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Wirtschaft: Karstadt heißt jetzt Arcandor

Deutsche Unternehmen lassen sich für viel Geld Kunstnamen verpassen. Hauptsache, sie klingen gut

Düsseldorf - Die Aktionäre waren etwas verwirrt, als Karstadt-Quelle-Chef Thomas Middelhoff ihnen jüngst den neuen Konzernnamen präsentierte. „Arcandor“ – das war erklärungsbedürftig. „Ist das ein Vogel?“, witzelte der Vertreter der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz. Andere verwiesen darauf, dass der Handelsriese mit Arcandor ab Oktober den Namen eines Gnomen aus „Der Herr der Ringe“ tragen würde. Middelhoff focht all dies nicht an. Das Wort stehe in anderen Sprachen für Mut und Treue und sei an Begriffe wie Gold (lateinisch „Aurum“) und Arkaden angelehnt.

Neuer Name, neues Glück: Wie Middelhoff bezeichnen immer mehr Konzernlenker ihr Unternehmen mit einem Kunstbegriff aus der Namensküche einer Werbeagentur. In den vergangenen Jahren entstanden Worte wie Eon, Novartis oder Arcelor. Demnächst will der Mischkonzern RAG, die ehemalige Ruhrkohle AG, unter einem frischer klingenden Namen endlich an die Börse.

Dahinter steht in solchen Fällen meist das Ziel, der Firma ein unverwechselbares und auf den weltweiten Märkten akzeptiertes Gesicht zu geben. Während früher der Name von Firmengründern wie August Thyssen, Friedrich Bayer oder eben Rudolph Karstadt genügend Solidität verkörperte, verlassen sich die Chefs von Großkonzernen heute verstärkt auf das Wissen von Namensexperten.

Das Geschäft von Agenturen wie Gotta Brands, Endmark oder Nomen läuft derzeit auch besonders gut, weil sich die Unternehmenslandschaft infolge der brummenden Konjunktur rapide ändert. „Fusionen und Übernahmen machen einen Großteil des Geschäfts aus“, sagt Endmark-Geschäftsführer Bernd Samland. Seine Agentur gab unter anderem der Bertelsmann-Tochter Arvarto, der Raststättenkette Serways und dem Fernsehsender Vox ihren Namen. Wenn etwa angelsächsische Finanzinvestoren ein deutsches Unternehmen kaufen, ersetzten diese oft den bestehenden Familiennamen durch einen, der in anderen Ländern besser klingt. Lediglich Namen, die bereits weltweit eingeführt sind wie der des Armaturenherstellers Grohe, könnten bestehen bleiben.

Um neue Namen zu erfinden, reicht Kreativität allein nicht aus. Denn an den meisten denkbaren Wortzusammensetzungen hält schon irgendjemand Rechte. „Von 100 Namen weisen 99 große Ähnlichkeiten zu bereits bestehenden auf“, sagt Samland.

Zu Beginn des Findungsprozesses müssen deshalb oft mehr als 1000 Vorschläge aufwändig geprüft werden. Nur ein Bruchteil davon entsteht in den Köpfen der Agentur-Mitarbeiter, den Großteil tragen Datenbanken und Wortschöpfungsprogramme bei. Dann beginnt ein gnadenloser Filterprozess, die meisten Namen scheiden schon aus rechtlichen Gründen aus. Sich beispielsweise einfach von Flora und Fauna inspirieren zu lassen, ist nutzlos. Samland: „Die attraktiven Tiere sind schon alle vergeben.“

Auch Existenzgründer setzen heute verstärkt auf leicht einprägsame Silbenkombinationen, zu denen die passende Internetadresse noch frei ist. „Gerade Gründer können sich aber die Finger dabei verbrennen“, sagt Manfred Gotta, Inhaber der gleichnamigen Agentur. Wer seinen Firmennamen später aus rechtlichen Gründen ändern muss, könnte aus diesem Grund scheitern. Allerdings ist es nicht ganz billig, eine professionelle Agentur mit der Namensfindung zu betrauen. Gotta etwa verlangt „100 000 bis 250 000 Euro“ für seine Dienste – bis zu 40 feste und freie Mitarbeiter seien in den Suchprozess eingebunden.

Schließlich bleiben eine Handvoll Namen übrig, die in den wichtigsten Sprachen der Welt gut klingen, rechtlich keine Probleme machen und dem Auftraggeber gefallen. Wichtig ist die gefühlte Identität eines Firmennamens. Ob er tatsächlich einen Bezug zum Unternehmen oder den Produkten hat, steht an zweiter Stelle. „Die Verbraucher hinterfragen die Namen nicht, es sei denn sie sind negativ besetzt“, sagt Bernd Samland. Tore und Zäune der Firma Gutenborg haben mit Schweden nichts zu tun. Der Name weckt beim Käufer dennoch den Gedanken an eine uneinnehmbare Wikingerfestung.

So verdrängen immer neue Wortgebilde wie Agrevo (Pflanzenschutz), Comprion (Technologie) oder Syneco (Energiehandel) traditionelle Namen mit direktem Bezug zum Geschäftsfeld des Unternehmens oder den Gründern. Aus der Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG (Veba) und den Vereinigten Industrieunternehmen AG (Viag) wurde im Jahr 2000 der Energiekonzern Eon. Manch ein Familienkonzern gibt seinen Namen auch wegen Sicherheitsbedenken weg – so wurde aus der Firma Rethmann der Abfallkonzern Remondis, und die Eignerfamilie rückte etwas aus dem Rampenlicht.

Hinter dem von Gotta entworfenen Namen für den RAG-Konzern steht derweil ein großes Fragezeichen. Als sei schon alles klar, rennen die von der RAG gesponserten Fußballer von Borussia Dortmund seit bald einem Jahr mit gelbem Ausrufezeichen auf der Brust durch die Bundesliga-Stadien, die Platzhalter für den künftigen neuen Namen sind. Doch der liegt seit Monaten nutzlos in der Schublade von RAG-Chef Werner Müller. Deshalb ist auch Manfred Gotta etwas beunruhigt. Nur wenn Müller den Konzern gegen Widerstände von Altaktionären und Politikern an die Börse führt, kann Gotta hoffen, dass „sein Unternehmen“ im Dax auftaucht. Für einen Namensschöpfer ist das die Krönung.

Nils-Viktor Sorge

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