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Kinderbetreuung: Ab 16 Uhr ist Schluss

Keine Konferenz am Nachmittag, Quote, Kinderbetreuung: Was Deutschland in Sachen Frauenförderung von Europa lernen kann.

„Wann bekommst du denn endlich ein Kind?“ Diesen Satz ihres ehemaligen Chefs hat Miriam Wohlfahrth nicht vergessen. Ihr Vorgesetzter versprach ihr vor zwölf Jahren, dass das Unternehmen – eine niederländische Firma – sie unterstützen und auch mit Kind gerne halten würde. Damals war sie 30 Jahre alt. Das zu hören, hat ihr gut getan. Im Vergleich zu ihren Erfahrungen in Deutschland sei es in Holland viel selbstverständlicher gewesen, die Kinder auch schon früh in die Kita zu bringen. Das Beispiel unterstreicht: Frauen, die eine Führungsposition übernommen haben oder anstreben, fanden und finden in den europäischen Ländern ganz verschiedene Bedingungen vor. Und auch wenn sich die Konditionen auf den ersten Blick ähneln, führen sie doch oft zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Holland hat bereits 2009 eine Frauenquote eingeführt (siehe Kasten). Experten bezweifeln allerdings, dass dieses Modell funktioniert: Laut Statistischem Bundesamt arbeiten in den Niederlanden knapp 75 Prozent der berufstätigen Frauen in Teilzeit. Zum Vergleich: In Deutschland sind es knapp 46 Prozent, in Schweden 38, in Frankreich unter 30 Prozent.

Miriam Wohlfahrth hat die Familiengründung dann aber doch noch ein paar Jahre aufgeschoben: Sie zog nach Berlin und gründete Ratepay, ein Unternehmen, das für Online-Händler den Bereich rund um die Zahlungen der Kunden abwickelt, also das Lastschriftverfahren, den Rechnungskauf und die Ratenzahlung. In der Firma sind sowohl die Führungsetage als auch die darunter liegenden Leitungspositionen zu 50 Prozent weiblich besetzt. Inzwischen hat Wohlfarth eine Tochter. Der 42-jährigen Chefin ist es wichtig, auch ihre Mitarbeiter als Eltern zu begreifen: Wenn die Kita zu ist, kommt das Kind eben mit in die Firma. „Das muss einfach möglich sein.“

Ihr Team, das betont sie immer wieder, soll nicht vor lauter Überstunden ihr Privatleben aufgeben müssen. Wer so arbeite, sei irgendwann ausgelaugt. Das wirke sich dann ja auch negativ aufs Unternehmen aus. Damit fährt ihr Start-up gut in einer Zeit, in der die Branche boomt, Fachkräfte stark umworben werden, und technisch ausgebildete Frauen noch immer in der Minderheit sind.

Darüber muss man sich in Frankreich keine Sorgen machen. „In Frankreich studieren viel mehr Frauen ein technisches Fach als in Deutschland, die Naturwissenschaften gelten dort immer noch als Königsweg“, sagt Véronique Goehlich. Die dreifache Mutter hat Ingenieurwissenschaften studiert, promoviert und als Managerin und selbstständige Unternehmensberaterin gearbeitet. Seit drei Jahren ist sie Professorin für International Business an der Hochschule Pforzheim.

Ein großer Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich liegt für sie auch im Nachdenken über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „In Frankreich macht man sich darüber keine Gedanken, es gehört einfach dazu, dass man beides hat.“ Und dass man nach der Geburt schnell wieder in Vollzeit in den Beruf einsteigt. Schließlich stellt der Staat von der Krippe bis zur Ganztagsschule Betreuungsmöglichkeiten bereit. Noch ein Unterschied: „Wenn sich eine Mutter und eine kinderlose Frau um eine Stelle bewerben, wird in der Regel die Mutter genommen. Ihr wird eher zugetraut, dass sie gut organisieren kann“, sagt Goehlich.

Die 2011 eingeführte Frauenquote hat in Frankreich schon erkennbare Folgen: „Gerade ist einiges im Gange, die Zahl der Frauen in Führungspositionen steigt glücklicherweise.“ Das belegt auch der EU-Fortschrittsbericht über Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen: nach dessen Angaben stieg der Frauenanteil in den 40 führenden französischen Aktiengesellschaften von Oktober 2010 bis Januar 2012 von 12,3 auf 22,3 Prozent. Zum Vergleich: Im Frühjahr hat die OECD Deutschland bescheinigt, dass kaum vier von 100 Vorstandsposten weiblich besetzt sind.

Trotzdem schaut aber auch Véronique Goehlich auf der Suche nach der perfekten Balance zwischen Beruf und Leben nach Skandinavien: „Ich denke, dass die Konzentration auf die Leistung auch nicht der beste Weg ist, viele Französinnen führen ein sehr, sehr anstrengendes Leben.“ Und reiben sich zwischen familienunfreundlichen Arbeitszeiten und dem auf, was zu Hause zu tun ist. Die Hausarbeit werde auch in Frankreich zum Großteil von den Frauen übernommen. Mit ihren flexiblen Arbeitszeiten könnte das in Berlin sitzende Unternehmen von Miriam Wohlfahrth glatt als skandinavische Firma durchgehen. Sie und ihr Team arbeiten auch von zu Hause aus, was sich bei einem Start-up natürlich besonders anbietet, aber dennoch die Ausnahme ist.

In Skandinavien hat das Home-Working schon seit vielen Jahren Tradition, auch für Menschen in leitenden Positionen. Davon hat auch Karin Jensen (Name geändert) profitiert, die in der Nähe von Oslo ein Unternehmen leitet. „Ich weiß, dass man in vielen Ländern schief angeschaut wird, wenn man als Chef schon um 15 Uhr nach Hause geht“, sagt die 45-Jährige, die länger in Deutschland und Österreich tätig war. Jensen tut das jeden Tag, sie holt ihre Kinder von Kita, Musikunterricht und Schule ab und sitzt am Abend dann noch einmal an ihrem Heimarbeitsplatz. Wenn es möglich ist, bleibt sie freitags ganz zu Hause. Und weil Männer es oft ebenso handhaben, ist das Zuhause-Bleiben in Norwegen auch kein Karrierekiller. „Ich habe im Ausland oft erlebt, dass diejenigen Mitarbeiter als die besten gelten, die am längsten bleiben.“ Bei ihr werde derjenige respektiert, der in acht Stunden sein Pensum schafft. „Länger als bis 18 Uhr sitzt bei uns keiner im Büro.“

Norwegen hat schon Anfang der 2000-er Jahre gesetzliche Quotenregelungen vorbereitet. Die Vätermonate, die verfallen, wenn Papa sie nicht nutzt, gibt es dort bereits seit 1993. Laut norwegischem Außenministerium machen 90 Prozent der Väter davon Gebrauch – in Deutschland ist es jeder Vierte. „Wir haben in diesen Bereichen einen Vorsprung, und wahrscheinlich werden uns viele andere Länder nach und nach folgen“, sagt Jensen. Dann entschuldigt sie sich – das nächste Meeting warte, und es dürfe nicht zu spät werden. „Bei uns beginnt keine Konferenz nach 16 Uhr.“

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