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Öko-Visionen: Neue, grüne Welt

Klimaschutz zahlt sich aus: Die Umweltindustrie verändert die gesamte Wirtschaft und entwickelt sich zur Leitbranche. Der Wandel bringt neue Berufe und zahlreiche Jobs

Zum Schluss ihrer Führung durch den Supermarkt steuert Babette Nitschke auf die Drogerieartikel zu. Sie geht am Weinregal entlang, biegt links und gleich wieder rechts ab. Bei den Handcremes hält sie und schiebt eine Packung beiseite. Die großen Neuerungen hat sie bereits erklärt, und damit das grüne Gewissen von Tengelmann aufgezeigt: die Solarzellen auf dem Dach, die automatisierte Lichtsteuerung, die Türen an den Kühltheken.

Jetzt geht''s ins Detail. „Diese Luftschlitze in den Regalböden hier, die sind auch sehr wichtig“, sagt sie. „Sehen Sie? Durch diese Schlitze musste früher die Abluft der Beleuchtung entweichen. Sie hätte sonst den Shampoos und Parfüms geschadet. Jetzt sind sie überflüssig!“ Es sind LED-Lampen, die kaum Wärme abgeben.

Im Mülheimer Tengelmann in der Wissollstraße 60 ist einiges anders. Sechs Sonden liefern Erdwärme aus 130 Metern Tiefe, die Abwärme der Kühlschränke heizt die Nebenräume, die Luftzufuhr ist abhängig von der Zahl der Kunden, eine Zisterne fängt Regenwasser auf. Volumen: 100 000 Liter.

Zwei Monate lang wurde der Supermarkt umgebaut. Jetzt heißt er „Klimamarkt“ und verbraucht nur noch halb so viel Energie. „Wir wollen zeigen, was technisch alles möglich ist“, sagt Nitschke. Bis zu dreimal pro Woche führt sie Kunden, Klassen und Gäste von der Konkurrenz durch den bundesweit einmaligen Markt. 2010 will der Handelskonzern Bilanz ziehen und entscheiden, ob weitere Filialen zu Klimamärkten umgebaut werden.

Der Klimaschutz ist in der Wirtschaft angekommen. „Es herrscht Aufbruchstimmung in Deutschland“, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert, die die Weltbank und die Vereinten Nationen berät und an der Humboldt-Universität in Berlin lehrt. „In den Chefetagen passiert sehr viel.“ Baufirmen spezialisieren sich auf energiesparende Dämmtechniken, Fondsmanager investieren in nachhaltige Aktien, Telefonhersteller entwickeln Solarhandys, Logistiker rechnen durch, welche Verkehre am meisten Kohlendioxid einsparen.

Vier Prozent trug die Umweltwirtschaft im Jahr 2005 zum Gesamtumsatz der deutschen Industrie bei. Bis 2030 wird der Anteil laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger auf 16 Prozent wachsen. Die Branche würde damit die bis dato führenden Branchen Fahrzeug- und Maschinenbau übertreffen und zur Leitindustrie des 21. Jahrhunderts aufsteigen. Bereits heute zählt sie knapp zwei Millionen Beschäftigte. Umweltminister Sigmar Gabriel spricht von der „dritten industriellen Revolution“.

In Deutschland hat man früh vorgemacht, wie man auf den Klimawandel reagieren sollte. Das Bewusstsein für die Natur ist hierzulande traditionell stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Hinzu kam die Umweltpolitik, die maßgeblich von den Grünen geprägt wurde. Schon in den 80er-Jahren entstanden neue Verordnungen und Gesetze, etwa zum verschärften Luft- und Gewässerschutz. Die Wirtschaft klagte über die Auflagen, rüstete ihre Anlagen und Schornsteine aber um und erfand neue Produkte. „Der ordnungspolitische Rahmen hat dafür gesorgt, dass die deutsche Umweltindustrie zu den weltweit führenden zählt“, sagt Kemfert.

In dieser Zeit wurde auch der Grundstein für den Boom der erneuerbaren Energien gelegt: das Stromeinspeisegesetz. 1990 wurde es beschlossen. Es versprach jedem, den Strom aus einer Solarzelle oder einem Windrad einspeisen zu dürfen. Die Höhe der Vergütung wurde ebenfalls festgelegt und regelte, dass sich die Investitionen auszahlen. Was damals unbeachtet von der Öffentlichkeit eingeführt wurde, ist für die Unternehmen heute – dank der staatlichen Subventionen – ein lukratives Geschäft. Der Anteil der erneuerbaren Energien liegt in Deutschland bei 15 Prozent. Bis 2020 soll er 30 Prozent betragen. So ist es politisch gewollt.

Es ist ein ehrgeiziger Plan, aber einer, der machbar ist, sagt Norbert Giese, der Leiter des Offshore-Geschäfts beim Windrad-Hersteller Repower. Damit er in Erfüllung geht, errichtet Giese zusammen mit Partnerunternehmen derzeit Deutschlands ersten Windpark auf hoher See. Eröffnet werden soll „Alpha Ventus“ im Sommer, 45 Kilometer nördlich von Borkum. Wie viele neue Mitarbeiter er benötige? „Viele“, sagt Norbert Giese.

„Die meisten Firmen im Klimaschutz sind jung, es dominiert Projektarbeit, die Hierarchien sind flach“, sagt Theo Bühler, Geschäftsführer des Wissenschaftsladens Bonn. „Das ist reizvoll für Absolventen, man kann sich stärker einbringen als in etablierten Berufen.“ Andererseits: Weil die Firmen sich entwickeln, suchen sie Mitarbeiter mit Berufserfahrung. Wer die mitbringt, wegen der starken Internationalisierung Englisch spricht und teamfähig ist, hat gute Aussichten, sagt Bühler.

Sein Verein untersucht jede Woche die grünen Stellenanzeigen in knapp hundert Zeitungen und Onlinediensten. Besonders bei den erneuerbaren Energien war das Angebot 2008 groß, sagt er. Sie wuchsen um 23 Prozent. Vor allem Ingenieure sind gesucht: In einem Drittel der Anzeigen suchten Firmen Bau-, Verfahrens- und Wirtschaftsingenieure. Sie zählten ebenso zu den Gewinnern wie Chemiker, Verfahrenstechniker und Elektrotechniker. Aber auch Wirtschaftswissenschaftler, Journalisten, Soziologen und Juristen sind gefragt. Ihr Anteil beträgt mehr als 20 Prozent.

Der Markt entwickelt sich rasant. Um die richtige Zukunftsstrategie ringen inzwischen Konzerne und Nationen. Japan, Frankreich, Italien – alle investieren. Norwegen und Costa Rica haben angekündigt, die ersten Kohlendioxid-neutralen Länder werden zu wollen. Und auch der Heilige Stuhl wird grün. Der Vatikan will eine Solaranlage bauen lassen, die 130 000 Menschen mit Strom versorgen könnte. Da der Kirchenstaat nur etwa 750 Einwohner hat, soll der überschüssige Strom verkauft werden. Selbst Papst Benedikt XVI. merkt: In den grünen Märkten liegt die Zukunft.

Den vollständigen Artikel finden Sie im Internet unter www.karriere.de.

Marc Winkelmann

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