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ZAHLEN, JA BITTE Was man mit Mathematik alles werden kann: Die Tüftlerin

Ob Klimawandel, Mobilfunknetze oder Informationstechnologien – die Welt steckt voller Mathematik. Wie sich junge Menschen, die gern logisch denken, für den Arbeitsmarkt qualifizieren

Wenn Wiebke Höhn Probleme löst, ist der Bildschirm auf ihrem Schreibtisch dunkel. Vor ihr liegt ein Stück Papier, das sich nach und nach mit Gleichungen füllt, mit Buchstaben, Integralen und Summenzeichen. Sie spielt mit den Zeichen, ergänzt, streicht durch, beginnt noch mal von vorn. Erfolglos. Der Bogen landet im Müll. Ein weiterer Tag ohne Ergebnis. Die Idee, wie die Aufgabe doch aufgehen könnte, wird ihr ganz plötzlich kommen, irgendwann, beim Sport, beim Wäscheaufhängen oder im Kino.

Die 27-Jährige hat sich daran gewöhnt, dass Probleme zu lösen oft erst einmal ziemlich lange Frust und dann später, vielleicht, auf Wolke sieben schweben bedeutet. Im vergangenen Jahr hat sie ihr Studium an der Technischen Universität (TU) Berlin mit einem Diplom in Mathematik abgeschlossen. Seit Oktober schreibt sie ihre Doktorarbeit zum Thema „Das stochastische Time-Cost-Tradeoff-Problem“. Dafür arbeitet Höhn an einem Modell für Firmen aus der chemischen Industrie. Sie berechnet Wahrscheinlichkeiten (Wie lange könnte die eventuelle Reparatur einer Maschine dauern?) und versucht herauszufinden, wie sich die Variablen, Anzahl der Arbeiter, Zeit und Kosten, am günstigsten zusammenbringen lassen.

Mit ihren Qualifikationen hat Höhn auf dem Arbeitsmarkt so gute Chancen wie nie. Längst holen sich Firmen nicht nur Ingenieure von den Hochschulen, sondern eben auch Mathematiker.

Nach dem Jahr der Geisteswissenschaften hat das Bundesforschungsministerium das Jahr 2008 zum Jahr der Mathematik erklärt. Wettbewerbe, Planspiele und Ausstellungen rücken die Bedeutung der Rechenkunst im Alltag in den Blick. „Wenn die Mathematiker streiken würden wie jetzt die BVG, stünde die Welt still“, sagt der Berliner Mathematikprofessor Jürg Kramer. Die optimale Auslastung von Mobilfunknetzen, Sicherheit im Internet, Wettervorhersagen, Geldkarten, Logistik, Verkehr – all das sei ohne Mathematik nicht denkbar. Wenn auch nicht immer reine Mathematiker dabei am Werk seien, so spielten doch mathematisch abstraktes Denken und Analysieren eine bedeutende Rolle. Und dieser Bedarf spiegelt sich auf dem Arbeitsmarkt wider.

„Technologie wird im gesellschaftlichen Alltag immer wichtiger und entsprechend spielen auch mathematische Kompetenzen in Wirtschaft und Industrie eine immer größere Rolle“, sagt Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Berlin. Das bestätigen Unternehmen. Siemens zum Beispiel sucht Akademiker mit mathematisch-technischen Fähigkeiten. Die Beratungsgesellschaft KPMG stellt für das Risikomanagement Mathematiker ein, die systematisch Wahrscheinlichkeiten bei Finanzgeschäften erfassen. Bei der Citybank analysieren sie den Markt oder unterstützen als Controller Geschäftsleitungen bei der Planung und Umsetzung ihrer Aktivitäten. „Mit mathematischen Fähigkeiten haben Jugendliche gute Perspektiven“, sagt auch Gerald Meise von der Arbeitsagentur in Mitte. Er berät Abiturienten. So zahlreich wie die Anwendungsbereiche seien auch die Wege in den Job.

Meise erkennt die Mathematikbegabten nicht nur am Zeugnis. „Die jungen Mathematiker kommen meist gut vorbereitet in das Gespräch“, sagt er. Sie haben ein klares Ziel vor Augen, wollen etwa im Klimaschutz arbeiten oder im Bereich Erneuerbare Energien. Sie kommen, um sich über die Möglichkeiten dorthin zu informieren. Die Agentur bietet ihnen Schnuppervorlesungen an Hochschulen, und Tests, die ihre Eignung für das Fach feststellen.

Wer Mathe studieren will, kann sich einerseits an der TU, der Freien Universität (FU), der Humboldtuniversität oder auch der Technischen Fachhochschule (TFH) dafür einschreiben und abstrakte Welten analysieren. Das Interesse an dem Fach ist vergleichbar gering: Zum Wintersemester 2006/2007 schrieben sich an Berliner Hochschulen knapp 450 Studenten für das Fach ein – von insgesamt fast 22 000 Studienanfängern. Konkretere Mathematik ist da beliebter. An der FU etwa ist das Interesse an den Mathe nahen Studiengängen Physik und Informatik in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Auch Maschinenbau oder Elektrotechnik ist für mathematisch Begabte interessant. Außerdem kann man anwendungsorientierte Mathematik studieren: Die TU bietet Wirtschaftsmathematik und Technomathematik an.

Nach der Immatrikulation kommen auf die Einsteiger allerdings ein bis zwei harte Semester zu, weiß Wiebke Höhn. Erst nach und nach finde man sich in die analytische Denkweise ein. Die Abbrecherquote ist entsprechend hoch. Mehr als jeder zweite Anfänger wirft nach den ersten Semestern das Handtuch.

Der Bachelorabschluss ist zwar formell schon ein Studienabschluss. Wer aber tiefer in die Materie eindringen will, braucht den Master. Die FU bietet den anwendungsorientierten Studiengang Scientific Computing an. Hier kommen mathematische Theorie und praktische Lebenswelt zusammen. Die Studenten berechnen etwa, wie sich Energiehaushalte optimieren lassen, führen Berechnungen für die Medikamentenherstellung durch oder befassen sich mit Prognosen von Naturkatastrophen. „Mit Gleichungen lässt sich so gut wie alles beschreiben“, sagt der Fachberater Professor Ralf Kornhuber.

„Gerade Akademiker, die mathematisch denken und außerdem spezielle fachpraktische Kenntnisse mitbringen, wie zum Beispiel Maschinenbauer, Elektroingenieure oder Informatiker, sind gefragt“, sagt Wirtschaftsexperte Schäfer.

Wiebke Höhn macht sich über ihre berufliche Zukunft jedoch keine Sorgen. Bereits jetzt verdient sie rund 36 000 Euro im Jahr, in etwa so viel wie ein Absolvent, der in der Industrie oder Wirtschaft einsteigt. Wie lange sie an der Uni bleibt, weiß sie noch nicht. Das Forschen macht ihr viel Spaß. Logisches Denken ist für sie zur Philosophie geworden.

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