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Wirtschaft: Kassen kommen Betriebsrentnern entgegen

Krankenversicherungen versprechen Rückzahlung für alle, wenn sie die Musterprozesse verlieren

Berlin (hej). Im Streit um die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Betriebsrentner sollen jetzt Musterverfahren für rechtliche Klarheit sorgen. In einem internen Treffen einigten sich die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen nach TagesspiegelInformationen am Mittwochabend auf ein solches Vorgehen. Sollten die Kassen die Prozesse verlieren, wollen sie allen Betroffenen die erhöhten Beiträge zurückzahlen. Nun müssen nur noch die Vertreter der Betriebsrentner zustimmen. Der Sozialverband VdK und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) signalisierten am Donnerstag jedoch bereits ihr Einverständnis.

Mit den Musterverfahren soll verhindert werden, dass Krankenkassen und Sozialgerichte von Widersprüchen und Klagen erboster Betriebsrentner überschwemmt werden. Seit Anfang dieses Jahres müssen Betriebsrentner für ihre Zusatzrente den vollen Krankenkassenbeitrag aus eigener Tasche zahlen. Bis Ende des vergangenen Jahres war es nur die Hälfte. Statt bisher sieben Prozent werden jetzt 14 Prozent fällig, je nach Krankenkasse etwas weniger oder mehr.

Wer sich eine Direktversicherung bei Rentenbeginn auf einen Schlag auszahlen ließ, musste bis vor wenigen Wochen überhaupt keine Krankenkassenbeiträge abführen. Seit Jahresanfang werden auch für solche einmaligen Kapitalleistungen Beiträge an die Krankenkasse fällig – über zehn Jahre gestreckt. Die Belastung der Betriebsrentner ist Teil der Gesundheitsreform und soll den gesetzlichen Krankenkassen neue Einnahmen bringen. Mitglieder von privaten Versicherungen sind derzeit nicht betroffen.

Gegen die neue Regelung laufen die Betriebsrentner Sturm. Die Kassen werden mit Widersprüchen überhäuft, auch bei den Sozialgerichten sind bundesweit bereits zahlreiche Klagen anhängig. Da die Bezieher der gesetzlichen Renten weiterhin nur mit dem halben Kassensatz belastet werden, könnte die Inanspruchnahme der Betriebsrentner eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung sein, meint der Berliner Fachanwalt für Sozialrecht, Hans-Günther Becker-Lühl.

Um Kosten zu sparen und für eine größere Übersichtlichkeit zu sorgen, wollen die Krankenkassenverbände jetzt die Rechtslage anhand von vier oder fünf typischen Musterverfahren vor den Sozialgerichten klären lassen. Wie der Tagesspiegel aus Verbandskreisen erfuhr, wollen die Kassenverbände dabei den Betroffenen entgegenkommen. Sollten in den Verfahren die Rentner siegen, wollen die Krankenkassen eventuelle Beitragsrückerstattungen auch den Senioren zugute kommen lassen, die keinen Widerspruch eingelegt haben. Bei den Krankenkassen geht man davon aus, dass das Verfahren letztlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird. Bei einem Treffen im Februar zwischen den Kassenverbänden auf der einen Seite sowie VdK und DGB auf der anderen soll das weitere Vorgehen abgesprochen werden.

Grundsätzliche Probleme dürfte es nicht geben. Den Musterverfahren wollen auch die Vertreter der Betriebsrentner zustimmen. „Die Gerichte würden sonst von Klagen der Betriebsrentner überschwemmt“, sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger dem Tagesspiegel. Bei Sammelklagen der Betriebsrentner bliebe zudem die Unsicherheit, was mit den Betroffenen geschieht, die sich an den Klagen nicht beteiligt haben. „Wir begrüßen die Musterverfahren“, so Hirrlinger.

Auch der DGB ist bereit, sich auf Musterverfahren einzulassen. „Sonst würden die Gerichte und Krankenkassen überfordert“, betont auch Renate Gabke, Leiterin des Referats Sozialrecht. Sich abzusprechen, sei ein „vernünftiges Vorgehen“. In den vergangenen Wochen hatten bereits zahlreiche Einzelgewerkschaften ihren Mitgliedern rechtliche Unterstützung beim Streit mit den Krankenkassen angeboten.

Dennoch hofft der DGB noch auf eine politische Lösung. Bereits Anfang der Woche hatte die stellvertretende Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Ursula Engelen-Kefer, die Politik aufgefordert, die Krankenkassen-Regelung wieder zurückzunehmen. Die Belastung der Betriebsrentner mache die „betriebliche Altersvorsorge noch weniger attraktiv“, kritisierte am Donnerstag auch Referatsleiterin Gabke. Die Politik könne nicht die betriebliche Vorsorge propagieren und sie dann mit neuen Abgaben belasten.

Im zuständigen Bundessozialministerium lehnt man den Vorstoß des DGB ab. „Eine Gesetzesänderung ist nicht geplant“, sagte eine Sprecherin. Bundessozialministerin Ulla Schmidt hat stets betont, dass sie es für gerechtfertigt hält, die Betriebsrentner stärker zur Kasse bitten. Diese würden deutlich höhere Kosten verursachen als sie in das System einzahlen.

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