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Zeitarbeit: Techniker auf Wanderschaft

Zeitarbeiter haben einen schlechten Ruf. Doch gerade Flugzeug- oder Fahrzeugbauer greifen immer häufiger auf Ingenieure von Dienstleistern zurück. Für Absolventen ein ideales Sprungbrett für die eigene Laufbahn.

Wenn Milliardäre sich eine Luxusyacht bauen lassen, spielt Geld keine Rolle. Goldene Armaturen im Bad? Zählen zur Standardausstattung. Bei der Planung geht es eher um andere Fragen. Sollen im Schlafzimmer zwei oder drei 45-Zoll-Fernseher an der Wand hängen? Und die vier Meter breite Eichentür zum Gästezimmer: Soll die als automatische Schwenk- oder als Schiebetür konstruiert werden? Ingenieur Jochen Huth, 33, geht solchen Fragen nach. Er fertigt aus den exklusiven Wünschen wohlhabender Kunden funktionstüchtige Schiffe und verlegt die Leitungen und Rohre für Klo, Klima und Wasser so, dass man am Ende nur ahnen kann, wo die Boardtechnik steckt. Ein ziemlicher spannender Job also, sollte man meinen. Huth aber sagt: „Das Produkt ist mir egal.“ Für ihn liegt der Reiz in der Vielfalt seines Berufs. Plant er heute nämlich eine Yacht, kann es morgen schon ein Auto sein. Und übermorgen etwas ganz anderes.

Denn der Diplom-Ingenieur, der in Bremerhaven Fertigungstechnik studiert hat, arbeitet für den Ingenieurdienstleister Teccon. Und der verleiht Spezialisten wie Jochen Huth an Kunden, die sich keine große Belegschaft leisten wollen. Derzeit ist Huth im Auftrag der Bremer Lürssen-Werft unterwegs und entwirft Yachten. Gerade gut ausgelastete Schiffbaufirmen wie Lürssen, aber auch Flugzeug-, Fahrzeug- und Großanlagenbauer, greifen immer häufiger auf externe Dienstleister zurück. Branchenführer Ferchau Engineering zum Beispiel hat die Zahl seiner Mitarbeiter in zehn Jahren fast verdoppelt – auf heute 3600. Wie die anderen großen Ingenieurdienstleister wollen die Gummersbacher im laufenden Jahr mehrere Hundert Absolventen einstellen.

Der Vorteil für die Auftraggeber: Mit Hilfe der Dienstleister lassen sich Ingenieure flexibel bei bestimmten Projekte einsetzen. Eigenes Know-how muss ein Unternehmen nicht aufbauen. Läuft ein Projekt aus, gehen die Ingenieure wieder – und zwar ohne Abfindung, oder Streik. Im Grunde ist das klassische Arbeitnehmerüberlassung. So nennt sich offiziell, was quer durch die Branchen als Leiharbeit verpönt ist. Ingenieurdienstleister aber haben regelmäßig Probleme, ihre Referenzen nennen zu können. Denn ihre Auftraggeber scheuen die Öffentlichkeit. Wo Airbus draufsteht, soll auch nur Airbus drin stecken, will der Flugzeugbauer glauben machen. Doch allein Airbus beschäftigt etwa 6000 externe Spezialisten. Offen darüber sprechen will man nicht. Im Gegenteil: Das Unternehmen ist bemüht, nicht in Zusammenhang mit Ingenieurdienstleistern gebracht zu werden.

Dabei muss Zeitarbeit für Ingenieure kein Karrierekiller sein: Nicht zuletzt wegen des schlechten Rufs der Leihbranche versuchen Dienstleister von Ingenieuren, sich von den übrigen Zeitarbeitsfirmen abzugrenzen: Anders als viele Konkurrenten bieten sie ihren Angestellten unbefristete Festverträge und tarifliche Bezahlung, und bilden ihre Ingenieure aufwändig weiter, damit sie möglichst variabel eingesetzt werden können.

Weil die fachliche Qualifikation der Dienstleister in den technischen Branchen nicht angezweifelt wird, ist der Einstieg bei ihnen kein Karrierekiller, sondern eine ernsthafte Alternative für Uni-Absolventen. Ingenieure von Ferchau, Teccon, Hays oder Brunel kommen viel rum, lernen eine Menge und knüpfen wichtige Kontakte.

„Für viele Absolventen sind Ingenieurdienstleister ein Sprungbrett“, sagt Jens Siegloch, Partner bei Kienbaum in Stuttgart und Kenner der Branche. Außerdem schicken die Unternehmen ihre Mitarbeiter zum Schaulaufen zum Kunden – unfreiwillig, versteht sich. „Für Konzerne wie Siemens sind die Dienstleister auch ein riesiger Ressourcenpool“, sagt Siegloch. Wenn einer auffällt, bekommt er ein Angebot. Den Rest erledigen dann ein paar Tausend Euro mehr Gehalt.

So ungefähr lief das auch bei Stefan Bärow. Der Wirtschaftsingenieur war für Ferchau Engineering auf Projekteinsatz bei Siemens Power Generation. Dort hat er die Qualität von Gasturbinenschaufeln überprüft. Und das offenbar so zuverlässig, dass Siemens den 30-Jährigen einstellen wollte. So wechselte Bärow nach nur sieben Monaten bei Ferchau zur Siemens-Kraftwerkssparte nach Berlin. Dort checkt er nicht mehr nur die Qualität der Turbinenbauteile, sondern kümmert sich mit zwölf Kollegen um die Beschaffung von Gasturbinenschaufeln. Diese stehen am Eingang des Strömungskanals einer Turbine und müssen hohen Belastungen wie Hitze, Kälte oder Druck standhalten. Siemens traut es weltweit nur 20 Lieferanten zu, diese Anforderungen zu erfüllen. Bärow betreut einen englischen Zulieferer. Mit den dortigen Kollegen spricht er die Anforderungen durch, prüft die Lieferqualität und schaut ab und an auch mal im Werk nach dem Rechten. „Nach meinem Studium wollte ich eigentlich ein bisschen reisen“, erzählt Stefan Bärow. Und eben das versprach die Stellenausschreibung des Dienstleisters Ferchau. Also bewarb sich der Fachhochschul-Absolvent bei den Gummersbachern.

Mit Erfolg. Schon kurze Zeit später reiste er im Auftrag des Unternehmens zu einer Inspektion in die USA. Auch wenn es letztlich nur sieben Monate waren – auf Ferchau lässt der Wirtschaftsingenieur nichts kommen: „In Sachen Qualifizierung sind die echt Spitze“, sagt Bärow, „man lernt beim Dienstleister unheimlich viel.“ Genau das Richtige für einen wie ihn, der sich nach dem Studium erst einmal am Markt orientieren möchte. Er sagt, mit Blick auf Siemens: „Der Trend geht in vielen Industriebereichen ganz klar hin zur Auslagerung von Projekten an externe Dienstleister.“

Allerdings ist klar, dass die Aufstiegsmöglichkeiten bei einem Ingenieurdienstleister begrenzt sind. Karriere macht es sich besser bei einem Weltkonzern wie Siemens; die flachen Strukturen des Dienstleisters eignen sich eher für Leute, die nach dem Studium Erfahrung sammeln wollen. Anders als bei Autozulieferern etwa laufen Jungingenieure dort kaum Gefahr, anfangs monatelang für eine eintönige Aufgabe, etwa die Halterung eines PKW-Außenspiegels, zuständig sein zu müssen.

Drei Jahre hält Kienbaum-Partner Jens Siegloch für eine ideale Zeit, die man bei einem Dienstleister arbeiten sollte. So lange würden die meisten Unternehmen auch warten, bis sie einen abwerben: „Mit drei Jahren Berufserfahrung kann man einen Ingenieur noch bezahlen und muss ihm nicht gleich Führungsverantwortung geben“, sagt Siegloch.

Die Besten werden oft schon vor Ablauf der drei Jahre schwach und wechseln zu einem großen Konzern. Denn die Gehälter sind dort in der Regel besser. .Offizielle Zahlen gibt Ferchau nicht raus, aber nach Recherchen des Tagesspiegels erhalten Einsteiger ein monatliches Grundgehalt von etwa 2500 Euro zuzüglich Zuschlägen. Das liegt im Industrievergleich unter dem Durchschnitt. Viel mehr investieren die Gummersbacher allerdings in die Personalentwicklung – „diese Investitionen können sich auch für den Mitarbeiter auszahlen“, meint Mario Launert, Leiter der Ferchau-Niederlassung Siegen. Das Dilemma: Einerseits muss Ferchau viel Geld in die Weiterbildung stecken, um möglichst viele Projekte übernehmen zu können. Andererseits riskiert das Unternehmen gerade wegen des hohen Qualifizierungsaufwands, dass Industriekonzerne die vielseitigen Mitarbeiter abwerben.

Wenn Teccon-Konstrukteur Jochen Huth ganz ehrlich ist, würde er über ein Jobangebot – von Yachtenbauer Lürssen oder wem auch immer – zumindest mal nachdenken. Aber im Grunde schätzt er gerade die Freizügigkeit des Ingenieurdienstleisters. Bevor er vor acht Monaten bei Teccon anfing, hat er als Selbstständiger eine Großanlage für die Pharma-Industrie gebaut und verfahrenstechnische Entwicklungen für ein Institut in Houston vorangebracht. Er ist also ordentlich rumgekommen – und das ist auch gut so. „Wenn ich in einem Großunternehmen wäre, würde ich wahrscheinlich immer dasselbe machen.“

Beitrag aus dem Karrieremagazin

Florian Willershausen

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