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Wirtschaft: Kleine Sparer werden über den Tisch gezogen - schon wieder

MOSKAU .Die Nacht zum 1.

MOSKAU .Die Nacht zum 1.Dezember war in Moskau die mit Abstand kälteste Herbstnacht seit mehr als 60 Jahren.Trotzdem war die Orschinskaja-Straße im Stadtbezirk Krylatskoje schon kurz nach sieben so belebt wie sonst nur die Flaniermeile im Zentrum an warmen Sommerabenden.Ziel der Völkerwanderung war die Sparkassenfiliale: Dort sollte die Auszahlung an die Ex-Kunden der Handelsbanken beginnen, die im Herbst ihre Konten umgestellt hatten.

Doch jegliche Hoffnungen auf Cash starben schon 50 Meter vor dem Eingang: "Sehr geehrte Sparer!" verkündete ein großes weißes Plakat."Der Zeitpunkt für die Bedienung Ihrer umgestellten Konten wird später bekanntgegeben.Hochachtungsvoll, Ihre Zentralbank!" Schilder wie diese, im Wortsinne in einer Nacht- und- Nebelaktion geklebt, sorgten dafür, daß vor allen in Moskauer Sparkassen die Luft brannte."Nie werden wir auch nur eine Kopeke sehen", schimpfte vor der Filiale in der Krasnaja-Presnja-Straße eine in Pelz und mehrere Tücher verpackte Endvierzigerin."Schweinebande, was erlaubt ihr euch, an die Wand stellen müßte man euch", forderte ein eher bieder aussehender Familienvater mit abgewetzter Kutte.

Millionen Russen warteten auf den 1.Dezember so sehnsüchtig wie kleine Kinder auf Väterchen Frost, der zu Neujahr die Geschenke bringt.Ende August, als nach der Rubelabwertung die meisten Handelsbanken Zahlungsunfähigkeit anmeldeten, riet Rußlands Zentralbank deren Privatkunden, ihre Konten auf die staatlichen Sparkassen umzustellen.Diese, so der damalige ZB-Chef, Sergej Dubinin, würden am 30.November mit der Auszahlung der Guthaben beginnen.Devisenkonten würden dabei zum Dollar-Wechselkurs der Zentralbank vom 1.September umgestellt.Damals kostete ein US-Dollar bereits neun Rubel; der Wechselkurs vom 15.August hingegen, dem letzten Tag vor dem Offenbarungseid der Regierung Kirijenko, betrug 1:6,22.Mit anderen Worten: Wer 1000 Dollar auf die hohe Kante gelegt hatte, mußte jeden dritten in den Rauch schreiben.Immerhin hatten Ex-ZB-Chef Dubinin und dessen Nachfolger, Viktor Geraschtschenko, großmäulig erklärt, der Staat garantiere die Auszahlung der transferierten Guthaben zu den genannten Bedingungen.Wann indes und ob überhaupt die privaten Geldhäuser ihren Verpflichtungen nachkommen würden, steht in den Sternen.Zwar hat die Duma im November ein Gesetz verabschiedet, wonach der Staat grundsätzlich verpflichtet werden soll, für die Anlagen der Bevölkerung bei privaten Geldhäusern einzustehen.Doch ZB-Chef Geraschtschenko, der gegen die Vorlage vergeblich Sturm lief, machte bereits klar, daß die Staatsbank mit ihren knappen Ressourcen bestenfalls die acht Handelsbanken mit den meisten Privatkunden sanieren könne.Spätestens seit Wochenbeginn ist jedoch klar, daß eben diese nun ein weiteres Mal über den Tisch gezogen werden: Die Auszahlungen an Inhaber umgestellter Konten würden "wegen technischer Probleme" nicht am 1.Dezember, sondern "etwas später" beginnen, sagte Geraschtschenko der Tageszeitung "Iswestija".

Mindestens zwei von drei Russen haben Forderungen an die maroden Banken.Das Vertrauen ist erschüttert - kein Wunder nach drei Geldentwertungen zu sowjetischen Zeiten, der Entwertung der Sparguthaben Anfang 1992, der Rubelabwertung und dem Bankencrash im August.Per 1.Juli belief sich das Gesamtguthaben kleiner Sparer (Einlagen von unter 1000 Dollar) bei der Inkombank auf 7,4 Mrd.Rubel, bei SBS-Agro auf 7,2 Mrd., bei der Mostbank 2,7 Mrd., bei Promstroj auf 1,4 Mrd.Rund 63 Prozent der Rubelkonten und 37 Prozent der Devisenkonten, so die "Iswestija" unter Berufung auf die Presseabteilung der Zentralbank hätten Konten umgestellt.Relativ gute Chancen, wenigstens einen Teil ihrer Ersparnisse wiederzusehen, haben nur die Ex-Kunden von Mostbank und SBS-Agro, Unklar ist, was mit den Konten der Inkombank passiert, der die Zentralbank im November die Lizenz entzog.Diese weigert sich seither, die Verpflichtungen aus dem Transferabkommen zu erfüllen - was die Staatsbank zum Anlaß nehmen könnte, das Abkommen aufzukündigen.Ausbaden darf den Schlamassel wieder einmal Iwan Normalverbraucher.

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