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Ein Blick hinter die Fassade. Wer sich ohne Foto, Namen, Herkunft und Geburtsdatum bewirbt, kann Diskriminierung entgehen und seine Chancen erhöhen. Weil Personaler nur die Qualifikation als Kriterium haben und so keine Gruppen von vornherein ausschließen. Foto: fotolia

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Wirtschaft: Kein Versteckspiel

Frauen und Migranten profitieren von der anonymen Bewerbung. Unternehmen lehnen das Verfahren aber immer noch zum großen Teil ab.

Wie viel sagt ein Foto bei der Bewerbung aus? Welchen Einfluss haben Namen oder Herkunft, ob man zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird? Immer wieder stellt sich die Frage, ob Bewerbungsverfahren wirklich fair ablaufen. Ob Personaler nach den Leistungen und Qualitäten eines Bewerbers entscheiden – und nicht aufgrund äußerlicher Merkmale oder Geschlecht Kandidaten aussortieren. Gewissheit darüber soll das anonymisierte Bewerbungsverfahren geben. Dabei erfahren die Entscheider in der ersten Bewerbungsrunde weder Namen, Alter, Geschlecht, noch Herkunft oder Familienstand eines Bewerbers.

Ein Pilotprojekt dazu von Ende 2010 bis zum Frühjahr 2012 war zu folgendem Ergebnis gekommen: Vor allem Frauen und Migranten profitieren und werden häufiger zum Vorstellungsgespräch eingeladen, als wenn sie sich im herkömmlichen Stile bewerben. An dem Projekt teilgenommen hatten die Deutsche Post, Telekom, L'Oreal, Procter & Gamble, der Geschenkdienstleister Mydays sowie das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung Celle. Seit dem Projekt ist es allerdings still geworden um das Thema anonymisierte Bewerbungen. Trotzdem ist es für Bewerber aktuell – oder nicht? Eine Bestandsaufnahme.

Die Unternehmen in der Hauptstadt scheinen mit dem Thema nicht viel anfangen zu können. Dafür spricht zumindest, dass Beispiele weder bei der Industrie- und Handelskammer, der Agentur für Arbeit, noch einzelnen Berufsberatern bekannt sind. Fragt man denn bei einzelnen großen Unternehmen direkt nach, fallen die Antworten entsprechend aus.

Die anonymisierte Bewerbung kann aus Sicht von Bewerbungsexperten sogar ein Nachteil für Jobsuchende sein. Gescheitert ist das Ziel „faires Bewerbungsverfahren“ damit aber nicht. „Tatsächlich sind Unternehmen sehr verhalten, was den Einsatz anonymisierter Bewerbungen angeht“, weiß Benedikt Jürgens, Geschäftsführer der Personalberatung PEAG HR GmbH aus Duisburg.

Die meisten würden annehmen, damit zusätzlich Arbeit zu haben und fürchteten einen stärkeren bürokratischen Aufwand. Entsprechend begründen auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre Ablehnung des anonymisierten Bewerbungsverfahrens. „Mit einem solchen Verfahren entsteht uns zusätzlicher Aufwand, wenn Bewerber bei Rückfragen kontaktiert werden sollen“, heißt es. Außerdem hält das Unternehmen die Anonymisierung für wenig effizient: Aus verschiedenen Angaben im Lebenslauf wie Ausbildung, Berufserfahrung oder durch die Nennung von Sprachkenntnissen könnten häufig immer noch Rückschlüsse gezogen werden.

Personalvermittler Jürgens will die Klage um den Mehraufwand allerdings nicht uneingeschränkt gelten lassen. In der Regel würde nur am Anfang mehr Arbeit auf die Unternehmen zukommen, wenn sie zum Beispiel klare Anforderungsprofile für eine Stelle formulieren müssten, um die Qualifikationen der Bewerber entsprechend abgleichen zu können. „Auf diesem Weg würde so manches Unternehmen überhaupt einmal über sein Rekrutierungssystem nachdenken.“ Teilweise würden Entscheidungen vor allem aus dem Bauch heraus getroffen. „Bei einer anonymisierten Bewerbungen sind die Entscheider dagegen gezwungen, gezielt nach den Fähigkeiten eines Kandidaten zu gucken.“

Ist die anonymisierte Bewerbung aus Sicht von Jobsuchenden zu empfehlen? Ja und nein, sagen Bewerbungsexperten. Auf der einen Seite habe das Pilotprojekt von vor zwei Jahren gezeigt, dass bestimmte Bewerbergruppen tatsächlich profitieren. Außerdem habe ein Jobsuchender bei einem standardisierten Formular weniger Aufwand als sonst, sagt Jürgens. „Andererseits kann sich ein Bewerber hier nur wenig über sein individuelles Profil hervortun, weil für viele persönliche Informationen kein Platz ist.“ Das könne gerade bei der Ausschreibung von Führungspositionen zum Nachteil werden, denn dabei komme es gerade auf die Persönlichkeit eines Kandidaten an.

Bewerbungscoach Christina Panhoff rät Jobsuchenden zudem, gerade bei kleineren Unternehmen nicht unbedingt eine anonymisierte Bewerbung einzusenden, wenn diese nicht ausdrücklich verlangt ist. Die meisten kleinen Firmen hätten noch nie mit anonymisierten Bewerbungen zutun gehabt. So könnte bei ihnen der Eindruck entstehen, ein Bewerber hätte etwas zu verbergen, wenn im Lebenslauf plötzlich etwa Name, Alter oder Herkunft fehlen. Oder er hätte es vergessen. „Aus vielen Gesprächen mit Unternehmen habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, dass die meisten schon von sich aus in erster Linie nach den Qualifikationen ihrer Bewerber entscheiden.“

Einen Vorstoß in Sachen anonymisierte Bewerbung hat in diesem Jahr das Land Berlin gewagt. Im Frühjahr ließ man verkünden, ein entsprechendes Pilotprojekt auf den Weg zu bringen. An der Initiative nehmen zunächt nur die Verwaltung und einzelne Landesbetriebe teil. Im kommenden Dezember soll die erste Ausschreibung im Sinne des anonymisierten Bewerbungsverfahrens rausgehen. „Momentan stehen wir noch vor der Entscheidung, welche Laufbahnen und Berufsgruppen und welches öffentliche Unternehmen wir in das Projekt aufnehmen wollen“, berichtet André Lossin von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die das Projekt mitorganisiert.

Bei den Ausbildungsstellen für Verwaltungsfachangstellte wird das Prinzip der Anonymisierung schon angewendet. „Im ersten Schritt schauen wir uns nur den Abschluss an“, so Lossin. Komplett anonymisiert könne ein Verfahren aber am Ende nicht ablaufen. Zum Beispiel sei man verpflichtet, bestimmte Quoten einzuhalten.

Lara Sogorski

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