus Osteuropa oder Griechenland in deutsche Kliniken“, sagt Irena Angelovski, die mit ihrer Firma „komMedicus“ Trainings zu Integration und Kommunikation im Gesundheitswesen anbietet. Die oft sehr jungen Mediziner seien zwar hochgebildet. Viele hätten aber das Gefühl, im Klinikalltag nicht mithalten zu können. „Dort fehlt einfach die Zeit, sich mit ihnen hinzusetzen und Dinge wie zum Beispiel das Verfassen von Arztbriefen auf Deutsch zu üben“, so Angelovski.

In ihren Seminaren – einer Mischung aus Präsenz- und Online-Trainings – geht es auch um Themen wie das deutsche Gesundheitssystem, Patientenverfügungen oder typische deutsche Redewendungen. Wie etwa den beliebten Spruch „Das ist mir an die Nieren gegangen“ – der nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass mit dem betreffenden Organ etwas nicht in Ordnung ist. Anne Meyer

Anne Meyer

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