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Nicht jeder Lärm ist verboten. Kinder dürfen sich austoben und dabei laut sein. In Berlin steht der Nachwuchs sogar unter gesetzlichem Schutz.

© Thilo Rückeis

Kinderrechte: Klettern und kreischen erlaubt

Wenn Kinder spielen, kann es laut zugehen. Gesetze regeln exakt, was Eltern ihren Nachbarn zumuten dürfen.

Schreien, Trampeln, Jubeln, Klatschen – die meisten Kinderspiele sind eine geräuschvolle Angelegenheit. Diese Tatsache ist so alt wie der Streit darüber, wie viel Lärm denn nun sein darf: „Das Geschrey lärmender Kinderhaufen ist für die Anwohner eine fast unerträgliche Beschwerde“, echauffierte sich schon 1801 ein Göttinger Professor. Viele Eltern fühlen sich ihrerseits gegängelt: „Habe Stress mit meinem Nachbarn unten drunter“, klagt eine Mutter in einem Internetforum, „da mein Kind um 19:30 Uhr durch das Wohnzimmer gekrabbelt ist. Laut Hausordnung ist Lärmen in den Wohnungen nicht gestattet. Fällt das Krabbeln eines Kindes auch darunter?“

Das sind Fragen, die sich Berliner Eltern womöglich nicht mehr stellen müssen. Denn seit kurzem stehen Geräusche, die von Kindern ausgehen, im Land Berlin unter dem Schutze des Gesetzes. Kinderlärm sei ein „Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung“ und damit zumutbar, konzediert ein neuer Passus im Landes-Immissionsschutzgesetz. Wie weit das geht, das lässt das Gesetz offen. Auch in Zukunft wird also der Einzelfall geprüft werden, notfalls auch vor Gericht. Hermann-Josef Wüstefeld vom Deutschen Mieterbund geht aber davon aus, dass durch das neue Gesetz die Rechte von Eltern und Kindern gestärkt werden: „Der Entscheidungsspielraum verschiebt sich zugunsten der Kinder“, sagt der Jurist, „und viele Fälle werden gar nicht mehr vor Gericht kommen, weil Anwälte ihren Mandanten davon abraten werden.“ Auch der Bundesrat hat in einer Entschließung dazu aufgerufen, Kinderlärm rechtlich als ein zu akzeptierendes alterstypisches Verhalten einzuordnen.



RUHEZEITEN

Ist Kindern nach dem neuen Gesetz nun alles erlaubt? „Nein“, sagt Hermann-Josef Wüstefeld, „das Gesetz ist kein Freibrief zur Rücksichtslosigkeit.“ Zunächst einmal gelten laut den Immissionsschutzgesetzen der Bundesländer gesetzliche Ruhezeiten, in denen Lärmbelästigung schärfer geahndet wird als zu anderen Tageszeiten. Zwischen 22 und sechs Uhr sowie zwischen 13 und 15 Uhr müssen alle Mieter ihre Geräusche auf Zimmerlautstärke reduzieren. Ein Zehnjähriger, der die Stereoanlage bis zum Anschlag aufdreht oder lautstark in seine Spielkonsole Karaoke singt, wird also auf wenig richterlichen Beistand stoßen. Anders sieht das bei Kleinkindern aus: Wenn das Baby schreit, können die Eltern naturgemäß nur begrenzt dagegen angehen. Kindergeschrei müssen Nachbarn also hinnehmen, selbst mitten in der Nacht. In früheren Jahrzehnten gab es hier noch reihenweise Klagen, doch die Gerichte urteilen inzwischen eindeutig zugunsten der Eltern.

HAUS UND WOHNUNG

Wie viel Lärm erlaubt ist, regelt auch die Hausordnung. Bei Mietwohnungen ist oft auch zusätzlich im Mietvertrag festgehalten, welche Lärmentwicklung zulässig ist. Es gibt aber zahlreiche Urteile, die besagen, dass spielende Kinder generell toleriert werden müssen. Schreien, Lachen und Toben beim Spielen, nächtliches Baby- und Kleinkindergeschrei sowie gelegentliches Getrampel oder Fallenlassen von Gegenständen müssen die Nachbarn hinnehmen. „Mietminderung können Mieter nur bei erheblichen Störungen geltend machen“, sagt Hermann-Josef Wüstefeld. Grund zur Beschwerde hat man zum Beispiel, wenn ein Kind wiederholt über längere Zeit mit dem Hammer gegen die Heizungsrohre schlägt. Auch schweres Mobiliar umzuwerfen, in Treppenhäusern oder im Keller laut zu spielen, womöglich mit Rollschuhen oder Bällen, das alles sollten Eltern ihren Kindern aber besser abgewöhnen.

MUSIZIEREN

Wie steht es mit der Musik, die ja, wie Wilhelm Busch schon notierte, als „störend oft empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden“? Auch hier räumt der Gesetzgeber Rechte ein, Erwachsenen und Kindern gleichermaßen. Ein generelles Musizierverbot im Mietvertrag ist unzulässig – jeder hat das Recht, ein Instrument zu erlernen. „Zwei Stunden täglich sind erlaubt“, sagt Mietrechtsexperte Wüstefeld. Und zwar unabhängig von der Qualität des Dargebotenen. „Nachbarn müssen in dieser Zeit nicht nur ein Auge zudrücken, sondern sich eben auch die Ohren zuhalten.“ Dabei ist es gleich, ob Blockflöte oder Gitarre zum Einsatz kommen – alle Instrumente sind erlaubt, es sei denn, sie werden mit einem elektronischen Verstärker aufgepeppt. Denn Musizieren ist grundsätzlich nur in Zimmerlautstärke gestattet; zudem sind die gesetzlichen Ruhezeiten einzuhalten. Das Bundesverfassungsgericht hatte einer Spandauer Familie kürzlich erlaubt, auch sonntags Klavier zu spielen.

HOF UND STRASSE

Kinder spielen nicht nur in der Wohnung, sondern auch im Hof und auf der Straße. Auch das erlaubt das Gesetz. Es muss dazu kein ausgewiesener Spielplatz vorhanden sein. Wenn Kinder beim Spielen Lärm machen, gilt das als zumutbar. Auch Ballspielen ist laut Gerichtsentscheid erlaubt. Nur in den mittäglichen und nächtlichen Ruhezeiten sind Eltern angehalten, ihre Kinder zur Ruhe zu bringen. Hier sind leise Spiele angebracht. Generell gilt: Wenn Hausmeister oder Nachbarn die Kinder ausschimpfen, verjagen oder gar ihnen das Spielzeug wegnehmen, gehen sie zu weit. Wer Beschwerden hat, muss sich immer an die Eltern wenden.

SPIELPLATZ UND JUGENDZENTRUM

Auch Spiel- und Bolzplätze sowie Freizeitzentren müssen keine geräuschfreie Zone sein. „In einem Jugendtreff herrscht naturgemäß keine Friedhofsruhe“, sagt Hermann-Josef Wüstefeld. „Anwohner müssen hier mit Lärm rechnen.“ Auch Spielplätze sind nun einmal zum Spielen da. Darum dürften sich Kinder bis zwölf Jahre auch in den Mittagsstunden dort aufhalten und spielen. Mehrere Bundesländer haben sich auch dafür starkgemacht, in der Baunutzungsverordnung klarzustellen, dass Kindertagesstätten und Kindergärten nicht durch Nachbarn torpediert werden dürfen. In der Vergangenheit hatte es hier oft Streit gegeben. In Hamburg hatten Anwohner gegen den Lärm einer Kindertagesstätte geklagt, das Gericht hatte entschieden, dass die Kita verkleinert werden muss.

Andreas Menn

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