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Wirtschaft: Klagewelle gegen Betriebsrenten-Regelung

Musterklagen der Sozialverbände sollen klären , ob Betriebsrentner vollen Krankenkassenbeitrag zahlen müssen

Berlin (hej). Die ersten Betriebsrentner haben jetzt gegen die Gesundheitsreform der Bundesregierung geklagt. Nach Informationen des Tagesspiegels sind bei verschiedenen Sozialgerichten im Bundesgebiet Klagen anhängig. Die Senioren wehren sich dagegen, für ihre Betriebsrenten den vollen Krankenkassenbeitrag aus eigener Tasche zu bezahlen. Dazu verpflichtet sie seit dem 1. Januar dieses Jahres das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Bislang hatten sie nur den halben Krankenkassenbeitrag abführen müssen.

„Betriebsrentner dürfen nicht anders behandelt werden als die Empfänger von gesetzlichen Renten“, sagt HansGünther Becker-Lühe. Der Berliner Fachanwalt für Sozialrecht betreut „eine zweistellige Zahl von Klägern“. Die Belastung der Betriebsrentner hält der Rechtsanwalt für „systemwidrig“. Ob die Sozialgerichte seiner Auffassung folgen, bleibt abzuwarten. Die Kläger brauchen Geduld: „Bis das erste Urteil gesprochen ist, wird mindestens ein Jahr vergehen“, schätzt Becker-Lühe.

Die Betroffenen lassen sich davon nicht entmutigen. „Wir wollen die Sache bis vor das Bundesverfassungsgericht tragen“, sagt Karlheinz Große, Geschäftsführender Vorsitzender des Bundesverbandes der Betriebsrentner, „das wird langwierig.“ Die Verbände versuchen derzeit, die Rentnerproteste zu kanalisieren, werden aber selbst von dem Ansturm überrollt. Über 100000 Zugriffe auf seine Internetseite verzeichnet allein der Bundesverband der Betriebsrentner pro Woche. Empörte Betriebsrentner überschütten den Wiesbadener Verband mit Anrufen, so dass Große das Verbandstelefon vorübergehend auf Bandansage umgeschaltet hat. Auch der Sozialverband VdK hat Klagen angedroht. VdK und der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) wollen demnächst über die Durchführung eines Musterverfahrens verhandeln, das grundsätzliche Klärung bringen soll. „Wir werden Ende des Monats festlegen, wie die Musterklagen aussehen sollen“, berichtet Stefan Sieben vom VdAK. Becker-Lühe ficht das nicht an: „Auch bei einem Musterverfahren werden wir unsere Klagen nicht zurückziehen“, sagt der Anwalt.

Den Frust der Betriebsrentner, deren Zusatzversorgung durch die neue Regelung von einem Tag auf den anderen um sieben bis acht Prozent geschmälert worden ist, bekommen die Krankenkassen zu spüren. Sie sind – juristisch gesehen – die Gegenspieler, obwohl sie nur das neue Gesetz ausführen. Bei den Kassen häufen sich in diesen Tagen die Briefe, in denen die Betriebsrentner ihren Widerspruch zu Protokoll geben. Dabei steht die ganz große Welle noch aus. Viele Rentner werden erst Ende des Monats erfahren, dass sie jetzt weniger in der Tasche haben als im Vorjahr. „Der große Schwung kommt Ende Januar oder Anfang Februar“, glaubt Betriebsrenten-Experte Sieben.

Viele sind noch ahnungslos. Denn die meisten Krankenkassen haben ihre Versicherten nicht in persönlichen Anschreiben über die Veränderungen informiert, sondern nur in ihren Mitgliederzeitschriften über die Neuregelung berichtet. Das sei „eine Frage der Kosten“, heißt es bei der Barmer Ersatzkasse. Der Sparwille der Kassen gereicht den Betroffenen jedoch juristisch gesehen zum Vorteil: Wer nur aus der Mitgliederzeitschrift von den Kürzungen erfahren hat, hat ein Jahr lang Zeit, Widerspruch einzulegen. Wird der Betreffende jedoch per Brief informiert und zugleich schriftlich über seine Rechte aufgeklärt, muss er innerhalb eines Monats gegen die Maßnahme protestieren.

Hoffnungen darauf, dass die Regierung ein Einsehen hat und die umstrittene gesetzliche Regelung zurücknimmt, dürften sich nicht erfüllen. Zwar arbeitet man im Bundesgesundheitsministerium an einer Reform der Reform, doch betrifft das nur Einzelfragen wie etwa den Umgang mit Direktversicherungen. Bei diesen galt bis Ende des vergangenen Jahres: Wird die Versicherungssumme bei Rentenbeginn auf einen Schlag ausgezahlt und hatten die Vertragsparteien diese Kapitalauszahlung bereits bei Vertragsschluss vereinbart, fielen überhaupt keine Kassenbeiträge an. Jetzt müssen auch die Empfänger solcher Kapitalauszahlungen Beiträge an die Krankenversicherung zahlen. Darüber wird im Ministerium jetzt noch einmal nachgedacht. Und auch die Fälle, in denen ein Betriebsrentner Beiträge für die betriebliche Altersvorsorge aus eigener Tasche gezahlt hat, sollen noch einmal überprüft werden. An der Regelung selbst will man aber nicht rütteln. „Jeder muss Opfer bringen“, sagt eine Sprecherin.

Der Sozialverband VdK sitzt in 53175 Bonn, Wurzerstraße 4, Telefon (0228) 82093-0, die E-Mail-Adresse ist: kontakt@vdk.de. Die Adresse des Bundesverbandes der Betriebsrentner ist: Postfach 1866, 65008 Wiesbaden, die E-Mail-Adresse: verband.der.betriebsrentner@t-online.de.

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