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Dieter Zetsche

© dpa

Naturwissenschaftler: Ingenieure an die Macht

Wer Karriere im Unternehmen machen will, muss nicht Jura oder BWL studieren. Auch Naturwissenschaftler haben das Zeug zum Manager. Vorausgesetzt, sie sind motiviert, können Mitarbeiter führen und Kunden werben.

"Kluger Kopf, aber schickt ihn bloß nicht raus zum Kunden." Damit kann nur ein Ingenieur oder Naturwissenschaftler gemeint sein. Dass Techniker, Chemiker und Physiker mit Systemen, Stoffen und Symmetrien besser umgehen können als mit Kollegen, Kunden und Kleiderordnungen, dieses Image hält sich hartnäckig. Zu Unrecht, findet einer, der es wissen muss: "Die Kompetenz einer Führungskraft hängt vor allem von der eigenen Persönlichkeit und nicht vom Studienfach ab", sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche, der selber Elektrotechnik in Karlsruhe studierte und es damit an die Spitze eines der größten deutschen Automobilkonzerne geschafft hat. Und im Führungsolymp der Dax-Konzerne ist der Ingenieur nicht alleine.

Die vermeintliche Erfolgsformel - BWL- oder Jura-Studium gleich erfolgreiche Karriere -, an die nach wie vor viele unschlüssige Erstsemester glauben, scheint nicht aufzugehen. Nur 13 von 30 Dax-Vorstandsvorsitzenden sind Betriebswirte oder Juristen. Fast ebenso viele, nämlich 14, haben einen Abschluss als Ingenieur oder Naturwissenschaftler. Drei brachten es sogar ganz ohne Hochschulexamen an die Spitze. Und auch bei den gut 200 Vorstandsmitgliedern der 30 größten deutschen Unternehmen sieht es ähnlich aus: Nur 45 Prozent haben ein typisches Wirtschaftsstudium absolviert, 22 Prozent sind Ingenieure und 14 Prozent haben Mathematik, Physik, Biologie, Chemie oder eine andere Naturwissenschaft studiert. Nach reinen Geisteswissenschaftlern sucht man dagegen vergeblich.

Dass die logischen Denker mit den analytischen Fähigkeiten nicht nur im Labor und im Bundeskanzleramt sitzen, wie die promovierte Physikerin Angela Merkel, sondern auch in der Wirtschaft bahnbrechende Lösungen entwickeln können, davon ist Just Schürmann, 39, überzeugt. Der Geschäftsführer der Boston Consulting Group (BCG) ist für die Nachwuchssuche zuständig. Schürmann lädt gerne Nicht-BWLer zu Recruiting-Workshops ein, weil er weiß: "Naturwissenschaftler und Ingenieure haben gelernt, komplexe Zusammenhänge tiefgehend zu verstehen."

Besonders ihr hypothesengetriebenes Vorgehen und ihr Denken in Modellen macht sie für die Wirtschaft interessant, gerade in einer Führungsposition. Dazu kommen müssten natürlich BWL-Basics, ohne die schaffe es auch der klügste Physiker nicht an die Spitze, so Schürmann: "Das sollte man aber nicht überbewerten. Ehrlich gesagt ist es für mich als Wirtschaftswissenschaftler manchmal frustrierend: Ich kann zwar immer noch besser eine Bilanz lesen, aber die Kollegen Ingenieure und Naturwissenschaftler eignen sich oft erstaunlich schnell die praxisrelevanten Themen an, die ich in fünf Jahren Studium mitgenommen habe."

Auch Personalberater und Ingenieur Burkhard Kemmann empfiehlt, das Fach zu wählen, zu dem man sich berufen fühlt: "Wer schon immer gerne an Autos geschraubt hat, der studiere bitte nicht BWL, sondern werde Ingenieur. Schließlich kann nur der Spitzenleistungen bringen, der überdurchschnittlich gut ist, sich also zu 100 Prozent mit dem, was er tut, identifiziert." Außerdem sind gerade für Führungskräfte Branchenkenntnisse und Fachwissen unerlässlich.

Just Schürmann sieht in der Wahl der Studienrichtung nur eine Komponente auf dem Weg zum guten Manager. "Wir haben sogar zehn Prozent Geistes- und Sozialwissenschaftler bei BCG in Deutschland. Von denen erwartet man ja gemeinhin nicht, dass ihre Fachwahl sie zu Managern in Unternehmen prädestiniert."

BWL gepaart mit Zielstrebigkeit gleich steile Führungskarriere, diese Gleichung gilt jedenfalls nur für den, der die Wirtschaftslehre mit Passion studiert. Da es ganz ohne Führungs- und Finanzwissen für keine Führungskraft geht, raten die Experten allen anderen, seien es Ingenieure, Mediziner, Natur- oder auch Geisteswissenschaftler, sich selber um entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu kümmern. Denn Vorlesungen in BWL, Management und Unternehmensführung sind in den Lehrplänen der meisten Natur- und Ingenieurwissenschaften rar gesät. Eine löbliche Ausnahme bilden die immer beliebter werdenden Kombi-Studiengänge wie zum Beispiel Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik oder Bio- oder Wirtschaftsphysik.

Doch selbst mit der richtigen Fächerwahl und den notwendigen Zusatzqualifikationen stehen nicht jedem automatisch alle Türen offen. Daimler-Chef Zetsche ist nicht der einzige, der "dem Faktor Mensch" eine maßgebliche Rolle zuweist, wenn es um Führungsverantwortung geht. Zum strategischen Wissen eines Managers muss sich ein gutes Gespür für die Organisation und die Menschen darin gesellen.

Und das ist häufig das Problem: "Oft fehlt es gerade analytischen Denkern an Fingerspitzengefühl für Menschen", sagt Burkhard Kemmann und spricht aus eigener Erfahrung. "Meine ersten Tage im Beruf waren furchtbar. Die zwischenmenschliche Komponente im Unternehmen, die Informationen, wer mit wem welche Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht hatte, welche ungeschriebenen Gesetze herrschen, all das war mir völlig fremd. Und mehr noch: Ich fand Fragen wie diese bis dahin unbedeutend."

Claus Biederbick, 35, Dozent und Geschäftsführer der Metaku GmbH mit 30 Mitarbeitern im nordhessischen Breuna, kennt als Wirtschaftsinformatiker die eine wie die andere Seite. Seine Erfahrung: Die Vorurteile über Ingenieure kämen nicht von ungefähr. Viele würden einfach nicht erkennen, dass derjenige, der gehört werden will, sich präsentieren müsse. So manche verschlungene Karriere seiner Kommilitonen und ehemaligen Studenten belege das, erklärt Biederbick und fügt hinzu: "Böse könnte man sagen, die sozialen Kompetenzen, die man auf LAN-Partys erwirbt, sind einfach begrenzt. Und dass bedauerlicherweise kaum Frauen diese Fächer studieren, fördert auch nicht gerade das zwischenmenschliche Feingefühl, das man für einen Managementposten so dringend braucht."

Ohne einen Blick über den Tellerrand des eigenen Studienfachs geht es nicht. Ob es ambitionierte Techniker und Forscher in die Führungsetagen schaffen, hängt letztlich davon ab, ob sie nicht nur die betriebswirtschaftlichen, sondern vor allem auch die so genannten Soft Skills entwickeln, die zunehmend erwartet und gefordert werden. Und weil sich Disziplin, Höflichkeit, Motivation, sprachliche Kompetenz, Selbstständigkeit und Teamfähigkeit nicht studieren und schon gar nicht kaufen lassen, muss man sie auf andere Art erwerben. "Glück haben Absolventen, die etwa in Familie, Jugendgruppen oder beim Sport soziales Verhalten erlernt haben. Da kann man quasi beiläufig sehr viel über Führung, Motivation und den Umgang mit Menschen erfahren", sagt Personalberater Kemmann. Wichtig sei aber auch die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen.

Die Biologin Kerstin Scheidt hat keine Angst vor unbekannten Welten. Die 27-Jährige möchte nach ihrer Promotion am Max-Planck-Institut in Martinsried in die Wirtschaft. Dort soll sich die lange Zeit, die sie in ihre Fachausbildung investiert hat, endlich auszahlen, auch finanziell. Doch das ist, auch mit hervorragenden Noten, gar nicht so einfach. "Wenn wir in unserem verschulten Studium etwas über Führung lernen wollen, dann sind wir ganz auf Eigeninitiative angewiesen. Wer sich in dieser Richtung anderswo weiterbilden will, muss in der Regel einen Teil seiner Vorlesungen und Seminare schwänzen", sagt die junge Forscherin.

Eine Chance, auch ihre Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen, erhielt die Münchner Biologin beim Recruiting-Workshop "Naturwissenschaftler sind die besseren Manager", den das Beratungsunternehmen BCG regelmäßig veranstaltet, um neue Talente außerhalb der üblichen Beraterfächer BWL und Jura zu finden.

Der Einblick in die fremde Sphäre der Berater hat die Fachfrau für hybride neuroelektronische Systeme in ihren Karriereplänen bestätigt. Um ihre Soft Skills macht sich Kerstin Scheidt keine Sorgen. Diese trainierte die Doktorandin unter anderem als Öffentlichkeitsbeauftragte ihrer Forschungsabteilung, für die sie unter anderem Events organisierte und Kontakte zu den Medien herstellte. "Das zwang mich, mit ganz verschiedenen Menschen verständlich und trotzdem kompetent und überzeugend über unsere Arbeit zu sprechen."

Für alle Naturwissenschaftler und Ingenieure, deren soziale Kompetenz weniger trainiert und noch nicht ganz reif für die Welt des Managements ist, hat Dozent und Geschäftsführer Claus Biederbick trotzdem ein Trostpflaster parat: "Ein genialer Kopf hat nicht selten auch Humor und Geist - und mit diesen Eigenschaften ausgestattet, darf man auch ein bisschen schrullig daherkommen."

Beitrag aus dem Magazin "Junge Karriere"

Stefanie Hadding

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