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Organisationsaufstellung: Von der Randfigur zum Mitspieler

Wie Teams und Unternehmen mit einer Systemaufstellung verborgenen Strukturen auf die Schliche kommen.

Der „Neue“ steht allein und ziemlich unsicher in einer Ecke, während sich seine drei Kollegen in einem Grüppchen mitten im Raum aufgebaut haben, breitbeinig und angriffslustig. Am anderen Ende des Zimmers steht die Chefin. Ihrem Team hat sie den Rücken zugewandt und widmet sich ganz dem Kunden, der ihr mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn gegenübersteht.

Derjenige, der allen Beteiligten ihre Positionen im Raum zugewiesen hat, tritt einen Schritt zurück, betrachtet sein Werk und nickt schließlich. Ja, genau so läuft es Tag für Tag bei ihm im Betrieb. Und der da hinten in der Ecke, das ist er selbst.

Organisationsaufstellung heißt eine Methode, mit der man seit einigen Jahren den inneren Strukturen und Beziehungsgeflechten in Unternehmen und Organisationen auf die Spur kommen will. Ihre Ursprünge hat sie in der Familienaufstellung, einem in Deutschland von Bert Hellinger entwickelten Verfahren aus der Familientherapie. Heute wird das Konzept der systemischen Aufstellung – so genannt weil es dabei um die Darstellung von Strukturen innerhalb eines Systems geht – von vielen Coachs und Beratern auch als Unterstützung für all jene angeboten, die ein berufliches Problem lösen oder sich Klarheit über ihre Position verschaffen möchten.

Die Einsatzmöglichkeiten für Organisationsaufstellungen sind groß: Sie helfen, die eigene Rolle im Unternehmen zu überdenken, Sicherheit bei anstehenden Entscheidungen zu gewinnen, Konflikte mit Kollegen zu lösen oder Veränderungen anzugehen. Auch bei strategischen Fragen wie der Gründung einer Niederlassung oder der Kooperation von Teams können sie wertvolle Einsichten liefern.

In der Praxis funktioniert das so: Der Ratsuchende wählt aus dem Kreis der Seminarteilnehmer Repräsentanten aus, die ihn selbst, seinen Chef, die Kollegen oder auch ganze Teams oder Abteilungen verkörpern, und ordnet sie intuitiv im Raum an. „Auf diese Weise nimmt ein Problem vor den Augen der Teilnehmer Gestalt an und wird nicht bloß theoretisch durchdiskutiert“, erklärt Erdmuthe Kunath vom Institut für Systemaufstellungen ISA Berlin. „In vielen Fällen kommt man damit sehr viel schneller zum Ziel als mit klassischen Beratungsansätzen.“

Besonders wichtig sind dabei die Rückmeldungen der Stellvertreter über die Rollen, in die sie geschlüpft sind: Fühlen sie sich an ihren Platz sicher oder unsicher, integriert oder ausgeschlossen? Was empfinden sie gegenüber ihrer Chefin, die nur Augen für den Kunden hat? Und was gegenüber dem Kollegen, der allein in der Ecke steht? Erdmuthe Kunath findet es immer wieder faszinierend, wie sehr die Empfindungen der Stellvertreter denen der „Originale“ gleichen. „Oft höre ich von Teilnehmern: Mensch, genau das sagt mein Kollege auch immer.“ In einem Fall seien die Parallelen sogar so weit gegangen, dass der Stellvertreter ohne ersichtlichen Grund eine bleierne Lähmung im Bein verspürte – genau wie die von ihm repräsentierte Person, deren Bein vor Jahren durch einen Unfall geschädigt worden war.

Fast klingt es ein bisschen wie Zauberei. Und auch die Wissenschaft ist sich noch nicht ganz im Klaren darüber, wie und warum die Methode eigentlich funktioniert. Fest steht aber: Nicht nur den Beteiligten hilft es, dass ihre Probleme durch die Stellvertreter Gestalt annehmen. Auch der Berater – im Fachjargon der Aufsteller – erhält auf diese Weise Einblicke in Beziehungsebenen, die dem Ratsuchenden unter Umständen selbst nicht bewusst sind.

Die Arbeit des Trainers fängt nach der ersten Aufstellung durch den Teilnehmer natürlich erst an. Seine Aufgabe besteht nun darin, die Beteiligten so umzugruppieren, dass aus der belastenden Situation eine positive, aus dem Problem eine Lösung wird: Der ausgeschlossene Neuling tritt aus der Ecke in den Kreis der Kollegen. Die Chefin rückt näher an ihre Mitarbeiter heran. Der Kunde erhält auf diese Weise den nötigen Abstand. Zeichnet sich eine Lösung ab, werden die Repräsentanten noch einmal nach ihren Wahrnehmungen gefragt. Und der Teilnehmer, an dessen Problem gefeilt wird, kann jetzt seinen Stellvertreter ablösen und selbst erleben, wie sich sein Platz in der neuen Konstellation anfühlt.

Informationen gewinnen über „vergessene Zimmer“ oder „blinde Flecken“ in einem Unternehmen oder einer Gruppe – so nennt Wernfried Hübschmann vom Berliner Trainerteam Celas die Wirkungsweise der Methodik. Auch er bietet Organisationsaufstellungen an, allerdings immer eingebunden in einen Beratungs- oder Coachingprozess. Denn: „Die Informationen und Erkenntnisse aus der Aufstellung müssen interpretiert und die gefundenen Lösungen umgesetzt und überprüft werden“, sagt er. Nur so könnten dauerhaft wirkungsvolle Veränderungsprozesse in Gang kommen.

Bei Gabriele Förder-Hoff funktioniert’s. Sie kam vor gut 20 Jahren über die Familienaufstellung zu der Beratungsmethode. Heute nutzt sie Aufstellungen regelmäßig für ihre Arbeit als Referatsleiterin in einem Landesministerium, etwa wenn es um Fragen der Mitarbeiterführung oder ihre berufliche Entwicklung geht. „Gerade in unserer hektischen Welt fehlt einem oft der Abstand zur eigenen Arbeit, der Blick von außen“, sagt Gabriele Förder-Hoff. „In einer Aufstellung wird mir immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, auf meine Kollegen zuzugehen, ihnen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen im Gespräch zu bleiben.“

Wer den Beratungsansatz erst einmal im Kleinen kennenlernen möchte, kann zum Beispiel bei der Berliner Beraterin Ursula Dehler an dreistündigen offenen Abenden teilnehmen. Eine sehr intensive Beschäftigung mit dem Thema verspricht dagegen die zweijährige Weiterbildung „Organisationsaufstellungen in der Organisationsentwicklung“ beim ISA Berlin. Sie ist laut Erdmuthe Kunath nicht nur für Berater interessant, die die Methode selbst anbieten möchten, sondern auch für Führungskräfte, die systemische Aufstellungen für ihre eigene Arbeit im Unternehmen nutzen wollen.

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