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Wirtschaft: Karstadt wird zum Kaufhaus des Lächelns

BERLIN .So oder ähnlich hat es wohl jeder schon erlebt: Ein Kindergeburtstag ist zu feiern, Essen und Getränke stehen bereit, die Torte auch, doch dann fällt auf, daß etwas Entscheidendes fehlt: die Kerzen.

BERLIN .So oder ähnlich hat es wohl jeder schon erlebt: Ein Kindergeburtstag ist zu feiern, Essen und Getränke stehen bereit, die Torte auch, doch dann fällt auf, daß etwas Entscheidendes fehlt: die Kerzen.Der Etagenwegweiser im nächsten Kaufhaus liefert nichts Aufschlußreiches, also wird zunächst die Haushaltsabteilung angepeilt.Dort ist das Gewünschte nicht zu finden und das Verkaufspersonal mit der Diskussion über die nächste Kaffeepause beschäftigt.So dauert es eine Weile, bis man erfährt, daß Kerzen in der Geschenkabteilung zwei Stock tiefer zu finden seien.Da liegen sie, die Kerzen, aber die Kasse ist nicht besetzt.Man möge sich doch bitte "eine Sekunde" gedulden, schließlich hätten Verkäuferinnen nicht vier Hände, erklärt die einzige Angestellte knapp.Spätestens hier schwört jeder Kunde, dieses Kaufhaus nie wieder zu betreten.

Bei Karstadt soll das nie wieder vorkommen: Vor knapp neun Monaten gab der Vorstand grünes Licht für eine interne Lächelkampagne mit dem sinnigen Namen "Spirit Karstadt", mit der Deutschlands größter Warenhauskonzern frei nach US-Muster zum "kundenbewegten Unternehmen" mutieren soll.Das Rezept: Sind die Verkäufer motiviert, macht es den Kunden mehr Spaß zu kaufen, und das tut den Umsätzen gut.

Im Verbund mit Unternehmensberatern und einer Werbeagentur bastelten die Personalexperten des Konzerns ein Schulungsprogramm, mit dem die Mitarbeiter nun im Selbststudium lernen können, wie man knifflige Situationen meistert und zum "exzellenten Verkäufer" wird.Was tun, wenn der Tag damit beginnt, daß der erste Kunde langatmige Reklamationen loswerden will und dahinter eine Dame auf den Füßen wippt, weil sie es "ganz eilig" hat? Wie wird man zur "permanenten Freundlichkeitsmaschine", und sorgt dann auch noch dafür, daß das Gefühl ganz "von innen" kommt? Kein Problem, wenn man den Karstadt-Leitfaden hat: Vier Schulungsbücher liefern Tips und Anleitungen.Die ersten werden in diesen Tagen an die Mitarbeiter verteilt, auch in den sieben Berliner Karstadt-Häusern.

Immerhin rund 30 Mill.DM läßt sich das Unternehmen die Kampagne kosten."Wir haben lange in Bau, Steine, Erden investiert, nun investieren wir in die Menschen", sagt Konzern-Personalvorstand Heinz Plagge.Das Geld dürfte gut angelegt sein.Eine Kundenbefragung hatte nämlich wenig Erfreuliches zutage befördert: 68 Prozent der befragten Stammkunden bescheinigten dem Karstadt-Personal nur wenig "soziale Kompetenz", 57 Prozent vermissen individuelle Beratung, gut die Hälfte von ihnen finden auch die fachliche Beratung mangelhaft.

Höchste Zeit zum Gegensteuern.In Zeiten, da Sortiment und Preise immer auswechselbarer werden, müssen die Kunden anders überzeugt werden - durch Beratung und Freundlichkeit.Plagge nennt das "das emotionale Kriterium".Schließlich zeige sich immer deutlicher, daß es "die beharrliche Kundentreue früherer Zeiten nicht mehr gibt.Enttäuschung führt schnell zum Wechsel." Die Offensive ist mehr als ein PR-Gag.Der Vorstand hat die Spirit-Grundsätze gleich in einer Unternehmens-Verfassung verankert: Verantwortung des Mitarbeiters, Kompetenz, Initiative und Begeisterung.Führungskräfte werden dazu verpflichtet, den Mitarbeitern "den Rücken freizuhalten", Offenheit zu schaffen, Initiative und Selbständigkeit zu fördern und Meinungsvielfalt zu respektieren.Und nicht zuletzt heißt es darin auch: "Der Vorstand wünscht den hierarchieübergreifenden Dialog" - jeder Mitarbeiter ist künftig verpflichtet, mit Anregungen und Kritik notfalls bis zum Vorstand zu gehen.Mehr noch: Neue Mitarbeiter sollen die Grundsätze der Unternehmensverfassung als Zusatzvereinbarung zu ihrem Anstellungsvertrag unterschreiben, die Alt-Belegschaft kann sich "freiwillig" dazu bekennen.Sanktionen für die Freundlichkeitsverweigerer soll es aber nicht geben.

Beim Betriebsrat sieht man das Ganze positiv.Schließlich biete die Offensive "eine echte Chance, unsere Arbeitsplätze zu erhalten", sagt Hans-Henning Sandau, Betriebsratsvorsitzender bei Karstadt am Hermannplatz.Bei den Mitarbeitern sei gut angekommen, daß sie nicht mehr nur als ausführendes Organ gesehen werden, sondern nun selbst Verantwortung tragen und von höchster Ebene zu Kritik ermuntert werden."Das ist schon eine Revolution bei Karstadt", schwärmt Sandau.MARGARITA CHIARI

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