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Seit 2003 ist Schwarz Präsident der Handwerkskammer Berlin. Er ist Gesellschafter des Reinigungsunternehmens GRG Services Group, das sein Großvater 1920 gründete.

© Mike Wolff

Stephan Schwarz im Gespräch: Leistung zum Anfassen

„Es geht nicht nur um Geld“, sagt Stephan Schwarz, Präsident der Berliner Handwerkskammer, und verrät, was Handwerk attraktiv macht.

Herr Schwarz, haben Sie in diesem Jahr genügend Azubis gefunden?

So gut wie. Wir sind zuversichtlich, die fehlenden Auszubildenden noch zu finden. Aber es wird zunehmend schwieriger. Das ist aber kein spezielles Problem des Handwerks oder in unserem Unternehmen. Zumal Sie als Gebäudereiniger nicht unbedingt Abiturienten brauchen. Wir nehmen auch gerne junge Leute mit mittlerem Schulabschluss. Und das Handwerk insgesamt ist ein Wirtschaftsbereich, in dem man Jugendlichen, die vielleicht mal Probleme hatten, auch eine zweite oder dritte Chance geben kann. Auch deshalb machen wir mit bei der gemeinnützigen Berliner Joblinge AG.

Was ist das?

Die Einrichtung hat sich zum Ziel gesetzt, Jugendliche ohne Schulabschluss oder mit sehr schlechten Noten fit zu machen für eine Ausbildung. Diese Botschaft kann man gar nicht oft genug an die Jugend senden: Selbst wenn die Noten nicht gut sind, sollte man sich bewerben. Ein gutes Unternehmen interessiert sich mehr für Persönlichkeit, Engagement und Motivation als für das Zeugnis.

Und im Handwerk also weniger für das Abitur?

Sicherlich auch. Der Anteil der Abiturienten unter den Auszubildenden ist stetig gestiegen und erreicht inzwischen fast 20 Prozent.

In Berlin oder in der Bundesrepublik?

In Berlin – und damit liegen wir bundesweit vorn. Die Ausbildung im Handwerk ist also durchaus attraktiv, zuletzt hatten wir einen Zuwachs von fast sechs Prozent bei den Ausbildungsverträgen. Arbeitszeiten und Arbeitseinkommen sind in der Industrie aber deutlich attraktiver. Es geht nicht nur um Geld. Die Ausbildung ist auch eine Investition in die eigene Zukunft. Mit einem mäßigen Hauptschulabschluss kann ich eine Ausbildung im Handwerk beginnen, anschließend den Meister machen und weiter an die Universität gehen und studieren. Die Gleichwertigkeit von Meisterbrief und Bachelor zeigt auch die Aufwertung der Handwerksberufe.

Das klingt gut, aber die Zahlen sind schlecht: 64 Prozent der Handwerksbetriebe in Berlin-Brandenburg haben Probleme bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen.

Zurzeit laufen zwei Linien gegeneinander: Wir haben eine sehr gute Handwerkskonjunktur, die Nachfrage ist groß. Wenn Sie heute handwerkliche Leistungen etwa im Baubereich nachfragen, müssen Sie womöglich längere Zeit auf den Handwerker warten. Auf der anderen Seite haben wir den demografischen Wandel mit sinkenden Schulabgängerzahlen. Im Ergebnis gibt es dann eine Lücke von 2000 Ausbildungsplätzen, die aktuell in der Region nicht besetzt werden kann.

Und wie stopft das Handwerk die Lücke?

Wir müssen uns auf einen härteren Wettbewerb zwischen den einzelnen Bereichen einstellen: Jugendliche können sich aussuchen, ob sie in den öffentlichen Dienst gehen, in die Industrie, den Dienstleistungsbereich oder ins Handwerk. Die Unternehmen müssen sich also etwas einfallen lassen beim Personalmarketing.

Wie macht das ein Handwerker mit einer Handvoll Mitarbeiter?

Jedenfalls nicht mit einer höheren Vergütung, weil das wirtschaftlich für die Betriebe nicht geht. Der Handwerksbetrieb muss mit den Vorteilen argumentieren, die er im Vergleich zur Industrie hat, inklusive der besonderen Arbeitsumstände und Fürsorgeleistungen, die das Handwerk kennzeichnen.

Wie machen Sie das in Ihrer Firma?

Wir versuchen uns seit einigen Jahren mit verschiedenen Maßnahmen am Markt zu profilieren. Anfang dieses Jahres haben wir ein neues Projekt gestartet: Jeder Mitarbeiter bekommt von uns eine Karte mit einer Telefonnummer, bei der er rund um die Uhr anrufen kann, wenn es ein berufliches oder privates Problem gibt. Zum Beispiel Suchtprobleme, Depressionen, Geldsorgen, Trennungsprobleme, Drogenärger mit Kindern oder häusliche Pflege von Angehörigen.

Und was passiert dann?

Das Sorgentelefon übernimmt für uns ein privater Dienstleister, der dann weiterhilft, zum Beispiel bei der Beschaffung eines Pflegeplatzes. Pflege von Angehörigen ist ein großes Thema, das Mitarbeiter häufig überfordert.

"Es ist verdammt schwer, gute Leute zu bekommen"

Stephan Schwarz wurde 1965 in Berlin geboren und studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität und an der Pariser Sorbonne.
Stephan Schwarz wurde 1965 in Berlin geboren und studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität und an der Pariser Sorbonne.

© Mike Wolff

Ein externer Telefondienstleister übernimmt in Ihrem Auftrag und auf Ihre Kosten die Unterbringung von Familienangehörigen Ihrer Mitarbeiter?

Ja. Aber das ist nicht irgendein Dienstleister, sondern ein großes Team von Fachleuten, die auch über Netzwerke verfügen. Wir machen das seit ein paar Monaten, und es kommt sehr gut.

Weil jeder Probleme hat.

Natürlich ruft nicht jeder an. In den ersten zwei Monaten waren es etwa 50 Anrufe. Wichtig ist: Die Anrufer bleiben anonym und müssen keine Namen nennen. Und hier im Unternehmen erfahren wir die Namen sowieso nicht.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Fürsorge ist ein Thema, wenn man als Arbeitgeber attraktiv sein will. In einem Handwerksbetrieb mit fünf oder acht Leuten geht das quasi automatisch, wenn da jemand Probleme hat, dann bekommt der Chef oder Meister das natürlich mit und kümmert sich. Aber in einem Betrieb mit einigen tausend Angestellten ist das nicht mehr möglich, also haben wir uns einen Dienstleister gesucht, der unseren Mitarbeitern ein Angebot machen kann.

Das dürfte eine Menge kosten.

Mal abwarten. Aber es ist uns das wert, denn der Wettbewerb um die Mitarbeiter wird immer härter. Und zwar nicht nur bei Ingenieuren sondern auch bei Ungelernten für die Gebäudereinigung: Es ist verdammt schwer, gute Leute zu bekommen.

Und Sie schaffen das mit einem Sorgentelefon?

Das war ein Beispiel. Wir haben 3300 Mitarbeiter aus insgesamt 64 Nationen. Für viele ist es sehr wichtig, den Stolz auf ihr Heimatland auch im Unternehmen zu zeigen. Dazu tragen bei uns die Hoffeste bei, die von den Mitarbeitern zum großen Teil selbst gestaltet werden, unter anderem mit Speisen aus ihrer Heimat. Das ist gut für das Zusammengehörigkeitsgefühl. Alles in allem muss man sich etwas einfallen lassen. Früher musste man sich vor allem um Kunden und Aufträge bemühen, heute sind es die Mitarbeiter.

Haben die 31000 Berliner Handwerksbetriebe das auch verstanden?

Viele Dinge sind ja nicht neu. Ein guter Handwerksmeister weiß natürlich, wie wichtig ein gutes Betriebsklima ist. Und wenn es mal ein oder zwei Jahre nicht gut läuft, baut der keine Stellen ab. Es gibt da große Loyalitäten. Marketing können natürlich viele der kleinen Betriebe nicht, da müssen dann die Kammern helfen. Unter anderem mit unserer Imagekampagne.

Gutes Handwerkerimage schlägt höheres Einkommen in der Industrie?

Die Industrie bietet sicher interessante Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Das Handwerk zeichnet sich aber dadurch aus, dass man sehr engen Kontakt mit dem Endkunden hat. Und der Handwerker ist näher dran am Produkt – der Geselle macht sein Gesellenstück und der Meister sein Meisterstück. Das ist hochkreativ und kann Glück vermitteln. Platt gesagt: Am Ende des Tages kann man sehen und anfassen, was man geleistet hat, in der Industrie ist das oft nicht der Fall.

Lebt die Jugend heute nicht viel mehr in virtuellen Interneträumen als in gegenständlichen Welten?

Schon. Aber ich bemerke auch einen Gegentrend: Vielen jungen Leuten vermissen den Bezug zum Material. Leider wird in der Schule kaum noch gegenständlich gearbeitet, mit Holz und Metall oder Textilien. Da hat das Handwerk viel zu bieten. Wir haben ja in vielen Berufen über Jahrhunderte akkumuliertes Wissen – und dieses Wissen wird übers Tun vermittelt und nicht im Internet.

Seit zehn Jahren sind Sie nun Präsident der Berliner Handwerkskammer. Wie hat sich die Stadt verändert?

2003 war die Stimmung in der Wirtschaft nicht gut. Die Internetblase war geplatzt und es gab Vorbehalte gegen den rot-roten Senat. Heute ist die Stimmung viel besser. Berlin wird auch von außen wieder als eine Stadt und Region wahrgenommen, in der man Geld verdienen kann. Auch deshalb ist Berlin ja die Gründerhauptstadt. Berlin hat an Selbstbewusstsein gewonnen – auf einer soliden Basis. Alles in allem leben wir endlich in einer auch wirtschaftlich quirligen Stadt.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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