zum Hauptinhalt

Sportler im Berufsleben: Alles geben

Sie haben hart trainiert, mehr Niederlagen als Siege erlebt – und es trotzdem geschafft, sich immer wieder zu motivieren. Was Heike Drechsler, Michael Groß und Erhard Wunderlich vom Sport für den Beruf gelernt haben

DIE LEICHTATHLETIN

So viel ist klar. Heike Drechsler wird bei der Weltmeisterschaft in den nächsten zwei Wochen in Berlin in der ersten Reihe sitzen und heftig mit den deutschen Sportlern fiebern. Nach wie vor schlägt ihr Herz für die Leichtathletik. „Ich kann schlecht loslassen von dem, was ich am besten kann“, sagt die ehemalige Weltklassespringerin. Auch fünf Jahre nach ihrem Ausstieg aus dem Leistungssport nicht. Sie sitzt in Komitees, berät den Nachwuchs. Und auch zu ihrem heutigen Beruf ist sie über den Sport gekommen. Die 44-Jährige ist als Angestellte bei einer Krankenkasse für betriebliches Gesundheitsmanagement zuständig.

Wenn sie nicht gerade durch Deutschland tourt und in Firmen Vorträge hält, sitzt Heike Drechsler in ihrem hellen, freundlichen Büro in der Stuttgarter City, arbeitet Konzepte zur Mitarbeiterfitness aus und akquiriert neue Kunden. Doch lange hält es sie nicht auf ihrem Schreibtischstuhl. Nach einem Arbeitstag fühlt sie sich wie eingerostet. Die langen Beine unter dem Kostüm fangen an zu kribbeln. Und sie weiß dann, da hilft nur eins: Sie muss raus, sich bewegen. Kaum ist sie zuhause, streift sie sich die Sportschuhe über und läuft durch den nahegelegenen Wald. Eine Stunde in zügigem Tempo. So lange braucht sie, bis ihr Gleichgewicht wieder hergestellt ist.

Dieser ständige Drang, sich zu bewegen, prägt ihr Leben. „Man darf nicht stehenbleiben und nie aufgeben. Man muss immer neue Wege gehen und seinen Platz neu erkämpfen“, sagt die Leichtathletin. Diese Haltung hat sie im Sport weit gebracht. Zwei Goldmedaillen holte sie bei Olympischen Spielen. Zweimal ist sie Weltmeisterin, viermal Europameisterin geworden. Jetzt hilft ihr diese Haltung auch im Berufsleben weiter.

Bevor sie loslegt, muss das Ziel klar definiert sein. „Und das darf man dann nicht aus den Augen verlieren – auch wenn es mal so aussieht, als wäre es unerreichbar.“ So hätte sie etwa nie geglaubt, bei den Olympischen Spielen im Jahr 2000 in Sydney erfolgreich zu sein. Monatelang war sie verletzt. Sie ist dennoch gestartet – und hat es nach ganz oben auf das Siegertreppchen geschafft. „Das war etwas ganz Besonderes“, sagt sie.

In ihrer aktiven Zeit habe sie alles getan, um leistungsstark zu sein, sagt die im thüringischen Gera geborene Springikone. Sie trainierte hart, stimmte ihre Ernährung darauf ab. Nicht immer aber habe sie gut für sich gesorgt. „Es kam auch vor, dass ich meinem Körper mehr abverlangte, als gut war.“ Das ihr in der DDR Dopingsubstanzen verabreicht wurden, habe sie erst lange nach der Wende erfahren. Doch das hat sie nur in ihrem neuen Ziel bestärkt. Als Gesundheitsexpertin will sie Kinder und Erwachsene motivieren, sich viel zu bewegen und gesund zu ernähren. Auch für die ferne berufliche Zukunft hat sie bereits ein Ziel. Wenn sie irgendwann seltener unterwegs ist, will sie Leichtathletik-Trainerin für Kinder werden.

DER SCHWIMMER

Es war fast auf den Tag genau vor 25 Jahren. Michael Groß schwamm die 200 Meter Schmetterling bei der Olympiade in Los Angeles. Er gab alles, peitschte sich vor einem Millionenpublikum in der ganzen Welt durchs Wasser. Und war so schnell wie kein Schwimmer jemals vor ihm. 1:57,40 Minuten. Eine traumhafte Zeit. Es wäre neuer Weltrekord gewesen – wenn der Australier auf der Bahn neben ihm nicht knappe vier Hundertstel Sekunden früher am Beckenrand angeschlagen hätte. Groß musste sich mit der Silbermedaille zufriedengeben.

Dieses Erlebnis hat sich tief eingeprägt. So tief, dass dem heute 44-Jährigen zuerst dieser zweite Platz in den Sinn kommt, wenn er an Los Angeles denkt. Und nicht die zwei Goldmedaillen, die er dort auch gewann. „Ich habe hundertprozentige Leistung gegeben und trotzdem verloren“, sagt Groß. Doch gerade das hat ihn angespornt. Er machte weiter, nahm sich vor, beim nächsten Mal 180 Prozent zu geben, sagt er. Das ist ihm noch einige Male gelungen. Mit insgesamt drei olympischen Goldmedaillen wurde er der erfolgreichste deutsche Schwimmer aller Zeiten.

Diese Stehaufmännchen-Mentalität bestimmt bis heute sein Leben. Der 2,01 Meter große Mann ist geschäftsführender Inhaber der Kommunikationsberatung Peakom in Frankfurt am Main. Im hellen Anzug sitzt er in seinem nüchtern eingerichteten Büro im siebten Stock. Von seinem Arbeitsplatz aus kann er auf die Bankenskyline sehen. Statt im Wasser seinen Bahnen zu ziehen, beschäftigt er sich heute mit Corporate Branding, mit Strategienentwicklung, Wettbewerbsvorteilen durch Innovationen und Akquise. Immer wieder geht auch dabei etwas schief. Wenn Aufträge etwa an die Konkurrenz vergeben werden. Doch sein sportlicher Anspruch, besser zu werden, besser als die anderen, hilft ihm auch beim Führen des Unternehmens.

Um erfolgreich zu sein, braucht man im Sport wie im Beruf Talent, einen starken Willen und fachliches Know-how, sagt Groß. Diese Eigenschaften könne man zum Teil lernen. Der Spitzensport sei dafür sehr geeignet. „Wenn man sich jeden Tag überwindet, Dinge zu tun, die einem nicht leichtfallen, jeden Tag wieder ins Becken steigt und an seine Grenzen geht, macht das stärker.“

Eigentlich wollte der Schwimmer immer Pilot werden. Doch dafür war er zu groß. Bis 1,93 Meter waren erlaubt. Dann entschloss er sich, Biochemie zu studieren. Dafür war mit 2,1 sein Abischnitt aber nicht gut genug. Also entschied er sich für Germanistik, Politologie und Medienwissenschaften. 1994 hat er promoviert. Als er dann in den Journalismus einstieg, stellte er schnell fest, dass ihm das Talent fehlte. „Andere konnten das besser“, sagt Groß. So kam er zur PR. Das passte. Hier kamen Talent, Willen und Know-how wieder zusammen.

Inzwischen beschäftigt er in seiner Agentur 14 Mitarbeiter. Auch wenn sich die Krise bemerkbar macht, es läuft alles rund. Er fühlt sich wohl in seiner Rolle. „Ich bin ein Unternehmertyp, trage gern Verantwortung, auch für andere.“ Mindestens bis seine zwei Kinder aus dem Haus sind, will er im Geschäft bleiben. „Die technische Entwicklung verändert die Kommunikation rapide“, sagt Groß. Das reizt den PR-Profi. Der Startschuss ist längst gefallen.

DER HANDBALLER

Eigentlich wollte Erhard Wunderlich nach der Ausbildung zum Elektrotechniker zur Luftwaffe gehen und Radartechniker werden. Doch der Leistungssport machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Als der Bundesligist VfL-Gummersbach 1976 das Handballtalent aus Augsburg nach Nordrhein-Westfalen holte, waren die ursprünglichen Pläne passé. Wunderlich änderte die Richtung, absolvierte neben dem Training eine kaufmännische Lehre und volontierte fünf Jahre beim Beratungsunternehmen Kienbaum. Das war nicht das letzte Mal, dass er sich beruflich umorientierte.

Immer wieder änderte Wunderlich seinen Karriereweg. Er war Manager des Bundesligisten TSV Milbertshofen, arbeitete für einen japanischen, später für einen holländischen Konzern. Er vertrieb Kopierer und führte mit seiner zweiten Frau Pia für einige Jahre ein Hotel in Österreich. Immer wieder hat der Handballstar das Neue gewagt. Und dafür auch Lehrgeld bezahlt, gibt der 53-Jährige zu. Doch von den vielen Erfahrungen habe er letztendlich profitiert. Heute ist er in Köln freier Mitarbeiter für eine Unternehmensberatung. Daneben führt er eine Werbe- und Verkaufsagentur, die mit neuen Medien im Bereich Qualitätsmanagement für Technik und Vertrieb arbeitet.

Offen für das Neue, risikobereit und flexibel sein, das hat er in seinem Berufsleben oft gebraucht – und im Handball täglich trainiert. „Durch den Mannschaftssport habe ich viel gelernt“, sagt Wunderlich, der mit 21 Jahren Handballweltmeister wurde und zehn Jahre lang in der Nationalmannschaft spielte. Der Handballer weiß etwa, wie Teams erfolgreich arbeiten: „Alle müssen dasselbe Ziel vor Augen haben und jeder Einzelne muss sich respektiert fühlen.“ Er weiß, wie man Konflikte konstruktiv löst: „Als Mannschaftsspieler lernt man schnell, dass es nicht immer nach der eigenen Pfeife geht – und dass es ohne die anderen nicht funktioniert.“ Und nicht zuletzt hat er jede Menge Führungserfahrung. „Gerade in kritischen Situationen muss einer die Verantwortung übernehmen“, sagt er.

All das spielt auch in seinem jetzigen Berufsleben eine Rolle. Zwar arbeitet er nicht mehr in einem festen Team. Er hat sich ein Büro in seiner Doppelhaushälfte im grünen Gürtel von Köln eingerichtet. „Doch ich bin so etwas wie ein One-Team-Betrieb“. Hat er einen Auftrag akquiriert, aktiviert er sein Netzwerk aus freien Grafikern, Konzeptern, Vertriebsexperten und Druckern und stellt daraus ein Projektteam zusammen.

Auch wenn seine Karriere nicht geradlinig nach oben geführt hat. Insgesamt sei sie erfolgreich verlaufen. „Ich bin zufrieden“, sagt er. Er hat einen kommunikativen, abwechslungsreichen Job, der ihn immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Nur manchmal wird er etwas ungeduldig. „Im Handball weiß man nach zwei Halbzeiten, ob man erfolgreich war. In der Wirtschaft muss man gebenenfalls lange darauf warten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false