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KAUFEN oder NICHT: Knigge als Groschenroman

DAS TESTURTEIL0 Punkte: Hände weg und alle Bekannten warnen, 5 Punkte: Noch mal drüber schlafen, 10 Punkte: Sofort kaufen

Jetzt geht es aufwärts, mitten in der Krise. Ich gönne mir den neuen Knigge und komme „spielend zum guten Benehmen“. Das kostet mich in Internet-Shops knapp 40 Euro – jedenfalls die Software auf einer Speicherkarte. Zum Durchstarten in der Karriere und in die besseren Kreise bedarf es ferner einer Nintendo DS-Konsole. Die borgt mir ein Kollege mit den Worten: „Tut dir sicher gut!“

Egal, die Speicherkarte in den Schacht und den Power-Knopf drücken – es erscheint die Animation des blasiert dreinschauenden Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge. Er wird die Spiele je nach Anzahl der Treffer kommentieren, zum Beispiel so: „Das war richtig gut. Damit können Sie sich überall sehen lassen.“ Na also! Aber ehrlich gesagt: Das war der „Einstiegs“-Modus des Spiels mit „wahr oder falsch“. Und darin sind Fragen zu beantworten wie diese: „Ein Sommelier bringt die Nachspeise – wahr oder falsch.“ Ist jetzt nicht wirklich schwer. Sommelier klingt zwar wie Sorbet, ist aber – wir erinnern uns dunkel an eine Betriebsfeier – der Herr, der den Wein empfiehlt und dekantiert.

Bringt einen die Antwort auf solche Fragen wirklich weiter? Ein Mitarbeiter des Tagesspiegels, Abkömmling einer uradligen Familie, sagt: „Nein!“ Er meint, solche Kenntnisse seien im besten Fall überflüssig, meistens aber regelrecht schädlich. Wer sich so etwas mühsam selbst beibringe, verkrampfe und werde ganz das Gegenteil der Nonchalance ausstrahlen, auf die es ankomme. Für Normalsterbliche ist es also albern, sich vorschreiben zu lassen – und das verlangt der Nintendo-Knigge allen Ernstes – dass man nach dem Essen nur einen Espresso bestellen darf, weil sich ein Cappuccino da nicht zieme.

Für meine Aufstiegschancen aber bedeutet das: Locker bleiben – komme, was wolle! Und da es im Übrigen in unserer pluralen, multiethnischen und -kulturellen Gesellschaft nicht mehr den einen einzig gültigen Kanon fürs „Benimm“ gibt, ist dieses Spiel so etwas wie ein Groschenroman: So träumen sich kleine Leute in die große Welt. Schade, dass ihnen die eigene so klein erscheint, dass sie die Flucht ergreifen müssen. Apropos Flucht: Diesen Knigge vertreibt RTL.

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