zum Hauptinhalt

Reifeprüfung: Studieren ab 16 Jahren

Ob Technik oder Geisteswissenschaften: Jugendliche, die mehr lernen wollen als die Schule vermittelt, können ihren Wissensdurst an der Uni stillen – und dabei schon mal Punkte für später sammeln.

Wenn es am Hildegard-Wegscheider-Gymnasium in Grunewald nach der letzten Stunde klingelt, hat Armin Razmdjou noch lange nicht Schluss. Statt nach Hause zu gehen oder zum Fußballtraining, macht sich der 16-Jährige auf den Weg zur Uni und paukt Informatik. Der Elftklässler ist an der Technischen Universität (TU) für das Programm „Studium ab 16“ eingeschrieben. Zwei Vorlesungen, ein Tutorium, eine Hausaufgabe in der Woche. „Das kann ganz schön stressig sein“, sagt Armin. Die Wochenenden gehen fürs Lernen drauf, Freizeit bleibt kaum noch.

Seit dem Wintersemester 2006/ 2007 gibt es das kostenlose Schülerstudium an der TU. Gelernt wird in regulären Veranstaltungen, gemeinsam mit den Studenten. Die Nachfrage steigt. In diesem Wintersemester sind mehr als 90 Jugendliche dabei. Auch die anderen großen Unis in Berlin haben Angebote für Schüler. Die Humboldt-Uni (HU) und die Freie Universität (FU) bieten Schülerzirkel und Sommerunis an. An der HU können sich Schüler außerdem für ein gebührenfreies Frühstudium einschreiben. An der Freien Uni können sie als Gasthörer oder Teilnehmer der Sommeruni Leistungsnachweise erwerben (siehe Kasten).

In der Schule langweilt sich Armin zwar nicht gerade, aber viel Neues kann ihm sein Informatiklehrer nicht mehr vermitteln. „An der Uni geht der Stoff viel stärker in die Tiefe“, sagt er. Das Lernen laufe ganz anders ab als in der Schule. „Man hat viel mehr Freiheiten, muss diese aber auch zu nutzen wissen“, so seine Erfahrung. In der Schule schreibe man ständig Tests und merke schnell, wenn man im Stoff hinterherhinke. An der Uni gibt es keine Anwesenheitspflicht, die Klausur kommt erst am Ende des Semesters. Da ist Selbstdisziplin gefragt. Nach der Vorlesung muss er sich dazu aufraffen, seine Aufzeichnungen durchzuarbeiten, zusätzliche Bücher zu lesen und das Gehörte zu verinnerlichen. Sonst verliert er den Anschluss.

Am Studium der TU können Schüler der gymnasialen Oberstufe aus Berlin und Brandenburg teilnehmen. „Die Schüler sind in der Regel 16 Jahre oder älter“, sagt Claudia Cifire, die bei der Allgemeinen Studienberatung Ansprechpartnerin für das Programm ist. Die Jugendlichen kommen aus allen Schultypen, die zum Abitur führen: Gymnasien, Gesamtschulen, Oberstufenzentren, Waldorfschulen bis hin zu Einrichtungen des zweiten Bildungswegs. Über 70 Module aus dem regulären Studienangebot stehen ihnen offen. Neben Angeboten aus den Ingenieur-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften sind auch einige geisteswissenschaftliche Veranstaltungen dabei.

„Das Schülerstudium ist mehr als ein Schnupperangebot. Die Schüler können ausgewählte Module ein ganzes Semester lang besuchen und auch Prüfungen ablegen, die bei einem späteren Studium anerkannt werden“, erklärt Cifire.

Doch kann so ein Studium neben dem Abi nicht auch zur hohen Belastung werden? Der Schulpsychologe Klaus Seifried warnt davor, Schüler zu überfordern. Die Anforderungen würden bereits durch die von 13 auf zwölf Jahre verkürzte Schulzeit bis zum Abitur erheblich steigen. „Eltern, Lehrer und Tutoren sollten darauf achten, dass sich die Jugendlichen nicht selbst überschätzen und sich zu viel zumuten“, rät er. „Durch eine straffe Karriereplanung im Schulalter können Freundschaften, Freizeit, Auslandaufenthalte oder andere wertvolle Erfahrungen möglicherweise auf der Strecke bleiben“, meint der Psychologe.

Grundsätzlich aber begrüßt Seifried, dass sich die Universitäten öffnen und Schülern die Möglichkeit zur Orientierung und Vertiefung geben. Solche Angebote seien eine sehr sinnvolle Förderung für Schüler mit besonderen Begabungen. „Die Angebote sollten aber auf die Interessen der Schüler ausgerichtet und nicht nur ein vorgezogenes Studium sein.“

„Die Schule hat immer Priorität“ erklärt Cifire die Regeln des Programms. Sie muss auch zustimmen, bevor ein Schülerstudent sich an der TU einschreiben darf, und kann, wie die Eltern, ihre Einwilligung jederzeit zurückziehen. „Wenn ein Schüler merkt, dass er das Studium zeitlich nicht schafft oder inhaltlich überfordert ist, kann er jeder Zeit aufhören“, sagt Cifire. An Erfahrung habe er aber auf jeden Fall gewonnen und auch kein Geld vertan, denn das Angebot ist gebührenfrei. „Weniger als zehn Prozent brechen das vorgezogene Studium wieder ab.“

Die Dozenten sind von den Schülerstudenten gemeinhin begeistert. Heinz-Detlef Kronfeldt leitet das Physikalische Grundpraktikum an der TU. „Die Schüler sind häufig motivierter als die Studenten. Für sie ist die Lehrveranstaltung kein Pflichtprogramm, sondern etwas vollkommen Freiwilliges“, sagt der Professor. Mancher Erstsemester sei den Schülern vom Wissen her nicht weit voraus.

Auch die Schüler verteilen gute Noten. „Das Verhältnis zu den Professoren ist entspannter als zu den Lehrern in der Schule. Man fühlt sich mehr akzeptiert“, sagt Armin Razmdjou.

„Ein ganzes Semester lang auszuprobieren, wie die Uni und die Menschen, die dort lehren und lernen ticken, und sich gleichzeitig den dort geforderten Leistungsanforderungen zu stellen, ist besonders für die eine Chance, die nicht aus einer Akademikerfamilie kommen – und ein Studium eher scheuen. Ohne Zeit- und Geldverlust, können sie nun testen, ob ihnen der Ausbildungsort Universität im Allgemeinen und das gewählte Fachgebiet im Speziellen liegt.“ Dafür allerdings müssen sie viel Freizeit und Energie investieren.

Armin Razmdjou aber kann damit gut leben. Auch vor dem Studium schon hat er in jeder freien Minute vor dem Computer gesessen und sich mit Informatik, Programmieren und IT-Sicherheit beschäftigt.

TECHNISCHE UNI

TU Berlin lädt am Donnerstag, den 11. März, von 16 bis 18 Uhr zu einer

Infoveranstaltung zum Studium für Schüler ein. Adresse: TU-Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Altbau 1. Stock, Hörsaal 1028. Es gibt Infos rund um das Studium ab 16, Schüler berichten von ihren Erfahrungen, Fragen können gestellt werden. Der Anmeldeschluss für ein Studium im Sommersemester ist der 1. April. Internet: www.tu-berlin.de/?id= 11251.

HUMBOLDT-UNI

Die Schüler-Angebote der Humboldt-Universität sind zusammengefasst auf der Seite www.hu-berlin.de/schueler. Interessenten können sich direkt an die Fakultät wenden, an der sie studieren möchten.

FREIE UNI

Die Freien Universität veranstaltet für Schüler vom 9. bis 22.August eine Sommeruni mit Veranstaltungen in Informatik, Mathematik, Bio, Chemie und Pharmazie. http://sommeruni.mi.fu-berlin.de/juj

Zur Startseite