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Karrierefrage: Haben Behinderte das gleiche Recht?

Welchen arbeitsrechtlichen Status, welche Rechte und Pflichten haben die Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt? Das erklärt die Arbeitsrechtlerin beim DGB, Martina Perreng.

Ein Leser fragt: Meine Nichte hat das Downsyndrom und arbeitet Vollzeit in einer Behindertenwerkstatt. Sie leistet Steuer- und Versicherungsabgaben und hat einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, den sie zum Teil zu der Zeit nehmen muss, die die Arbeitgeberin vorgibt. Zudem darf sie ihre Urlaubsansprüche nicht bis zum 31. März des neuen Jahres übertragen. Ist das rechtens? Gilt das Arbeitsrecht nicht auch für Mitarbeiter von Behindertenwerkstätten?

Unsere Expertin antwortet: Die Frage, ob behinderte Menschen in einer Behindertenwerkstatt Arbeitnehmer sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Das Sozialgesetzbuch IX legt nur fest, dass behinderte Menschen, die in Werkstätten tätig, aber keine Arbeitnehmer sind, in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen. Eine klare gesetzliche Abgrenzung zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und Arbeitnehmern gibt es allerdings nicht.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber definiert, dass sich arbeitnehmerähnliche Personen von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit unterscheiden. Arbeitnehmerähnliche Personen sind in die betriebliche Organisation nicht eingegliedert und können relativ frei über ihre Zeit bestimmen. Beiden Beschäftigtengruppen gemeinsam ist die soziale Schutzbedürftigkeit.

Ergibt sich nach diesen Kriterien, dass Ihre Nichte Arbeitnehmerin ist, dann hat sie auch alle Rechte einer Arbeitnehmerin. Dafür spricht, dass sie alle Versicherungs- und Steuerabgaben leistet, offensichtlich in den betrieblichen Ablauf der Werkstatt integriert ist und nicht frei über Arbeitszeit und -einteilung entscheiden kann. Aber selbst wenn sie als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen wäre, gelten auch für sie die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG).

Allerdings ist es laut BUrlG zulässig, dass der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Belangen den Urlaub zumindest teilweise festlegt. Die Urlaubswünsche der Beschäftigten sind nur dann zu berücksichtigen, wenn dem nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Ist also die Behindertenwerkstatt im Sommer für drei Wochen geschlossen, kann der Betreiber verlangen, dass die Beschäftigten in dieser Zeit Urlaub nehmen.

Urlaubstage können aber laut BUrlG durchaus auf das nächste Jahr übertragen werden, und zwar dann, wenn sie aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht genommen wurden. Im Übrigen ist es nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht zulässig, die Inanspruchnahme bis zum 31. März des Folgejahres zu begrenzen. Ihre Nichte kann also, wenn sie den Urlaub etwa wegen Krankheit, nicht nehmen konnte, die Übertragung verlangen.

– Haben Sie auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns:
E-Mail: Redaktion.Beruf@tagesspiegel.de

Martina Perreng

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