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Klaus Töpfer (72) leitet seit diesem Jahr das neue Forschungsinstitut IASS in Potsdam.

© Thilo Rückeis

Klaus Töpfer: "Wir müssen eine Welt ohne Kernkraft erfinden"

"Nur auf die Laufzeiten zu schauen, greift zu kurz", sagt Klaus Töpfer. Der Ex-Umweltminister über das Energiekonzept der Regierung, den Atomstrom und Gefahren für die Demokratie.

Herr Töpfer, Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat das Energiekonzept der Regierung als „einmalig auf der Welt“ gefeiert. Was halten Sie davon?

Zumindest liegt jetzt ein Energiekonzept vor. Daran kann man sich ja abarbeiten. Das kann intensiv diskutiert und, wo notwendig, kritisiert werden. Wie lange ist es her, dass eine Bundesregierung ihr Energiekonzept vorgelegt hat?

Ist schon lange her. Damals ging es um den Bau von etwa 50 Atomkraftwerken …

Da liegt jetzt etwas auf dem Tisch. Dazu werden die Opposition, die Wirtschaft, Bürgerinitiativen ihre Alternativen präsentieren. Das ist wichtig. Das sieht man doch gerade beispielsweise im Streit um den neuen Hauptbahnhof in Stuttgart. Man kann vieles planen und entwickeln, aber am Ende braucht man die Zustimmung der Menschen vor Ort.

Welche Fragen müsste das Energiekonzept aus Ihrer Sicht beantworten?

Wir haben ein generelles Problem, Menschen Energieerzeugungsanlagen oder Transportkapazitäten für Strom akzeptabel zu machen. Die zentrale Frage ist das Stromnetz. Die Anforderungen an die Leitungen sind andere, wenn nicht-kontinuierlich und dezentral erzeugte erneuerbare Energien eingespeist werden sollen, als wenn stetig produzierte Energie aus großen Grundlast-Kraftwerken transportiert werden soll. Die Kohle- und Atomkraftwerke liegen nah an den Verbrauchszentren. Das gilt für die Windkraft, speziell die auf dem Meer, nicht. Strom aus Offshore-Windparks muss über größere Entfernungen transportiert werden. Technisch ist das mit der Hochspannungs- Gleichstrom-Technologie machbar. Aber die Netzstruktur muss vor allem an die Anforderungen der dezentral an Land produzierten erneuerbaren Energien angepasst werden. Das kostet Geld.

Soll dafür der Staat aufkommen? Mit dem Blick auf den nächsten Quartalsbericht gibt es eher keinen Netzausbau.

Wir haben tatsächlich lange über die Trennung von Netz, Produktion und Vertrieb von Strom in Europa gesprochen. Es ist zum Teil auch gehandelt worden. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass Wettbewerb entsteht. Aber auch wenn es keine Verstaatlichung von Stromnetzen geben wird, hat der Staat natürlich eine Verantwortung dafür, wie das Netz und der Zugang dazu aussieht. Es ist ja nicht so, dass der Staat da nichts tun könnte. Es gibt eine Netzregulierung. Es gibt das Ordnungsrecht. Das muss man nutzen.

Was ist mit der Windkraft an Land?

Aus meiner Sicht wäre eine Förderung für das sogenannte Repowering wichtig. Durch die Installation größerer Anlagen ließe sich der Stromertrag deutlich erhöhen. Denn es wird immer schwerer werden, noch große neue Flächen für die Windenergie an Land auszuweisen. Versuchen Sie mal, in Thüringen für Windräder zu werben. Da muss man sehen, dass man eine Fluchttür hat! Aber die Standorte, die man hat, leistungsfähiger zu machen, wäre auf jeden Fall sinnvoll.

Die ersten Windräder sind oft von Bürgern gegen den Widerstand der Versorger installiert worden. Es dürfte schwer sein, ihnen abzuverlangen, größere zu finanzieren …

Genau deshalb bräuchte es dafür ein Förderprogramm. Und aus der Kernenergie ist doch jetzt Geld zu erwarten, oder? Es wäre auch ein Programm, das den mittelständischen Windunternehmen dient, denn die sind eher nicht im Offshore-Geschäft.

Was halten Sie von der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke?

Ich habe schon an meinem ersten Tag als Umweltminister gesagt: Wir müssen eine Welt ohne Kernkraft erfinden. Das sehe ich immer noch so. Ich glaube, wir haben über lange Zeit zu wenig getan, um das auch zu erreichen. Ich bin der Überzeugung, dass das Stromeinspeisegesetz und später das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Wendepunkt war. Global ist das ein Vorbild geworden. Gerade erst hat Japan ein ähnliches Gesetz beschlossen, weil das den Durchbruch gebracht hat. Angesichts dieses Erfolgs muss man sich jetzt fragen: Wo sind die Engpässe? Die Frage darauf zu verengen, wie lang die Kernkraftwerke länger laufen sollen, scheint mir etwas kurz gegriffen zu sein. Wenn man von Brückentechnologie spricht, interessiert mich doch in besonderer Weise, auf welchem Pfeiler diese Brücke am Ende aufsetzt. Welche Auswirkungen haben längere Kernkraftlaufzeiten auf die Netzstrukturen? Denn auf die Kernkraftwerke sind die Netze seit 40 Jahren relativ genau zugeschnitten. Außerdem muss man die Brücke so kurz wie möglich machen, denn je länger sie wird, desto teurer und unsicherer wird sie. Jetzt muss man fragen, inwieweit diese Brücke tatsächlich eine ist und nicht ins Irgendwo hineinragt. Das ist die Anforderung. Das ist die große Chance für die Wirtschaft, denn die Zukunft liegt bei erneuerbaren Energien.

Wie passt Desertec in die Energiezukunft? Das ist der Plan, in Nordafrika im großen Stil Sonnenstrom für die Region dort und für Europa zu produzieren.

Desertec ist wie Offshore-Wind eine Großstruktur. Es ist der Plan, in den Mittelmeer-Anrainerländern 15 Prozent des europäischen Strombedarfs zu produzieren und nach Europa zu transportieren. Diese Strommengen dürfen nicht in Konkurrenz zur dezentral erzeugten Energie stehen. Es gibt nach wie vor große technische Probleme, um die Concentrated-Solar- Power-Technologie, also die konzentrierte Sonnenenergie zur Stromerzeugung (CSP), unter Wüstenbedingungen zu nutzen. Es gibt weltweit großes Interesse daran, seitdem es in Spanien erste Kraftwerke gibt. In Indien wird darüber diskutiert, die Wüstengebiete in Rajastan dafür zu nutzen. Nur ist dafür eine teure Infrastruktur an Leitungen erforderlich, um diese Energie zu den Verbrauchszentren zu bringen. Dieses Problem hat die chinesische Wasserkraft im Übrigen genauso. Dort nutzt man bereits die moderne Leitungstechnik. Bei Desertec stellt sich besonders die Frage, wie der Strom über die Pyrenäen geleitet wird.

Bisher gibt es keine Leitung, oder?

Das ist weitgehend richtig. Frankreich hat ein Unternehmen aufgebaut, das Transgreen heißt und nur Leitungskapazitäten zwischen Europa und Afrika aufbauen will. Italien hat ein großes Interesse daran, eine direkte Leitung von Tunesien nach Italien zu legen. Die Nordafrikaner wissen um die Probleme. Das wird eine Aufgabe für ein Energiekonzept der Europäischen Gemeinschaft sein. Die Kuppelstellen zwischen den nationalen Stromnetzen sind in ganz Europa nicht so ausgebaut worden, dass ein leistungsfähiger europäischer Strommarkt entwickelt werden kann.

Haben unsere zentralen Versorgungsstrukturen überhaupt noch Zukunft?

In den neuen Ländern ist das schon gar keine ideologische Frage mehr. Mit zentralen Leitungsnetzen werden wir auf dem Land, wo immer weniger Menschen wohnen, nicht mehr weiterkommen.

Meinen Sie Insellösungen?

Genau da wollte ich gerade hin. Das gilt nicht nur für die Stromversorgung. Es gilt erst recht für die Wasser- und Abwasserversorgung. Das ist doch ökonomisch gar nicht mehr machbar. Etwas ironisch formuliert: Es gibt Regionen, wo man das Abwasser besser mit dem Taxi in die nächstgelegene Kläranlage bringen lässt. Das wäre sicherlich billiger. Wie kriegen wir eine dezentrale Versorgung hin? Nicht aus ideologischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Das sind die Fragen, die mich interessieren.

Gibt es in Deutschland Parallelrealitäten zwischen Politik und Gesellschaft?

Ich sehe die in gewisser Weise zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Politik und Gesellschaft. Es fehlt am Dialog über die Umsetzung technologischen Fortschritts in unserer Gesellschaft. Was mich zunehmend besorgt, ist, dass wir immer weniger Technologien umsetzen können, weil die Gesellschaft die Vorteile, wenn überhaupt, nur mittel- und langfristig sieht, aber die Besorgnis hat, dass sie kurzfristig Nachteile mit sich bringt.

Alle reden von Wissensgesellschaft …

Mich beschäftigt sehr, wie aus einer Wissensgesellschaft eine Wissensdemokratie werden kann. Ich sehe mit Sorge, dass die Demokratie für viele Menschen auf der Welt an Strahlkraft verloren hat. Dass engagierte Menschen sagen, es braucht Führung, um die Umweltprobleme zu lösen, das ist eine Perspektive, die mich sehr nachdenklich macht. Das Verständnis von Demokratie, das staatliches Handeln auskoppelt, untergräbt die Demokratie. Die permanente Politikerbeschimpfung in der Öffentlichkeit führt doch als sich selbst erfüllende Prophezeiung dazu, dass kluge junge Menschen gar nicht mehr in die Politik gehen. Bei Wahlbeteiligungen von oft nahezu nur 50 Prozent bekommt man Regierungen, die gerade noch von 25 Prozent der Wahlberechtigten legitimiert worden sind. Wir haben eine Demokratie, die zunehmend zur Hülse wird, in der sich die Menschen gar nicht mehr zu Hause fühlen. Es kann nicht sein, dass die demokratische Bandbreite zwischen „basta“ und „aussitzen“ liegt.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

ZUR PERSON

DER POLITIKER

Klaus Töpfer (CDU) war von 1986 bis 1994 der zweite deutsche Umweltminister. Er musste nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl das Vertrauen der Menschen in die Politik wiedergewinnen. Den Erdgipfel in Rio 1992 prägte er maßgeblich mit. Danach war er als Bauminister für den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin verantwortlich.

DER ÖKOLOGE

Von 1998 bis 2006 leitete Töpfer das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi/Kenia. Es gelang ihm, das finanzschwache Programm zu einer bedeutenden UN-Institution auszubauen. Er leitet seit Herbst 2009 ein neues Institut zur Nachhaltigkeitsforschung (IASS). Zudem wirbt er neuerdings für das Wüstenstromprojekt Desertec.

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