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Kaufhaus-Insolvenz: "Die Karstadt-Idee hat sich überlebt"

Früher waren sie Spiegel des Fortschritts und Wohlstands. Heute haben sie clevere, zeitgemäße Konkurrenz. Ein Interview zum Aufstieg und Fall der deutschen Kaufhäuser.

Herr Häussermann, Karstadt kämpft ums Überleben. Dabei hat sich die Idee vom Kaufhaus doch längst überlebt, oder?

Ja. Früher waren die Kaufhäuser die ersten und einzigen, die ein breites Warenangebot angeboten haben. Was es davor nur in Spezialgeschäften gab, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals dem Massenkonsum zugänglich gemacht. Man konnte in einer Warenwelt umher gehen, die man vorher nicht kannte.

Inwiefern haben die Kaufhäuser damals das Stadtleben verändert?

Kaufhäuser wurden zu innerstädtischen Anziehungspunkten. Sie selbst haben Passantenströme erzeugt, sie wurden zum Anlaufpunkt für ein Massenpublikum. Mit den Kaufhäusern ist das moderne Konzept der Innenstadt als attraktiver Einkaufsort überhaupt erst entstanden.

Und sie haben die kleinen Einzelhändler verdrängt.

Nicht unbedingt. Tatsächlich haben viele Kaufhäuser andere Geschäfte in der Nachbarschaft angelockt: Bäcker, Kioske, Blumenläden, Reisebüros und so weiter. Die profitierten von der Laufkundschaft. Wir Stadtsoziologen nennen das "Urbanitätseffekt": Ein attraktives Angebot zieht andere hinterher. Es entstehen Cluster. Wenn die Kaufhäuser jetzt sterben oder schließen, dann leiden darunter auch die Cluster-Strukturen.

Was sollte man mit den Gebäuden machen? Meist liegen sie ja recht zentral, sind aber so riesig, dass sich nicht immer gleich Nachmieter finden.

In Berlin und Hamburg gibt es Beispiele, wo sich Künstler in den leeren Warenhäusern eingenistet haben. Es sind tolle Standorte: große Flächen ohne Mauern, in denen man sich den Raum selbst konzipieren kann, wie geschaffen für Kreative. Aber natürlich werden Künstler aus finanziellen Gründen meist nur Zwischenmieter sein. Allerdings keine schlechten: So bleibt der Standort im Gespräch und lockt neue Investoren an.

Oder sie bleiben leer und veröden ...

Nur selten. In den letzten 20, 30 Jahren haben die deutschen Städte damit begonnen, Innenstadtkonzepte zu entwickeln. Die moderne City ist die Inszenierung eines großen, in sich geschlossenen Kaufhauses. Früher wuchsen Städte chaotisch und unreguliert. Jetzt werden die Stadtzentren sehr genau konzipiert. Sicher werden sich die Stadtväter auch nun nach einer möglichen Arcandor-Pleite darum kümmern, dass die großen Komplexe wieder schnell genutzt werden.

Das Kaufhaus hat Konkurrenz bekommen. Etwa durch die Grüne Wiese. Nach der Wiedervereinigung hatte ja bald jede ostdeutsche Stadt ihr Kaufhaus am Stadtrand.

Aber diese Zentren waren nicht zwingend Innenstadt-Killer. Gerade im Osten verlangte die Ausweitung des Konsums geradezu eine Ausweitung des Kaufraums. Mit der Einführung der Marktwirtschaft gab es eine gewaltige Konsumexpansion. Im Westen hat die Mobilisierung der Massen den Trend zur Grünen Wiese schon viel früher verstärkt. Das große Problem der Innenstädte ist, dass sie zu wenig Parkplätze haben. Die Innenstädte wurden als Raum zum Flanieren konzipiert, mit Fußgängerzonen, aber eben ohne Möglichkeit Wasserkisten ins Auto einzupacken. Die Antwort darauf waren große Warenhäuser am Stadtrand.

Große Konkurrenz von Karstadt und Co. sind neuartige Malls: In Berlin strömen die Menschen ins Alexa am Alexanderplatz, in Hamburg in die Europapassage an der Alster, in Frankfurt in mehrere Einkaufs-Galerien. Warum sind diese Malls populärer als die alten Kaufhäuser?

Anders als Kaufhäuser sind die Malls kunstvoll zusammengestellte Ansammlungen von einzelnen Läden. Offenbar macht es den Menschen mehr Spaß von Laden zu Laden als von Stand zu Stand zu gehen. Außerdem legen die Betreiber Wert darauf, dass sich auch Restaurants, Eisdielen oder Kinos ansiedeln. Der Unterhaltungsfaktor der Malls ist größer. Einkaufen und das sonstige Freizeitverhalten gehen ineinander über.

Ist nicht auch die unterschiedliche Architektur entscheidend? Malls sind oft lichtdurchflutet und aufwendig gebaut. Karstadt ist dagegen oft ein dunkler, muffiger Kasten.

Stimmt, Malls sind architektonisch oft viel ansprechender. In Bern wurde jetzt das "Erlebnis- und Einkaufszentrum Westside" eröffnet. Der Entwurf stammt von Daniel Libeskind. Es hat hier eine ähnliche Formsprache wie bei seinem Jüdischen Museum in Berlin.

Und zu Karstadt würden solche Bauten nicht passen?

Karstadt hat sein Konzept nie radikal verändert. Ein bisschen allerdings schon: Es gibt heute mehr Attraktivitäten für Kinder als früher - und die Fläche zwischen den einzelnen Ständen ist etwas freier, luftiger geworden. Allerdings ist das Inszenieren von Urbanität auf fünf Etagen schwierig. Man muss ständig auf den Verzeichnissen an den Rolltreppen nachlesen, wo man etwas findet. Man sieht nicht so viel auf einmal - wie bei den Malls, die meist nur dreistöckig und viel offener konzipiert sind.  

Erlebt das Ausland eigentlich auch gerade ein Kaufhaussterben?

Aufstieg und Fall des Kaufhauses ist sicher kein rein deutsches Phänomen. Es hat mit der Verstädterung, der Mobilisierung, mit Trends zu tun, die oft globaler Natur sind. Aber es gibt schon nationale Unterschiede: In den USA sind viele Städte erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, das Erlebnis-Kaufhaus Mall hat sich hier viel früher entwickelt.  

Die Fragen stellte: Michael Schlieben , ZEIT ONLINE

Hartmut Häussermann ist ein renommierter, inzwischen emeritierter Stadtsoziologe aus Berlin.

Interview von Michael Schlieben

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