zum Hauptinhalt

Überstunden: Wenn die Arbeit ruft

Mehr Zeit für den Job: Experten meinen, dass die klassische bezahlte Überstunde bald der Vergangeheit angehört. Worauf man bei Überstunden achten sollte.

Für die einen sind sie ein notwendiges Übel, die anderen verschwenden keinen Gedanken daran, wenn sie abends mal wieder „etwas länger im Büro bleiben“. Überstunden gehören für viele zum Arbeitsleben dazu wie Feierabend oder Urlaub. Die klassische bezahlte Überstunde könnte aber bald der Vergangenheit angehören, sagen Experten. Mehrarbeit wird zunehmend mit Arbeitszeitkonten aufgefangen.

Grundsätzlich können sich Angestellte in Deutschland nur schwer vor Mehrarbeit drücken. „Arbeitnehmer müssen Überstunden machen, wenn drei Bedingungen zutreffen“, sagt Michael Eckert, Vorstandsmitglied beim Deutschen Anwaltverein in Berlin. Arbeitgeber könnten Mehrarbeit einfordern, wenn sie betrieblich notwendig und zumutbar ist. Außerdem dürften keine gesetzlichen Vorschriften wie Lenk- und Ruhezeiten oder Höchstarbeitszeiten verletzt werden, erläutert der Anwalt für Arbeitsrecht aus Heidelberg.

„Wenn ein Arbeitnehmer einfach nur keine Lust hat, Überstunden zu machen, verstößt er gegen die gegenseitige Treuepflicht“, sagt Eckert. Allerdings müsse der Betriebsrat Überstunden immer zustimmen – es sei denn, es gibt eine entsprechende Betriebsvereinbarung. Was heutzutage überhaupt noch als Überstunde gilt, ist allerdings nicht mehr so einfach zu benennen.

„Überstunden sind mittlerweile ein schillernder Begriff“, sagt Hartmut Seifert vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Experten unterscheiden drei Arten von Überstunden: Zum einen gibt es die klassische Überstunde, für die Angestellte Zuschläge erhalten. Immer häufiger aber werde Mehrarbeit zu Stoßzeiten durch flexible Arbeitszeiten aufgefangen. An dritter Stelle stehen unbezahlte Überstunden ohne einen Ausgleich durch mehr Freizeit.

„Langfristig verlieren die bezahlten Überstunden aber an Bedeutung“, sagt Eugen Spitznagel, Leiter des Forschungsbereichs Konjunktur und Arbeitszeit am Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. „Wir wissen, dass es Arbeitszeitkonen im strengen Sinne häufiger in Großbetrieben gibt“, sagt Spitznagel. In kleineren Betrieben seien Arbeitszeiten oft flexibel und eher informell durch Absprachen geregelt. Arbeitszeitkonten erlauben es Betrieben, über die tariflich vereinbarte Arbeitszeit hinauszugehen, aber auch darunter zu bleiben, sagt Seifert. Mehrarbeit werde dabei mit Freizeit ausgeglichen. So gebe es auch langfristige Konten, die Arbeitnehmern etwa erlauben, Zeit für einen früheren Rentenbeginn anzusammeln.

Allerdings haben diese flexiblen Zeiterfassungsinstrumente nicht nur Vorteile: Die Arbeitszeitkonten müssen meist in einer bestimmten Frist ausgeglichen werden. Noch ein Nachteil sei, dass Angestellte häufig keinen Zuschlag für ihre Mehrarbeit erhalten, sagt Seifert. In einigen Arbeitsverträgen ist die Arbeitszeit dagegen überhaupt kein Thema. Das sei vor allem bei kreativer Projektarbeit etwa in Werbe- und Eventagenturen oder Wirtschaftsberatungen der Fall, sagt Karl-Friedrich Raible von der Beratungsfirma Kienbaum in Frankfurt am Main. „Da zählen Resultate, nicht die Anwesenheit.“

Dafür dürfen Projektarbeiter auf Prämien und Boni hoffen. „Wenn keine Zeitvorgabe im Arbeitsvertrag erwähnt ist, muss das im Preis – also im Gehalt – mit inbegriffen sein“, betont Raible. Gerade im Bereich der Fach- und Führungskräfte gebe es oft solche variablen Vergütungsmodelle. Dabei könnten Prämien höher ausfallen, wenn die Ergebnisse vor der vereinbarten Zeit vorgelegt werden.

Grundlage solcher „Vertrauensarbeit“ sei – wie der Name schon sagt – das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitarbeiter und Chef. „Von der Seite der Mitarbeiter muss zum einen die Bereitschaft zur Überperformance da sein“, sagt Raible. Auf der anderen Seite dürfe flexible Zeiteinteilung nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer irgendwann „ausgepowert“ sind. „Das Nachfolgeprojekt sollte nicht schon starten, wenn das andere gerade in der Abschlussphase ist“, pflichtet Arbeitsmarktexperte Seifert bei. Denn variable Arbeitszeiten sollten Mitarbeitern in ihrer Flexibilität zugute kommen, sagt Seifert.

Aus rechtlicher Sicht stehen jedoch die Belange des Betriebs an erster Stelle. „Ob die Arbeitszeiten also in Konflikt mit den privaten Belangen stehen, hängt sehr vom Betrieb ab.“ Mit einem normalen Familienleben etwa seien ständig wechselnde Arbeitszeiten oft nicht vereinbar. (mit dpa)

Annika Graf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false