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Studienplatz: In der Warteschleife

Wer keinen Studienplatz in Medizin bekommt, muss die Wartezeit überbrücken. Eine Ausbildung als Krankenpfleger bietet sich an – obwohl sie beim Studium nicht unbedingt hilft

Früh morgens um halb Fünf klingelt der Wecker. Zeit zum Aufstehen für Michaela N. Um sechs Uhr beginnt ihr Dienst als Krankenpflegerin in der Abteilung für Innere Medizin in einem Berliner Krankenhaus. Die 21-Jährige ist im zweiten Ausbildungsjahr. Bis zum Ende des dritten Jahres will sie durchhalten. Danach, so hofft sie, hat sie endlich genug Wartesemester zusammen, um einen der begehrten Medizinstudienplätze zu ergattern und so ihrem Traumberuf als Internistin ein Stück näher zu kommen.

So wie Michaela müssen sich viele Abiturienten auf lange Wartezeiten für das Medizinstudium einstellen. An der Berliner Charité bewarben sich für dieses Sommersemester 4300 Abiturienten um die 300 Plätze. Wer keine Abiturnote von 1,3 oder besser hat, für den heißt es zumeist: Warten und sich solange nach einer anderen Beschäftigung umsehen. Eine Ausbildung im Bereich Krankenpflege oder Rettungsdienst scheint da naheliegend. Doch wie sinnvoll ist dies für das spätere Medizinstudium?

Juliane Krüger (Name geändert) arbeitete mehrere Jahre als Pflegekraft, bevor sie sich mit Ende Dreißig dazu entschloss, ein Medizinstudium aufzunehmen. „Der große Vorteil einer Pflegeausbildung vor dem Studium ist, dass man den Klinikalltag genau kennen lernt und die Scheu vor dem Umgang mit Patienten verliert“, sagt sie. Als Krankenpflegerin sei sie nahe dran an den Sorgen der Patienten. Dies fördere auch das Selbstvertrauen. „Viele angehende Ärzte sind im Gegensatz zu mir zunächst befangen, wenn es an die praktische Arbeit geht“, stellt Juliane Krüger fest.

Auch die Medizinstudenten Susanne Koop und Johannes Kurth absolvierten während ihrer Wartezeit eine Krankenpflegeausbildung – und bereuen es nicht. „Man erhält einen Blick für Auffälligkeiten, die etwas über den Gesundheitszustand eines Menschen aussagen“, sagt Kurth. „Und einige Krankheitsbilder kann man leichter erkennen.“ Dank der Ausbildung habe er bereits zu Beginn des Studiums einen groben Überblick über Anatomie oder Physiologie, was später das Lernen erleichtere. „Man kann leichter einen praktischen Bezug zu dem theoretischen Wissen herstellen, wenn man bereits engen Kontakt zu Betroffenen hatte“, findet Susanne Koop.

Der Meinung ist auch der Medizinstudent Clemens Richter. Er arbeitete vor seinem Studium als Rettungsassistent und würde es jedem empfehlen. „Ich habe während meiner Ausbildung viele ausgekugelte Schultern oder kaputte Kniegelenke gesehen und wusste daher, wie diese Gelenke aufgebaut sind. Das hat mir später beim Lernen geholfen.“

Etwas anders sieht es Juliane Krüger: Was die konkreten Studieninhalte angeht, helfe ihr die Ausbildung in der Krankenpflege kaum. „Das Medizinstudium umfasst in den ersten Semestern viel Naturwissenschaft: Physik, Biologie, Chemie. Das habe ich in der Ausbildung kaum gelernt, dafür muss ich jetzt genau so büffeln wie die anderen.“

Der Wissenschaftler Jörg Pelz vom Prodekanat für Studium und Lehre der Charité kann das bestätigen. „Der Theorieanteil etwa im Bereich Anatomie ist in der Ausbildung zum Krankenpfleger wesentlich geringer, als er für ein Medizinstudium benötigt wird“, sagt er. Studienanfänger mit Ausbildung in der Krankenpflege hätten nur einen kleinen Wissensvorsprung vor ihren Kommilitonen. Dieser würde bereits in den ersten Monaten dahin schmelzen. „Sicher ist es wichtig, einen Einblick in die Arbeit der Pflegekräfte zu erhalten. Dafür reichen aber auch die drei Monate Pflegepraktikum, die jeder Student vor Abschluss des Grundstudiums nachweisen muss“, findet Pelz.

Und es gibt noch einen Grund, weshalb er der Ausbildung in der Wartezeit kritisch gegenübersteht: „Volkswirtschaftlich gesehen ist das unsinnig. Denn die Abiturienten, die nach ihrer Ausbildung nicht als Pflegekraft weiter arbeiten wollen, nehmen anderen, etwa Realschülern, den Ausbildungsplatz weg.“

Klar ist: Die Ausbildung zur Krankenpflegerin oder zum Rettungsassistenten ist kein Zuckerschlecken. „Bei mir waren es drei Jahre harte Arbeit im Schichtdienst. Da lernt man Disziplin und Ausdauer“, erzählt Krüger. Eigenschaften, die beim langen und lernintensiven Medizinstudium sicherlich nützlich sind. Zudem merke man durch die Ausbildung, ob man den Belastungen des stressigen Klinikalltags gewachsen ist – oder nicht.

Diesen Punkt führt auch Alexandra Schilling vom Marburger Bund an. „Es gibt viele Medizinstudenten, die ihr Studium abbrechen, weil sie sich zuvor ein völlig anderes Bild von der Arbeit eines Arztes gemacht haben“, sagt sie. Eine vorherige Ausbildung im Pflegebereich oder im Rettungsdienst nehme so manchem seine Illusionen. Nicht wenige würden ihren Berufswunsch dann noch einmal überdenken. Wer durchhält, hat einen weiteren Vorteil: Er kann während des Studiums weiter im erlernten Beruf arbeiten und sich so etwas dazu verdienen, beispielsweise als Hauskrankenpfleger.

Wer sich sicher ist, dass er Mediziner werden möchte und dafür auch eine jahrelange Wartezeit in Kauf nimmt, für den ist eine Ausbildung zum Krankenpfleger oder Rettungsassistent zur Überbrückung also keine schlechte Idee. Wahnsinnig viele Wissensvorteile gegenüber den anderen Kommilitonen sollte man sich davon aber nicht versprechen.

Sina Tschacher

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