zum Hauptinhalt
Warten auf den Bus. Nur wenige Fernreisende kommen nach Kassel-Calden. Für April sind gerade einmal eine Handvoll Flüge geplant.

© dpa

Kassel-Calden: Ein Flughafen (fast) ohne Luftverkehr

Vor einem Jahr wurde der neue Airport in Nordhessen eröffnet. Doch auf dem Flugplan für April stehen nur vier Flüge.

Wer die blaue Tür öffnet und in die große moderne Halle tritt, dem nimmt der intensive Geruch von Kerosin fast den Atem. Ein gutes Dutzend Propellerflugzeuge steht auf dem glänzend weißen Fußboden. „Riecht doch gut“, meint Wilfried Otto, Chef der Piper Generalvertretung Deutschland. Die Firma sitzt seit 1968 an dem kleinen Flugplatz in der nordhessischen Gemeinde Calden bei Kassel, handelt mit Flugzeugen, verkauft Ersatzteile und wartet Maschinen. Fast so lange ist auch Wilfried Otto dabei. Jetzt ist der 74-Jährige mit seiner Firma und den rund 60 Mitarbeitern noch einmal umgezogen – an den neu erbauten Flughafen Kassel-Calden. Sieben Millionen Euro hat Otto in den neuen Standort investiert. „Für uns war der alte Platz nicht optimal, aber ausreichend“, sagt Otto. Trotzdem ist er überzeugt: „Wenn Kassel weiter wachsen will, braucht die Stadt einen richtigen Flughafen.“

Doch das ist heiß umstritten. Berlin ist nicht die einzige Stadt Deutschlands, in der der Neubau eines Flughafens für mächtig Ärger sorgt. Der entscheidende Unterschied: Der Flughafen Kassel-Calden ist pünktlich fertig geworden. Anfang April vor einem Jahr kam Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zur feierlichen Eröffnung. Alles funktioniert. Aber kaum jemand nutzt den Flughafen. Abgesehen von Firmenjets und Privatfliegern gab es im Winterhalbjahr keinen Ferien- oder gar Linienverkehr. Statt der zuletzt erwarteten 100 000 Passagiere starteten und landeten hier nicht einmal 47 000 Fluggäste. Frühere Gutachten waren für das erste Betriebsjahr sogar von mehr als 300 000 Passagieren ausgegangen. Die Stadt Kassel hat zwar nur knapp 200 000 Einwohner, die Gutachter bezogen sich aber auf ein Einzugsgebiet von zwei Millionen Einwohnern. Weil die Erwartungen weit verfehlt wurden, hat der neue Flughafen – finanziert mit 271 Millionen Euro Steuergeldern – 2013 einen Verlust von rund 6,8 Millionen Euro gemacht. Die Flughafen-Chefin wurde gerade gefeuert.

Einige Airlines, die hier fliegen wollten, sind Pleite gegangen

Ihr Nachfolger tritt seinen schwierigen Job am 1. April an. Denn auch der „Flugplan 2014 ab Kassel-Calden (inklusive Sonderflüge)“ passt bequem auf ein Din-A4-Blatt. „Im April wird es vier Flüge geben, ab Mai geht es dann richtig los“, gibt der Mitarbeiter am Info-Schalter Auskunft. Gerade einmal drei Fluggesellschaften stehen auf dem Plan. Germania zum Beispiel will zweimal in der Woche nach Antalya und Palma fliegen, steht dort. Turkish Airlines hat auch Interesse bekundet, von Calden zum Drehkreuz nach Istanbul zu fliegen, doch ein Angebot gibt es noch nicht. Die mangelhafte Kommunikation sei eines der großen Probleme des bisherigen Managements gewesen, sagen viele. Flüge wurden angekündigt, die dann nicht stattfanden. Die Passagiere mussten zum Teil mit dem Bus zum nur 70 Kilometer entfernten Flughafen Paderborn fahren. Das hat für viel Spott und Häme gesorgt.

Und die Verantwortlichen in Erklärungsnot gebracht. „Der Flughafen ist in einer für die Airlines ziemlich schwierigen Zeit an den Start gegangen“, sagt Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen. So sei eine Reihe der für Kassel geplanten Flüge weggefallen, weil es die Fluggesellschaft nicht mehr gab. In der Folge sei das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Touristikflüge gesunken. „Es war ein holpriger Start“, gibt Hilgen zu. Dass die Gesellschaften nicht früh auf den Flughafen gesetzt haben, liege aber vielleicht „auch ein bisschen daran, dass man in Deutschland nicht richtig weiß, ob ein Flughafen auch pünktlich fertig wird“. Reisebüros und Veranstalter hätten abgewartet, ob das Angebot auch real ist. Warum der Sommerflugplan immer noch so mager ist, erklärt das freilich nicht.

Der Flughafen ist zum Ausflugsziel geworden

Am neuen Terminal riecht es kein bisschen nach Kerosin, nur nach frisch gedüngtem Acker. Junge Bäume säumen die fast leeren Parkplätze. Die Sonne scheint an diesem Tag Ende März, die Vögel zwitschern. Ein Rentnerehepaar aus dem 30 Kilometer entfernten Fuldabrück besucht den einsamen Aussichtspunkt oberhalb des Flughafens. „Wir wandern regelmäßig durch die Umgebung. Heute ist Calden dran. Jetzt trinken wir Kaffee“, sagen sie und gehen in Richtung Terminal. Das Bistro Up & Away am Ende der fast menschenleeren Abflughalle ist tatsächlich geöffnet, jeden Tag. Der Cappuccino kostet 2,50 Euro, Jägerschnitzel oder Geschnetzeltes gibt es für 8,80 Euro. Zivile Preise für einen Flughafen. Gemächlich geht es zu. Ein Dutzend Leute sitzen hier, Mitarbeiter und Neugierige wie das Paar aus Fuldabrück.

Caldens Bürgermeister Andreas Dinges (parteilos) begrüßt den Mitarbeiter an der Information mit Handschlag. „Am Wochenende ist hier ganz schön was los“, sagt Dinges. Die Leute kommen zum Gucken, fliegen können sie ja im Moment nicht. „Ich war von Anfang an für den Flughafen“, sagt der 50-Jährige. Auch wenn dieses Infrastrukturprojekt seine 7500-Einwohner-Gemeinde viel Geld kostet. Das Defizit tragen nämlich die Anteilseigner – das Land Hessen 68 Prozent, die Stadt und der Landkreis Kassel (je 13 Prozent) und die Gemeinde Calden (sechs Prozent) – anteilig. Calden muss also für 2013 rund 400 000 Euro aufbringen – nicht leicht bei einem Haushaltsvolumen von 15 Millionen Euro.

Schüler warten in der Abflughalle auf den Bus

Es ist nichts los am Flughafen Kassel-Calden.
Es ist nichts los am Flughafen Kassel-Calden.

© Corinna Visser

In Kassel wird schon kolportiert, dass in Calden nachts die Lichter ausgehen, um den Flughafen finanzieren zu können. „Wir schalten die Straßenbeleuchtung nachts zwischen halb eins und halb fünf Uhr ab. Aber das war schon immer so, aus Sparsamkeit“, stellt Dinges klar. Aufgefallen sei das nur an Silvester, als die Caldener ab halb eins im Dunkel standen und dann den hell erleuchteten Flughafen vor sich sahen. „Ich habe denen immer gesagt, dass sie wenigstens vor dem Terminal das Licht löschen sollen“, sagt Dinges ein bisschen verärgert. Doch passiert sei nichts. Überhaupt sei es immer schwer gewesen, am Flughafen jemanden zu erreichen. Auch für die Fluggesellschaften, die Interesse zeigten. Kommunikationsprobleme eben.

Während Dinges spricht, kommt eine Gruppe Schüler in die Abflughalle, nimmt auf den bequemen Ledersesseln in einer Ecke Platz. „Was macht ihr hier“, fragt Dinges freundlich. „Wir warten auf den Bus“, antworten die Schüler. Verkehr gibt es also am Flughafen, nur eben zu wenig in der Luft.

Die Regionalflughäfen kosten die Steuerzahler viel Geld

Deutschland hat etwas mehr als 60 Regionalflughäfen und regionale Verkehrslandeplätze. Die meisten Regionalflughäfen kosten die Steuerzahler viel Geld. Im vergangenen Jahr haben im ganzen Land überhaupt nur Frankfurt, München und vier weitere Flughäfen ein positives Ergebnis erwirtschaftet, berichtet der Flughafenverband ADV. Ein weiterer Wettbewerber macht die Lage nicht einfacher, zumal die Flughäfen in Paderborn, Hannover und Frankfurt von Kassel aus in weniger als zwei Stunden zu erreichen sind.

Bürgermeister Hilgen macht eine andere Rechnung auf: „Wir sind ja nicht irre im Kopf. Wir haben uns schon ein paar Gedanken gemacht, warum wir den Flughafen brauchen“, sagt er. Für die Stadt habe das Thema Ferienflüge nie im Zentrum der Investitionsentscheidung gestanden. „Wir haben eine ganze Reihe von international tätigen Unternehmen, die in der Welt ihr Geld verdienen“, sagt Hilgen. Dazu gehören zum Beispiel K+S und Wintershall oder die Werke von Mercedes Benz und Volkswagen. Tatsächlich waren die allermeisten der 22 891 Starts und Landungen im Jahr 2013 Privat- und Geschäftsflüge. „Ein Anschluss an das internationale Luftverkehrsnetz gehört zu einer prosperierenden Region genauso dazu, wie ein ICE- und ein Autobahnanschluss“, meint Hilgen. „Diese Kernfunktion nimmt der Flughafen wahr.“

Der Flughafen soll Jobs sichern und neue schaffen

Hinzukommen die Arbeitsplätze, die mit dem Flughafen verbunden seien. Das sind 140 Jobs direkt am Flughafen und rund 700 weitere bei Unternehmen wie etwa Piper. Die Gewinn- und Verlustrechnung der Flughafengesellschaft sei dabei nicht entscheidend, sagt Hilgen. „Auch wenn wir natürlich daran arbeiten, den Verlust so klein wie möglich zu halten.“ Im Zentrum stehe die regionalwirtschafliche Bedeutung des Flughafens „als Tor von Kassel in die Welt“.

Hilgens ehemaliger Parteifreund Bernd Hoppe (inzwischen: Demokratie erneuern) sieht es eher als ein Fenster zum Geld rausschmeißen. Der Flughafen werde neben den 271 Millionen Euro, die er gekostet hat, jedes Jahr weitere Millionensummen verschlingen, weil es für ihn schlicht keinen Bedarf gebe. Dieses Geld fehle der Stadt für Bibliotheken, Freibäder und Schulen. Hoppe hat ein Bürgerbegehren initiiert, mit dem Ziel, dass Kassel seinen Anteil am Flughafen abgibt. Bisher haben 1000 Leute unterschrieben.

Heinz Pirali und Heinrich Mander werden das auf gar keinen Fall tun. Die beiden Senioren aus dem 20 Kilometer entfernten Burghasungen sitzen mit zwei Freunden in der Gaststätte Aviation Corner direkt am Eingang für den Allgemeinen Luftverkehr. Durch die Fensterscheibe können sie beobachten, wie die Geschäftsflieger anrollen. Hier ist tatsächlich Betrieb. Gerade ist Ludwig Georg Braun gelandet, Aufsichtsratschef der Medizintechnikfirma B. Braun Melsungen. Er steigt aus dem Flieger und direkt ins wartende Auto – es ist ein Flughafen der kurzen Wege. Heinrich Mander hatte Glück, auch er ist schon von Calden nach Kroatien geflogen. Sein Flug wurde nicht gestrichen. „Nordhessen ist eine boomende Region“, sagt sein Freund Pirali. „Es ist wichtig, dass hier investiert wird und Arbeitsplätze entstehen.“ Dann ziehen die vier Freunde weiter, denn um vier Uhr macht das Aviation Corner zu.

Zur Startseite