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© ddp

Schneider: Wieder angeknüpft

In Hamburg werden Arbeitssuchende zu Schneidern qualifiziert.

Vorsichtig bringt Beate Maria Bierut einen Knopf auf dem bunten Stück Stoff an. Anschließend fertigt sie aus Leder kleine Blumen, die als dekorativer Besatz einer Handytasche dienen sollen. Das Accessoire ist Teil der „nadelneu“-Herbst- und Winterkollektion, die Ein-Euro-Jobber aus Kleiderspenden herstellen.

Unter Anleitung einer Designerin lässt sich die 41-jährige Bierut in dem Hamburger Projekt „change it“ weiterbilden. Bei dem in dieser Form bundesweit einzigartigen Beschäftigungsprogramm kooperieren die gemeinnützige SBB Kompetenz GmbH und das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Ziel ist es, Langzeitarbeitslose wieder in reguläre Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.

„Die Teilnehmer kommen über die Arbeitsvermittler zu uns“, berichtet „change it“-Betriebsleiterin Erika Niehoff. Die Arbeitszeit bei dem Ein-Euro-Job betrage 30 Stunden pro Woche. Zudem seien Praktika und Weiterbildungskurse obligatorisch. „Dazu zählen Computer- oder auch Sprachkurse“, sagt Niehoff. Der Anteil von Zuwanderern bei den Teilnehmern liege bei über 65 Prozent, weshalb auch Deutschkurse angeboten würden. „Die Vermittlungsquoten in ein Arbeitsverhältnis sind vergleichsweise gut“, sagt Niehoff. Im vergangenen Jahr hätten etwa 20 Prozent der Übergangs-Schneider eine Stelle bekommen.

Geschafft hat es auch Hava Böcek. Die 38-Jährige stammt aus der Türkei und arbeitet seit vier Monaten an der „nadelneu“-Kollektion mit. „Nächste Woche fange ich in einem richtigen Job an“, freut sie sich. Über ein Betriebspraktikum in einem türkischen Obst- und Gemüsehandel ist Böcek an die neue Stelle gekommen. „Dort werde ich die Regale einräumen und verkaufen.“ Das Schneidern will sie aber zu Hause fortführen. „Ich hatte vorher noch nie geschneidert, jetzt kann ich das“, sagt Böcek.

Vorkenntnisse für die Arbeit in der Schneiderei sind Niehoff zufolge nicht unbedingt erforderlich. „Die Leute müssen nur bereit sein, sich an die Nähmaschine zu setzen.“ Zudem seien weder die begleitenden Betriebspraktika noch die Kurse auf eine bestimmte Branche festgelegt. Das Schneider-Projekt stelle eine Möglichkeit dar, wieder in ein festes Arbeitsverhältnis zu finden. Zudem würden die Langzeitarbeitslosen auch bei Bewerbungen und dem Training für Vorstellungsgespräche unterstützt.

Vakkas Ucar ist gelernter Schneider und hofft, über das Projekt wieder in seinen Beruf hineinzufinden. „Mir macht diese Arbeit sehr viel Spaß, und ich möchte mich nach der Zeit hier selbstständig machen,“ sagt der 49-jährige Türke, während er gekonnt eine Naht auf einem geblümten Kleid setzt. „Das waren mal eine Jacke und ein Rock, jetzt mache ich daraus ein Kleid.“ Für die Umarbeitung brauche er etwa zwei Tage. „Aber ich habe hier Hilfe. Wir arbeiten alle gemeinsam, das gefällt mir.“

Designerin Ingeborg Dibbel leitet die Teilnehmer beim Schneidern an. „Am Anfang wusste ich gar nicht, was dabei auf mich zukommt“, erzählt sie. „Aber ich habe sehr schnell festgestellt, dass die Arbeit mir liegt.“ Sie halte das Projekt für „eine sehr sinnvolle Aufgabe“. Besonders schön sei, dass das Arbeitsklima in der Schneiderwerkstatt so gut sei. „Die meisten Leute kommen gerne her und haben Spaß an der Sache“, sagt Dibbel.

Neben dem Ziel, die Arbeitssuchenden zu vermitteln, dient das Projekt einem guten Zweck. „Monatlich sammeln wir in unserer zentralen Kleiderkammer in Hamburg bis zu zehn Tonnen Altkleider“, sagt Rainer Barthel vom DRK-Landesverband. Vieles, was nicht verwertbar sei, werde bei „change it“ umgearbeitet. „Das Ergebnis ist die trendige ,nadelneu’-Kollektion, die jeweils im Frühjahr und im Herbst erscheint.“ Neben Damenmode werden Accessoires wie Taschen und Schlüsselanhänger gefertigt. Alles ist für weniger als 20 Euro pro Stück im DRK-Kiloshop im Stadtteil Altona erhältlich. Der Erlös kommt sozialen Projekten zugute.

Für die Präsentation der aktuellen Herbst- und Winterkollektion wartet auf die „change it“-Schneider auch in diesem Jahr noch ein Highlight. „Am 6. Dezember machen wir eine Modenschau, auf der unsere Schneider ihre Kreationen selbst auf dem Laufsteg präsentieren“, sagt Niehoff. Der positive Effekt des Projekts mache sich bei der Präsentation besonders bemerkbar: Das selbstkreierte Produkt fördere Selbstvertrauen und Zuversicht. „Da ist unglaublich viel Stolz dabei, etwas geschafft zu haben“, betont Niehoff. Jelena Pflocksch (ddp)

Jelena Pflocksch (ddp)

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