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Stress bei der Arbeit: Seminar: Bloß keine Hektik

In Seminaren, Fernstudien und am Computer kann man lernen, die Nerven zu behalten

Der Stuhlkreis in der stuckverzierten Schöneberger Altbauwohnung erinnert an die Schulzeit. Nur sitzen sich dort an diesem Nachmittag keine Schüler gegenüber, sondern sechs Berufstätige, die ein gemeinsames Problem haben: Stress.

Die Personalleiterin eines mittelständischen Unternehmens leidet unter einer E-Mail-Flut und ständig klingelnden Telefonen, ihre Kollegin aus der kaufmännischen Abteilung kommt mit Buchungen und Marketing-Aufgaben nicht mehr hinterher. „Manchmal sitze ich abends im Büro, raufe mir die Haare, knabbere an meinen Fingernägeln – und weiß einfach nicht, wie ich die ganze Arbeit schaffen soll“, erzählt sie.

Wer sich wie die Personalmanagerin in „Soft Skills“ weiterbilden möchte, um Sozialkompetenzen wie Zeitmanagement oder Stressbewältigung zu erwerben, hat eine große Auswahl: vom Training über das Fernstudium bis zum Computerprogramm. Die pädagogischen Ansätze sind dabei sehr unterschiedlich.

Kerstin Becker (Name von der Redaktion geändert) entschied sich für das Präsenztraining. Die staatlich geprüfte Betriebswirtin leitet eine Catering-Firma, die sozial benachteiligte Jugendliche ausbildet. „Seit letztem Jahr bin ich total ausgebrannt“, erzählt die alleinerziehende Mutter. Bis 23 Uhr sitze sie oftmals über den Rechnungen. „Ich brauche unbedingt einen Leitfaden, um den Stress zu bewältigen“, sagt sie.

Doch wer eine Checkliste sucht, ist auf dem eintägigen Training von Wolf-Dietrich Groß verkehrt. „Eine Toolbox bekommt man auf dem Baumarkt“, scherzt der Kommunikations-Trainer. Er glaubt: Sozialkompetenz kann man nicht durch Regeln erlernen. Man muss sie erfahren. Groß verzichtet daher auf Frontalunterricht. Er setzt auf Gespräche im Stuhlkreis, Atemübungen, Gruppenarbeit und Rollenspiele. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen ihre Schwächen erkennen – und sich Gedanken darüber machen, wie sie mit ihnen umgehen.

Vielen fällt das schwer. „Wir haben eine Menge zu tun, so dass ich die Arbeit nicht alleine schaffen kann“, erzählt die Personalleiterin mit dem blonden Kurzhaarschnitt. „Haben Sie schon mit ihrem Chef darüber gesprochen?“, fragt Groß. „Ja, schon – aber der hört mich doch gar nicht.“ Die Kauffrau spricht mit leiser Stimme, räuspert sich, lächelt verlegen. Kurzes Schweigen. „Ihnen fehlt der Mut“, sagt Groß schließlich. „Sie müssen ihrem Chef klar machen, dass es so nicht weitergeht – mit Nachdruck, nicht mit einem Lächeln.“

Erfahrungen austauschen statt Lehrbücher wälzen: Nicht alle Bildungsanbieter setzen auf dieses Konzept. An der Zentralstelle für Fernstudien an Fachhochschulen (ZFH) in Koblenz können Berufstätige Soft Skills als Fernstudiengang belegen. Konfliktbewältigung, Motivation und Selbstsicherheit – das sollen die Teilnehmer aus Studienbriefen lernen. Darin geht es mitunter akademisch zu: Prinzipien der Personenwahrnehmung, psychische Grundgegensätze und Traditionen des Nachdenkens stehen auf dem Lehrplan. Einige Kapitel werden durch schriftliche Übungen ergänzt, die Studenten online diskutieren können.

„Die Teilnehmer sollen verstehen, was in der Kommunikation passiert“, erklärt Studiengangsleiter Werner Nothdurft von der Fachhochschule Fulda. „Auch theoretisches Wissen hilft dabei, in Konfliktsituationen souverän zu reagieren.“ Wer sich immer dazu überreden lässt, Überstunden zu machen, müsse die Faktoren kennen, die ihn dazu verleiten.

Ganz auf die Praxis verzichten möchte Nothdurft jedoch nicht. An einem Wochenende im Monat treffen sich jeweils 15 Studenten zu Workshops. In zwei Tagen sollen sie ausprobieren, worüber sie vorher nur gelesen haben: Verkaufsgespräche führen und Mitarbeiter motivieren zum Beispiel. „Da sich die Studenten nur an den Wochenenden sehen, sind sie leichter für Rollenspiele zu begeistern“, so Nothdurft. „Sie fürchten nicht, sich vor Kollegen zu blamieren, wie es bei Firmeninternen Trainings der Fall ist.“

Neben Workshops und Fernlehrgängen gibt es auch Software, mit der man Fähigkeiten wie Zeitmanagement, Stressbewältigung und Präsentationstechniken lernen kann. Die Nutzer erfahren in interaktiven Programmen, wie sie negativen Stress vermeiden können. Ist die Wohnung zu laut, sollte man umziehen. Hat man Probleme mit dem Chef: besser die Abteilung wechseln.

Unter Experten ist das Erlernen von Soft Skills am Computer umstritten, da die Nutzer auf sich gestellt sind. In einem Vergleich der Stiftung Warentest schnitten viele dieser Programme schlecht ab, nur drei wurden mit „gut“ bewertet.

Wilfried Hendricks, Wissenschaftlicher Direktor des Berliner Instituts für Bildung in der Informationsgesellschaft, hält diese Form trotzdem für möglich – jedoch nicht für alle Bereiche. „Am besten lassen sich die Verhaltensänderungen trainieren, die man sich leicht durch Vormachen und Nachmachen angewöhnen kann, etwa Präsentationstechniken“, erklärt er in einem Interview mit der Zeitschrift „Test“. Schwieriger sei es, Verhaltensweisen zu ändern, die Teil der Persönlichkeit geworden sind – etwa bei Stress und mangelndem Konfliktmanagement. „Software kann aber für ein Problem sensibilisieren und das Üben ermöglichen“, so der Wissenschaftler.

Ob Fernlehrgang oder Software-Kurs: Kerstin Becker möchte im Nachhinein nicht mehr tauschen. Nach dem Training fühlt sie sich stark genug, um ihrem Chef zu sagen: Der Arbeitsaufwand ist für eine Person zu viel. Und wenn es Ärger gibt? „Dann bleibe ich ganz relaxed“, sagt sie.

Philipp Eins

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