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Wirtschaft: Kiez im Kommen

Noch ist die südliche Friedrichstadt von der Entwicklung Kreuzbergs abgehängt. Doch das dürfte sich bald ändern

Nur wenige Straßen trennen Berlin so deutlich wie die Kochstraße. Nördlich davon drängen sich die Touristengruppen um den Checkpoint Charlie, bevor sie sich in einer Filiale der Kaffeehauskette „Starbucks“ oder in einem der zahlreichen Imbissläden stärken. Auf die südliche, Kreuzberger Seite der Friedrichstraße hingegen verirrt sich kaum ein Tourist. Dafür haben sich hier ein Textildiscounter und ein Second-Hand-Laden des Obdachlosenprojekts Motz angesiedelt, und eine Kneipe bietet Sülze, Kartoffeln und Remoulade für 3,80 Euro an.

Zu diesem Bild passt, dass das Monitoring Soziale Stadtentwicklung die Gegend um die südliche Friedrichstraße als „Gebiet mit überdurchschnittlicher Fluktuation, Wanderungsverlusten und sehr hoher Arbeitslosigkeit sowie mit sehr hoher und stark zunehmender Sozialhilfedichte“ ausweist. Im März dieses Jahres erklärte der Berliner Senat die Gegend deshalb zum Sanierungsgebiet. Es bestünden „erhebliche funktionale und gestalterische Mängel bei den Einrichtungen der sozialen Infrastruktur“, und das Gebiet werde „seiner innerstädtischen Bedeutung nicht gerecht“, begründete dies die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Doch es gibt Anzeichen, dass sich das ändern könnte. In der Alten Jakobstraße 166/167, einer Baulücke zwischen dem Europäischen Patentamt und einem der wenigen erhaltenen Gründerzeitwohnhäuser in dieser Gegend, beginnen voraussichtlich noch in diesem Jahr die Bauarbeiten am sogenannten Metropolenhaus. „Als wir das Grundstück im Jahr 2007 vom Liegenschaftsfonds erwarben“, berichtet Architektin und Bauherrin Benita Braun-Feldweg, „stießen sich viele am Standort und fragten: Wie kann man hier gehobenen Wohnungsbau realisieren?“

Tatsächlich könnte sich das, was Braun-Feldweg entworfen hat, nicht deutlicher unterscheiden von den Nachkriegs-Wohnblöcken in der Nachbarschaft. 20 Wohnungen mit einer Größe zwischen 75 und 200 Quadratmetern sollen entstehen, die, so Braun-Feldweg, „unterschiedliche Lebensentwürfe ermöglichen“. Einen großzügigen Wohn-, Ess- und Kochbereich wird es geben und die Möglichkeit, Arbeiten und Wohnen zu kombinieren. „Es ist ein gut ausgestattetes Produkt für Menschen, die innerstädtisch wohnen und eventuell auch arbeiten möchten“, sagt die Bauherrin.

Allerdings sei die Gegend tatsächlich „noch kein Kiez und absolut nicht kuschelig“, räumt Braun-Feldweg ein. Dafür sei der Standort zentral, und die Preise seien günstig. Zwar kosten die Penthouses 3500 Euro pro Quadratmeter, doch die Maisonette-Wohnungen im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss sind bereits für 2380 Euro pro Quadratmeter zu haben. Außerdem, ist Braun-Feldweg überzeugt, sei die Lage im Kommen. Diese Hoffnung der Architektin gründet sich auf das Jüdische Museum und die Berlinische Galerie, die beide ganz in der Nähe sind, vor allem aber auf die Entwicklung rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle.

Die Halle selbst wird derzeit nach Plänen von Daniel Libeskind zur Akademie des Jüdischen Museums umgebaut, während der Liegenschaftsfonds die Flächen um die Halle herum unter der Bezeichnung „Checkpoint Art“ zum Kauf ausgeschrieben hat. Noch bis Mitte November haben Investoren Zeit, sich um eines oder mehrere der fünf Baufelder zu bewerben und ihre Konzepte einzureichen, die „an einer kultur- und kreativwirtschaftlichen Nutzung orientiert“ sein sollten, wie es beim Liegenschaftsfonds heißt.

Unumstritten ist die Ausschreibung allerdings nicht: Vor zwei Wochen kritisierte die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg das Verfahren und forderte den Liegenschaftsfonds Berlin auf, sich stärker am Ergebnis eines Standortentwicklungskonzepts zu orientieren, welches das Gebiet zu einem Kunst- und Kreativquartier machen will. Die Bezirkspolitiker befürchten, dass letztlich doch die Höhe des Gebots und nicht die Qualität des Konzepts den Ausschlag geben könnte – und am Ende womöglich eine weitere Ansammlung von „Starbucks“-Läden und Schnellimbissen entstehen könnte. Christian Hunziker

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