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Sein erstes Ministeramt trat Michel Barnier 1993 in Paris an. Im Laufe der Jahrzehnte bekleidete der heute 61-jährige Gaullist und engagierte Europäer diverse Ämter, seit knapp zweieinhalb Jahren ist er in der EU-Kommission für den Binnenmarkt zuständig. Foto: dpa

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Wirtschaft: „Kein Finanzprodukt bleibt unreguliert“ EU-Wettbewerbskommissar Michel Barnier über Lehren aus der Krise und Deutschland als Vorbild

Herr Kommissar, Ende der neunziger Jahre nannte der britische Boulevard den damaligen deutschen Finanzminister Oskar Lafontaine den „gefährlichsten Mann Europas“. Inzwischen haben Sie als Regulierer die Rolle des Buhmanns übernommen.

Herr Kommissar, Ende der neunziger Jahre nannte der britische Boulevard den damaligen deutschen Finanzminister Oskar Lafontaine den „gefährlichsten Mann Europas“. Inzwischen haben Sie als Regulierer die Rolle des Buhmanns übernommen.

Diese Art der Kritik aus Großbritannien beeindruckt mich nicht besonders. Das wirklich Gefährliche ist die Finanzkrise, die Abstinenz von Regeln, Transparenz und Moral in vielen Instituten. Es ist doch diese Krise, die seit vier Jahren unser Wachstum zerstört. Und nichts wird mich vom Ziel abbringen, das von den Staats- und Regierungschefs der G 20 ausgegeben wurde: kein Finanzprodukt und kein Finanzakteur bleibt unreguliert.

Das Gerücht machte die Runde, Kommissionschef Barroso habe David Cameron angeboten, Sie zu ersetzen, um den Briten zu einem Ja zum Fiskalpakt zu bewegen.

Herr Barroso hat das dementiert. Und ich bin weiter entschlossen, meinen Job zu machen. Abgesehen davon arbeite ich sehr konstruktiv mit allen Regierungen zusammen, einschließlich der britischen, die den wichtigsten Finanzplatz in Europa repräsentiert.

Die Kritik von anderer Seite lautet, die Finanzmarktregulierung sei windelweich, da von Brüsseler Banklobbyisten diktiert.

Die Debatte zwischen denen, die sagen, man mache nicht genug, und denen, die sagen, man mache zu viel und gefährde das Wachstum, wird es immer geben. Ich muss also den Mittelweg finden. Die Gesetzestexte, die wir vonseiten der EU-Kommission vorlegen, sind nicht schwach und manchmal werden sie im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auch noch verschärft – so bei den Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen.

Sie sind also zufrieden damit, was dreieinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite erreicht worden ist?

Nein, ich bin nicht zufrieden. Als Kommissar habe ich die nötigen Gesetzesvorschläge vorgelegt, die die G 20 verlangt haben. Nur die Hälfte davon hat schon Gesetzeskraft. Die andere Hälfte befindet sich noch in der Diskussion. Und das sind schwere Brocken: die vierte Eigenkapitalrichtlinie für Banken, Regeln für die Versicherungswirtschaft, die Ratingagenturen, die Börsen. Die habe ich in den vergangenen Monaten vorgeschlagen, und man rechnet durchschnittlich mit eineinhalb Jahren bis zur Verabschiedung.

Verstehen Sie den Unmut vieler Menschen, weil es so langsam voran geht?

Die Demokratie braucht einfach mehr Zeit als die Märkte. Wir haben viel gearbeitet – aber auch ich bin so lange unzufrieden, bis alle neuen Gesetze auch wirklich zur Anwendung kommen. Ziel ist, dass die Finanzmärkte dann einen stabilen Rahmen haben und wieder der Realwirtschaft dienen, wie das in Deutschland ja besonders stark ist.

Wann also werden die Finanzmärkte aus ausreichend reguliert sein?

Die G 20 haben Anfang 2013 als Datum vorgegeben. Ich erwarte, dass die Arbeit dann abgeschlossen wird. Es ist sehr wichtig, dass die Politiker auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene auch das machen, was sie zugesagt haben.

Sie werden 2012 also versuchen, ihre Gesetzesvorhaben durch Ministerräte und das Parlament zu lotsen. Was passiert sonst?

Eine Priorität für dieses Jahr sind die Schattenbanken. Wir müssen den Kampf gegen dieses System aufnehmen – zusammen mit den Amerikanern und den anderen Partnern in den G 20. Und dann müssen wir die Risiken im Bankgeschäft besser voneinander trennen. Es geht um die Frage, ob eine Trennung des Investment-Bankings vom normalen Kundengeschäft die Stabilität des Bankensektors verbessern kann. Und geplant ist, noch vor dem Sommer ein EU- Gesetz zur Bankenabwicklung vorzuschlagen.

Warum hat das so lange gedauert, denn bisher werden Banken auf Kosten der Allgemeinheit gerettet?

Der Höhepunkt der Staatsschuldenkrise und der Griechenlandkrise liegt gerade erst hinter uns. Und ich wollte nicht, dass der Gesetzestext für die Bankenabwicklung in diesem Zusammenhang falsch verstanden wird und die Krise möglicherweise noch anheizt. Ich wollte da eine Vermischung der beiden Themen vermeiden. Jetzt werden wir in den nächsten Wochen unsere Beratungen zum Thema Bankenabwicklung abschließen.

Was genau sind Schattenbanken, und was haben Sie mit denen vor?

An diesem Montag gebe ich den Startschuss für eine öffentliche Konsultation – in Brüssel sagen wir „Grünbuch“ dazu. Es geht darum, besser zu verstehen, wer in diesem System aktiv ist und welches die Risiken sind. Es wird auch hier darum gehen müssen, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein in das System zu bekommen. Wir müssen die Akteure beleuchten, die das Licht nicht mögen.

Die EU hat bereits Gesetze zu einigen Akteuren dieser Schattenwelt. Sind die Regeln zu Hedgefonds, Private Equity und Eigenkapital der Banken zu schwach gewesen?

Nein, aber sie müssen vielleicht noch ergänzt werden. Noch gibt es Akteure und Produkte, die nicht erfasst sind. Aber niemand darf der Regulierung und der Aufsicht mehr entfliehen können.

Was macht die Geschäfte so gefährlich?

Das ist ein paralleles Bankensystem, dessen Aktivität immer mehr Bedeutung erlangt. Und weil die Finanzbranche nun einmal so erfindungsreich und innovativ ist, besteht die Gefahr, dass immer mehr riskante Geschäfte und Produkte aus dem immer stärker regulierten traditionellen Bankbereich dorthin abwandern.

Gibt es Zahlen?

Schätzungsweise 30 Prozent aller Finanzaktivitäten finden bereits über diese undurchsichtigen Kanäle statt. Und die Tendenz geht in Europa eindeutig nach oben.

Nach oben soll es – um das Thema zu wechseln – auch wieder mit den Wachstumszahlen gehen.

Ich sehe es als die wichtigste Aufgabe an, Europa als Industriestandort zu erhalten – und da ist Deutschland mit seinem teilweise familiär und regional geprägten Kapitalismus und seinen konstruktiven sozialen Dialog schon ein gewisses Vorbild. Denn wir dürfen nicht zu einem Kontinent werden, der nur noch Produkte aus China und den USA konsumiert und darüber seine industrielle Basis verliert.

Die größten Hoffnungen werden in die Vervollständigung des EU-Binnenmarkts gesetzt. Womit dürfen die Bürger und Unternehmer da rechnen?

Es geht um ein Bündel von 50 Maßnahmen, die für die Bürger und die Unternehmen gleichermaßen interessant sind: Die Roaminggebühren beim Mobilfunk werden beispielsweise fallen, es wird ein EU-Patent geben, mit dem – weil es billiger sein wird – auch kleine Firmen ihre Innovationen werden schützen können. Der Onlinehandel wird vereinfacht.

Das Gespräch führte C. Ziedler.

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