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Wirtschaft: Klaus Scheel

(Geb. 1943)||Wenn zu viel nachgedacht wird, läuft kein Einsatz.

Wenn zu viel nachgedacht wird, läuft kein Einsatz. Er war ein mutiger Mann. Das hat er oft genug unter Beweis gestellt.

Einsatzbefehl: Bewaffneter Geiselnehmer. Ein Vater hatte seinen eigenen Sohn als Geisel genommen, die Mutter rief die Polizei.

Die Männer vom SEK, dem Sondereinsatzkommando, rannten die Treppen hoch, den Flur entlang, schlugen die Tür zur Wohnung auf, sicherten den Kollegen, der vorausstürmte.

Drei Meter weiter eine Milchglastür, dahinter die Silhouette des Geiselnehmers.

Es knallte. Der Mann hatte geschossen. Klaus Scheel hätte zurückschießen können. Stattdessen stürmte er hinter seinem Schutzschild voran, warf sich auf den Täter, ein 130-Kilo-Mann, an die zwei Meter groß, und überwältigte ihn.

Es stellte sich heraus, dass der Geiselnehmer nur mit einer Schreckschusspistole geschossen hatte.

Natürlich hatte Klaus Scheel Angst in solchen Situationen, aber er „blockierte“ nicht, wie es manchem, gut trainierten Kollegen passierte, wenn er beispielsweise einem Messerstecher gegenüberstand, die verblutende Frau schon am Boden.

Klaus Scheel hatte Maschinenbauer gelernt, er war Judokämpfer aus Passion, mit schwarzen Gürteln auch in Karate und Jiu Jitsu.

Judo, „der sanfte Weg“, führte ihn zur Polizei. Er war mehrfacher deutscher Polizeimeister, und einer der besten Männer des SEK.

Sanfter Weg, die Philosophie des Judo, heißt: gelebte Gelassenheit.

An einem heißen Sommertag fuhr er mit seinem Cabrio bei der Einsatzzentrale vor. Die Kollegen sahen ihn kommen, und als er seinen Code an der Eingangstür eintippte, ließen sie aus dem ersten Stock einen voll gefüllten Wassereimer auf ihn klatschen.

Er kam in den Aufenthaltsraum. Die Kollegen feixten: „Gab’s irgendwas?“

„Nö.“

„Nass geworden?“

„Kam in den Regen mit dem Auto.“

Er hat sich von solchen Scherzen wie von groben Pöbeleien nie ernsthaft berühren lassen. Selbst als Kreuzberger Demonstranten ihn mit einem Molotowcocktail angefackelt hatten, blieb er besonnen.

Die Frage, ob es das wert ist, hat er sich nie gestellt. Inkompetente Politiker, inkompetente Vorgesetzte, sicher, das gab es, aber wenn zu viel nachgedacht wird, läuft kein Einsatz.

Er tat, was notwendig war. Mehr nicht. Er hat nie überzogen. Er hat nie nachgesetzt, aber er war auch nie skrupulös.

Das würden manche mit reflexionsscheu übersetzen. Das ist die falsche Übersetzung. Natürlich ist ein Mann wie Hamlet, der auf Schritt und Tritt an seinem Tun zweifelt, als Premierengast interessant, aber niemand, der bei Trost ist, würde sich einem Hamlet als Bergführer anvertrauen.

Als Klaus Scheel wegen eines Trainingsunfalls vorzeitig aus dem Dienst ausschied, war auch das kein Anlass zur Sorge.

Er hatte zwei Söhne, auf die er stolz war, eine Frau, mit der er seit dreißig Jahren zusammenlebte, und er hatte großen Erfolg mit seiner Sportschule. Eine Neugründung war geplant.

Er besaß ein Haus in Florida, ein Motorboot, eine Harley Davidson.

Für ihn, der aus einfachen Verhältnissen stammte, hatten sich alle Träume erfüllt.

Zwischen 13 und 14 Uhr machte er für gewöhnlich Mittagsschlaf, dann ging er mit seinem Hund spazieren. Er spielte gern Golf, trieb weiterhin Kampfsport, war der Sunny Boy wie eh und je.

Über die alten Zeiten beim SEK redete er völlig unsentimental, nur zuweilen stellte er fest: Wie oft sie damals gerade noch mal so davongekommen waren.

Als er von der vergeblichen Selbsttötung eines ehemaligen Kollegen hörte, der den Kopfschuss an der Schläfe angesetzt hatte, kommentierte er: „Das ist das Schlimmste, zurückgeholt zu werden.“

Klaus Scheel hatte zuweilen Kreislaufprobleme, er war deswegen Anfang des Jahres zwei Tage zur Untersuchung im Krankenhaus. Über die Ergebnisse schwieg er sich aus: „Nichts Ernstes“.

Am 11. Februar schrieb er seiner Familie einen Brief, darin die Sätze: „Es tut mir leid, wir hatten eine schöne Zeit.“ Und: „Geht nicht allein ins Bad …“

Dann legte er sich in die Wanne, zog ein großes Badetuch über den Kopf, stellte sicher, dass der Abfluss geöffnet war, und schoss sich mit einem Trommelrevolver in den Mund.

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