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Wirtschaft: Kleine Schritte statt großer Sprünge

Im bundesweiten Vergleich bleibt Berlin zurück. Doch nun verbreitet sich vorsichtiger Optimismus

Gute Zahlen sehen anders aus. Das Wachstum schwach, die Arbeitslosigkeit hoch – im Vergleich zum übrigen Deutschland kann die Berliner Wirtschaft nicht mithalten (siehe Grafik). Nur bei den Unternehmensgründungen steht Berlin besser da als andere Bundesländer, doch das liegt vor allem an den vielen Ich-AGs. Ist in den vergangenen Jahren also alles schief gelaufen? Oder befindet sich die Hauptstadt wenigstens auf einem guten Weg? Am 17. September können die Berliner darüber abstimmen. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus stellen sie die Weichen für die künftige Entwicklung – auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Immerhin: In diesem Jahr steht es um die Stadt etwas besser als zuvor. Zumindest macht sich Optimismus breit – auch wenn er sich noch kaum in harten Zahlen ausdrückt. „Die Lage und die Stimmung in der Unternehmerschaft haben sich verbessert“, sagt der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), Eric Schweitzer. Auch der Senat ist zuversichtlich: Für dieses Jahr rechnet er mit einem Wachstum von „mindestens einem Prozent“. Das wäre mehr als bisher, aber immer noch schwach im Vergleich zum Rest des Landes.

Positive Nachrichten vermeldet vor allem der Tourismus: Noch nie kamen so viele Gäste in die deutsche Hauptstadt wie in den vergangenen Monaten – auch wegen der Fußball-Weltmeisterschaft. „Die WM war ein tolles Marketing für Berlin“, sagt Schweitzer. „Sie wird dem Tourismus weiter Impulse geben.“

Daneben entwickeln sich auch der Gesundheits- und der Dienstleistungssektor erfreulich gut. Außerdem gab es in der zu Ende gehenden Legislaturperiode einige prominente Unternehmensansiedlungen wie Universal, MTV, Helios und BASF. Und regelrechte Freudensprünge löste in der Wirtschaft die Gerichtsentscheidung aus, wonach der Flughafen Schönefeld nun tatsächlich ausgebaut werden darf.

Trotzdem waren die vergangenen fünf Jahre vor allem von einer Sache geprägt: dem Niedergang der Industrie. Gleich mehrere Unternehmen kehrten Berlin den Rücken oder haben dies zumindest angekündigt: Samsung, CNH, Herlitz, JVC. Insgesamt sank die Zahl der industriellen Arbeitsplätze erstmals unter 100 000. Zum Vergleich: 1992 waren es noch mehr als 200 000. „Manches wurde falsch eingeschätzt“, sagt Hartmann Kleiner, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). Die These des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), wonach die Zukunft der Stadt ausschließlich bei den Dienstleistungen liege, gehe an der Realität vorbei. „Die wichtigste Stütze der Wirtschaft bleibt das verarbeitende Gewerbe“, sagt Kleiner.

Das sieht man auch bei den Gewerkschaften so. „Berlin war einst die Geburtsstätte der deutschen Industrialisierung“, sagt der Landesvorsitzende des DGB, Dieter Scholz. Heute jedoch gebe es bezogen auf die Einwohner nur noch halb so viele Industriearbeitsplätze wie im Bundesdurchschnitt. Die künftige Regierung müsse sich deshalb an ihrem Engagement für die Industrie messen lassen. Daneben sei die Jugendarbeitslosigkeit eine der größten Herausforderungen. „Wenn die Politik hier nicht handelt, wird sie die Zeche zahlen müssen“, warnt Scholz.

Umstritten sind dagegen weitere Privatisierungen. Während der DGB dies ablehnt, sehen UVB und IHK darin ein wichtiges Mittel, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen und gleichzeitig den Haushalt zu entlasten. „Das betrifft vor allem Wohnungsgesellschaften und Krankenhäuser“, sagt IHK-Präsident Schweitzer. Daneben fordert er genauso wie Kleiner von der UVB einen Abbau der „überbordenden Bürokratie“.

Ob die Politik darauf hören wird, bleibt abzuwarten. Experten glauben ohnehin nicht, dass die Wahl viel ändern wird. „Die Probleme sind strukturell bedingt“, erklärt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). So bestünden in der Bau- und Immobilienwirtschaft hohe Überkapazitäten, und notwendige Sparmaßnahmen müsse jede Regierung durchführen. „Die Landespolitik wirkt sich nur langfristig auf die Wirtschaft aus“, sagt Brenke.

Dennoch: Einige Weichen kann die Politik stellen. Die gute Hochschullandschaft oder das kulturelle Image der Stadt seien vielversprechende Ansätze, meint Brenke. „Da ist in den letzten Jahren schon einiges passiert.“ In diesem Sinne müsse es auch nach der Wahl weitergehen – zum Beispiel, indem die Zusammenarbeit mit Brandenburg intensiviert oder die Anwerbung von Investoren verstärkt werde. „Auf große Projekte kann man nicht setzen“, sagt der Experte. „Was jetzt ansteht, ist Kärrnerarbeit.“

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