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LERNWEG: Fleiß zahlt sich aus

Fremdsprachen sind der Grundstein für jede Karriere. Für Chinesisch braucht man viel Zeit. Wer es spricht, ist der Konkurrenz meilenweit voraus

Nur 411 Silben, vier Tonlagen. Das war''s. Mehr Laute kennt die chinesische Sprache nicht. Mit der Grammatik sieht es ähnlich aus: Ein Wort kann Adjektiv, Präposition, Verb oder Nomen sein. Es gibt keine Deklination, keine Konjugation, kein Geschlecht, keinen Plural, keine Zeiten. Chinesen selbst sagen von ihrer Sprache sogar, sie habe gar keine Grammatik. „Es gibt Tage, da denkt man, es gibt nur zehn verschiedene Silben und alles hört sich gleich an“, sagt Wanja Halmschlag, der zurzeit intensiv am Landesspracheninstitut in Bochum (LSI) gesprochenes Chinesisch büffelt.

Im Mai setzt der Stipendiat des Heinz-Nixdorf-Programms seinen Sprachkurs im chinesischen Jinan fort. Er ahnt: Im Land wird seine Fähigkeit, sich auf ein völlig fremdes Sprach- und Denksystem einzulassen, noch stärker gefordert. Die meisten Chinesen sprechen zwar Hochchinesisch, doch vor allem im Süden reduzieren sie die Zahl der Zischlaute und damit die ohnehin geringe Anzahl der Silben noch einmal erheblich und verschleifen die vier Töne. Zudem haben sie die ärgerliche Angewohnheit, mehrsilbige Wendungen zu verkürzen. Jeder Ausländer kommt an den Punkt, an dem alles nur noch nach Ching-Chang-Chung klingt.

Doch davon lässt sich Wanja Halmschlag nicht abhalten. Und er folgt einem Trend: Chinesisch wird an bald 200 deutschen Schulen gelehrt und ist zum Abiturfach avanciert. An Hochschulen entstehen Studiengänge mit Chinesisch-Bausteinen. Deutsche strömen zum Praktikum in die Volksrepublik. China eröffnet weltweit Konfuzius-Institute zur Verbreitung seiner Sprache und Kultur. Was 1,3 Milliarden Menschen im Land und weitere 40 Millionen Auslandschinesen sprechen, kann keine Nebensächlichkeit sein, ist das Kalkül der Chinesisch-Lernenden. 40 Millionen sollen es weltweit sein.

„Chinesisch ist die Sprache der Gegenwart, nicht die Sprache der Zukunft", sagt Peter Hachenberg, Leiter des KonfuziusInstituts Düsseldorf. Doch mit der Welle der Chinesisch-Lernenden sind auch die Zeiten vorbei, in denen schon ein paar Brocken Chinesisch im Lebenslauf ein Alleinstellungsmerkmal bedeuteten.

Deutschlands Vorzeige-Sinologe, der ehemalige Postminister Christian Schwarz-Schilling, studierte in den 50er-Jahren. Er beherrscht 3000 Schriftzeichen und verständigte sich im Land während der Verhandlungspausen mittels schriftlicher Konfuzius-Zitate. „Das öffnete mir alle Türen, so habe ich schnell ein Vertrauensverhältnis aufgebaut“, sagt er. Unterhalten konnte er sich nicht, denn Chinesisch sprechen sah das Sinologie-Studium damals nicht vor. Heute ist der Zugang zur lebendigen chinesischen Sprache weitaus leichter. Wer sich von der Masse der Jobsuchenden abheben will, lernt Chinesisch intensiv – meist im Nebenfach zu einem sozialwissenschaftlichen, Ingenieur- oder Jura-Studium, wie OlympiaFechterin Britta Heidemann (siehe Foto), die inzwischen Fachliteratur im Original liest.

Noch wirken sich Chinesisch-Kenntnisse kaum auf das Gehalt aus, doch sie sind bereits ausschlaggebend dafür, ob ein Bewerber den Zuschlag zu einem Job mit China-Bezug bekommt. „China wird gestärkt aus der Krise hervorgehen und sich anders als vorher auf seinen Binnenmarkt ausrichten“, sagt Markus Taube, Leiter der Ostasienwirtschaft der Uni Duisburg-Essen. Der riesige Markt biete Chancen für deutsche Unternehmen. „Bei den meisten deutschen Mittelständlern in China wird es weiter zwei, drei Positionen für Chinesisch sprechende Deutsche geben.“ Ohne Sprachkenntnisse blieben wichtige Informationsquellen verschlossen.

„Die einzig wahre interkulturelle Vorbereitung ist Sprachunterricht“, sagt Manfred Frühauf, Leiter des Sinicums am LSI. Gesprochenes Chinesisch sei zwar konkurrenzlos einfach, doch wer eine europäische Sprache lerne, könne schon vor der ersten Stunde 2000 Vokabeln. Beim Chinesischen tendiert das gemeinsame Wissen gegen null – für viele ein Schock und eine große psychologische Hürde. Selbst die lautmalerische Umschreibung westlicher Namen ist schlichtweg nicht mehr zu erkennen: Goethe wird zu Gede, Shakespeare mutiert zu Shashibiya. Auch die vier Töne sind gewöhnungsbedürftig: Die Silbe „wen“ beispielsweise bedeutet – je nach Betonung – schnuppern, küssen, aufwärmen oder fragen. Hinzu kommt die dritte Dimension: Chinesische Vokabelkarten müssten eigentlich drei Seiten haben, denn neben Pinyin, der gesprochenen Sprache mit Tönen, gibt es die Schriftzeichen.

Was es heißt, Chinesisch zu schreiben, macht eine Schreibmaschine in der Größe eines Umzugskartons deutlich. Manfred Frühaufs Augen leuchten, wenn er das Baumwolldeckchen von dem Gerät zieht, das in einem Abstellraum des LSI steht. „Auf dieser Maschine haben wir die ersten Textbücher geschrieben“, erzählt er. 2000 Schriftzeichen sind in einem Schriftsatz angeordnet. So viele braucht man mindestens, um eine Zeitung zu lesen. Jedes Zeichen steht für eine Silbe und trägt eine Bedeutung. Die Maschine hat Zusatzkästen – schließlich gibt es 40 000 Zeichen. Was das gesprochene Chinesisch an Einfachheit und Vieldeutigkeit bietet, macht die Schrift an Komplexität und Präzision wett. Das Schlimmste: Pro Tag kann man sich gerade mal drei Zeichen merken, sagt Frühauf. Mehr geht nicht.

„Ich habe mir durch die chinesischen Zeichen ein sehr gutes optisches Gedächtnis antrainiert“, erzählt Christian Schwarz-Schilling, der im Studium stapelweise Hefte mit Zeichen vollschrieb. Zunächst mit Kuli, dann mit Pinsel und Tusche. Doch was der Ex-Minister als ästhetischen Genuss preist, schaffen Studierende in Zeiten straffer Bachelor- und Masterprogramme schlicht nicht mehr.

Wer wenig Zeit hat, solle sich genau überlegen, wofür er Chinesisch brauche, rät Frühauf. Sein Institut wagte in den 80er-Jahren die Revolution und begann, gesprochenes Chinesisch ohne Schrift zu lehren. Heute ist das LSI die erste Anlaufstelle für Menschen auf dem Sprung nach China. Es heißt, drei Wochen in Bochum kämen drei Semestern an so mancher Uni gleich. Wer für eine große Firma nach China geht, verhandele dort auf Englisch und verwende seine spärliche Zeit besser für die gesprochene Sprache, rät Frühauf. Wer aber bei einem mittelständischen oder chinesischen Unternehmen arbeiten will, braucht die Schrift.

Das weiß auch Jessica Efevberha. Die deutsche Studentin ist sprachgewandt, ihr Vater stammt aus Nigeria. Seit Herbst lernt sie an Schanghais renommierter Tongji-Universität. Pro Tag hat sie vier Stunden Unterricht, in ihrer Freizeit lernt sie drei Stunden. „90 Prozent meiner Zeit verbringe ich mit dem Wiederholen von Schriftzeichen. Leider sind mir die Eselsbrücken schon lange ausgegangen.“ Nach ihrem ersten Jahr will sie die HSK-Prüfung machen, das Gegenstück zum Englischtest TOEFL. Der Unterschied: Er ist nicht so etabliert.

Immerhin: Das Lernen der Schrift ist durch Computer und Handys einfacher geworden. Wenn Chinesen eine SMS verschicken, geben sie die Lautschrift Pinyin ein und wählen aus vorgeschlagenen Schriftzeichen aus. „Der Computer hat die chinesische Schrift gerettet“, sagt Frühauf. Eine Herausforderung bleibt sie trotzdem.

Mehr zu dem Thema finden Sie in der Mai-Ausgabe des Magazins „Junge Karriere“

Mit elf Jahren war Britta Heidemann zum ersten Mal in China. Danach begann sie in einer Sprachschule Chinesisch zu lernen. Chinesisch sprechen hat sie erst in der elften Klasse gelernt, als sie drei Monate Gastschülerin in Peking war. Mit 18 machte sie ein dreimonatiges Praktikum bei Bayer Peking im Controlling, mit 22 ein weiteres in der PR-Abteilung.

Nach der Schulzeit konnte sie sprechen, aber keine Schriftzeichen lesen. Damit begann sie an der Uni. Zunächst konnte sie chinesische Bücher lesen, aber nicht schreiben.

Vor der ersten schriftlichen Prüfung hat sie in kurzer Zeit viele Schriftzeichen gelernt. Sie hat sie täglich hundertfach wiederholt. Inzwischen weiß sie, wie die meisten Zeichen gelesen werden, auch wenn sie ihre Bedeutung nicht kennt. Chinesisch lesen hat für sie etwas von Kreuzworträtsel-Raten: Man wisse nie, wo ein Wort anfängt und wo es aufhört.

Jetzt schreibt die Leistungssportlerin ihre Diplomarbeit über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Windkraftindustrie in China – und liest dazu chinesische Quellen. Neben dem Studium arbeitet Britta Heidemann freiberuflich in einer Strategieberatung, die deutsche Firmen berät, die planen, in China zu investieren. Astrid Oldekop

Astrid Oldekop

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