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Wirtschaft: Kleinfeld hoch zwei

Die neue Siemens-Führung orientiert sich noch stärker am Aktienkurs. Auch Verkäufe weiterer Konzernteile sind möglich

München - Die neue Siemens-Führung will die Unternehmensstrategie deutlich stärker als bisher auf einen höheren Aktienpreis ausrichten und erwägt dabei auch den Verkauf weiterer Konzernteile. Mehrere Aufsichtsräte sagten dem Tagesspiegel, der neue Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und der designierte Vorstandschef Peter Löscher wollten den sogenannten Shareholder Value klar in den Mittelpunkt stellen, um die Gefahr einer Übernahme des Konzerns zu verringern. Ein Gesprächspartner aus dem Unternehmen sagte unter Berufung auf zwei Aufsichtsräte, dass Cromme sogar ein konkretes Kursziel festgelegt habe: Der Siemens-Aktienkurs – derzeit knapp 95 Euro – müsse langfristig auf 130 bis 140 Euro steigen, also um 40 bis 50 Prozent.

Der noch amtierende Siemens-Chef Klaus Kleinfeld war vielfach von der Arbeitnehmerseite und den Gewerkschaften dafür kritisiert worden, seine Geschäftsstrategie zu stark an den Anforderungen von Investoren auszurichten. Die Börse honorierte seine Bemühungen nur mäßig: Seit seiner Amtsübernahme Anfang 2005 stieg der Kurs zwar um rund die Hälfte, der Dax, der Index der 30 größten börsennotierten deutschen Firmen, verdoppelte sich aber im selben Zeitraum nahezu. Der Verkauf der Handysparte an den taiwanesischen BenQ-Konzern, der in die Insolvenz führte, und die Auslagerung der Netzwerksparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Nokia, bei dem nun Tausende Arbeitsplätze gestrichen werden, hatte zu massiver Kritik an Kleinfeld geführt.

Cromme und Löscher, derzeit noch Vorstandsmitglieder des US-Pharmakonzerns Merck & Co., wollen diesen Kurs offenbar noch verschärfen. Der Konzern mit seinen zehn Sparten werde künftig viel stärker auf ausgewählte Geschäftsgebiete fokussiert, hieß es aus dem Aufsichtsrat. „Die beiden sind sich einig, dass Siemens in seiner heutigen Form viel zu breit aufgestellt ist.“ Die entscheidende Frage sei, ob in Zukunft einzelne Sparten zusammengefasst und damit zentralistischer geführt oder komplett verkauft würden. „Ich nehme an, es kommt zu einer Kombination aus beiden Varianten“, sagte ein Mitglied des Kontrollgremiums.

Der Verein der Siemens-Belegschaftsaktionäre, der rund 6000 Siemens-Mitarbeiter vertritt, warnte vor weiterem Kahlschlag. „Wir befürchten, dass Cromme und Löscher Siemens auf Kosten der Mitarbeiter und der Produktpalette stark beschneiden wollen“, sagte Vorstand Manfred Meiler dem Tagesspiegel. Die Optimierung des Aktienkurses dürfe keine Leitlinie für die Firmenpolitik sein. „Wir erwarten, dass Löscher die Baustellen des Konzerns sozialverträglich bereinigt und nachhaltig Perspektiven für die Bereiche schafft“, sagte Meiler. Dringenden Handlungsbedarf gebe es vor allem in den Sparten IT-Dienstleistungen, der Automobilzulieferersparte VDO, dem Netzspezialisten Enterprise und dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks.

Auch Aktionärsschützer reagierten verhalten. „Aktienkurse steigen nicht, weil jemand sagt, er achte jetzt darauf, sondern nur, weil die Gewinne steigen“, sagte Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Das Hauptaugenmerk muss darauf liegen, das operative Geschäft in Ordnung zu kriegen“, sagte Kurz. „Dann steigt der Kurs von alleine.“

Ein Siemens-Sprecher sagte, der Konzern könne sich vor dem Amtsantritt Löschers im Juli nicht zur künftigen Strategie äußern. Es sei aber nicht anzunehmen, dass Löscher die Linie seines Vorgängers verlasse. Kleinfeld habe Ende April bereits angekündigt, dass sich Siemens im Zuge des neuen Unternehmensprogramms „Fit for 2010“ künftig auf die drei Geschäftsfelder Energie, Infrastruktur und Medizintechnik konzentrieren wolle. Es komme darauf an, Siemens schneller, fokussierter und weniger komplex zu machen. Ziel sei es, die Schlagkraft des Unternehmens weiter zu erhöhen.

Die Gewerkschaft IG Metall ist angesichts des neuen Shareholder-Value-Kurses skeptisch. „Das hat ja auch schon Herr Kleinfeld versucht, es ist ihm nicht gelungen“, sagte Wigand Cramer, Siemens-Experte der IG-Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. In Berlin ist Siemens der größte industrielle Arbeitgeber. „Der neue Chef wird da nicht mehr tun können als der alte“, sagte Cramer. Das Einzige, was dem Aktienkurs bisher geholfen habe, sei gewesen, „hin und wieder einen neuen Vorstandschef zu präsentieren“.Mitarbeit: Stefan Kaiser

Nicole Huss

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