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Wirtschaft: Kassen wollen Gesundheitsreform verschieben

Barmer: Großer Umbau ab 2007 ist nicht zu stemmen – Regierung sollte sich mehr Zeit nehmen und die Ausgaben senken

Berlin - Namhafte gesetzliche Krankenkassen haben die Regierungskoalition aufgefordert, eine große Gesundheitsreform nicht mehr für 2007 einzuplanen. Union und SPD sollten stattdessen das drohende Finanzloch von sieben Milliarden Euro schließen, um die Beiträge stabil zu halten. Das Vorhaben, die Ausgaben stärker über Steuern zu finanzieren, stieß auf Skepsis. „Dann wird es eine Gesundheitspolitik nach dem Gusto des Finanzministers geben“, warnte Rudolf Hauke, Vizechef der viertgrößten Kasse KKH.

„Ein funktionierender Gesundheitsfonds ist schon 2007 nicht zu realisieren, dazu ist die Materie zu komplex“, sagte Eckart Fiedler, Chef der größten deutschen Kasse, Barmer, dieser Zeitung. Vor 2009 werde das nicht funktionieren. Die Kassen bräuchten aber jetzt Klarheit darüber, wie die Finanzlage im kommenden Jahr aussieht. Für 2007 rechnen die Kassen mit einem Minus von sieben Milliarden Euro. „Das sich abzeichnende Defizit und die damit einhergehenden Beitragserhöhungen ließen sich mit vergleichsweise kleinen Reformschritten vermeiden“, befand Fiedler. Es sei daher „völlig verkehrt“, den bestehenden Zuschuss aus der Tabaksteuer für versicherungsfremde Leistungen über 4,2 Milliarden Euro zu streichen, wie es die Regierung plant.

Auch die viertgrößte Kasse, die KKH, warnte vor übereilten Entscheidungen. „Man sollte die große Gesundheitsreform verschieben, damit bei den Beratungen nicht ein verhängnisvoller Kompromiss herauskommt, der das System beschädigt“, sagte Vizechef Hauke. Dafür hatte auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) plädiert, nachdem die Koalition bislang noch uneins ist.

Um das Finanzproblem 2007 zu lösen, schlug Fiedler vor, privat Versicherte „schnell“ am Solidarsystem zu beteiligen, etwa durch eine Erhöhung der Versicherungsteuer. Eine komplette Einbeziehung könne dem System zehn Milliarden Euro bringen. KKH-Vizechef Hauke regte an, Privatkassen in den Finanzausgleich der gesetzlichen einzubeziehen. Außerdem könne der Mehrwertsteuersatz auf Medikamente halbiert werden. „Fondslösung und Prämienmodell könnte man dann zu den Akten legen.“ Herbert Rebscher, Chef der zweitgrößten Kasse, DAK, nannte es „skandalös“, dass der Staat die Gesundheitskosten durch die Mehrwertsteuererhöhung in die Höhe treibe. Dies werde 2007 mit einer Milliarde Euro zu Buche schlagen.

Uneins waren sich die Kassenchefs über eine stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens, wie sie vor allem die SPD anstrebt. Während Barmer-Chef Fiedler einen Gesundheits-Soli als Möglichkeit begrüßte, Besserverdiener stärker an den Kosten zu beteiligen, lehnte Hauke ein stärkeres Engagement des Fiskus ab. „Im großen Stil Steuergeld in die Krankenversicherung zu stecken, halte ich für gefährlich“, sagte er. DAK-Chef Rebscher war ebenfalls dagegen. „Eine Versorgung, die sich nicht am medizinischen Bedarf orientiert, sondern an der instabilen Kassenlage des Finanzministers, dürfen wir nicht zulassen.“ Kernleistungen der Krankenversicherung über Steuern zu finanzieren, sei „ein ordnungs- und finanzpolitischer Irrweg“.

Die Kassen plädierten dafür, bei der Reform stärker als bislang geplant die Ausgaben zu senken. „Mit neuen Strukturen und mehr Wettbewerb im System ließen sich kurzfristig zwei bis drei Milliarden Euro sparen, langfristig sogar bis zu 20 Milliarden“, sagte KKH-Vizechef Hauke. Dazu habe die Koalition aber offenbar nicht den Mut. Barmer-Chef Fiedler bemängelte, die Ausgaben für Medikamente stiegen trotz der Kostendämpfungsversuche auch in diesem Jahr um vier bis fünf Prozent. „Das ist viel zu viel, eigentlich müssten die Ausgaben sinken.“ Auch bei den Krankenhäusern sei die Steigerungsrate zu hoch. Hier sei mehr Wettbewerb angezeigt. „Vor allem mit den niedergelassenen Fachärzten könnte man sehr viel Geld sparen und teure Doppelstrukturen begrenzen.“

Unterdessen plant die Koalition auch, die Zahl der heute 252 Krankenkassen drastisch zu reduzieren. Erwogen wird eine Mindestgröße von einer Million Mitgliedern, die derzeit nur 13 große Ersatzkassen und Allgemeine Ortskrankenkassen haben. Das Gesundheitsministerium bestätigte das Ziel, weniger und schlagkräftigere Kassen zu schaffen. Gegen den Plan votieren aber die 198 Betriebskrankenkassen, von denen keine einzige mehr als eine Million Mitglieder hat. Das Vorhaben löse kein einziges Problem des Gesundheitswesen, erklärte der BKK-Bundesverband, kleine Kassen seien sogar effizienter als große.

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