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Wirtschaft: Kleinster Nenner

Als Gerhard Schröder im Mai Neuwahlen ankündigte, schien der Weg für eine konservativliberale Regierung geebnet. Immerhin lag Rot-Grün in Umfragen damals weit hinten.

Als Gerhard Schröder im Mai Neuwahlen ankündigte, schien der Weg für eine konservativliberale Regierung geebnet. Immerhin lag Rot-Grün in Umfragen damals weit hinten. Kurz vor der Wahl liegen nun nur noch sieben Prozentpunkte zwischen Rot-Grün und SchwarzGelb: Alles ist offen. Rot-Grün wird zwar kaum an der Macht bleiben, aber auch für CDU und FDP könnte es nicht zur Mehrheit reichen.

Rechnerisch gesehen könnte Schröder eine Allianz mit der neuen Linkspartei eingehen, einem Bündnis von Post-Kommunisten und verärgerten SPD-Mitgliedern. Schröder hat das zwar abgelehnt, aber er hatte einst auch gesagt, dass er es nicht verdiene, wiedergewählt zu werden, wenn er die Arbeitslosigkeit nicht senke.

„Vielleicht gibt es in dieser Gesellschaft einfach keine klare Mehrheit“, sagte kürzlich der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Böhr. Mit solchem Defätismus sieht man nicht wie ein Gewinner aus – vielleicht sagt er aber auch nur das Offensichtliche.

Umfragen zu Folge will eine Mehrheit der Deutschen eine große Koalition, zu der es auch kommen kann. Hier spiegelt sich die deutsche Sehnsucht nach Harmonie und die Angst vor Veränderung. Die meisten Deutschen verstehen zwar, dass Reformen nötig sind, aber sie widerstreben ihnen. Deswegen glauben sie, dass eine große Koalition praktisch schmerzfrei reformieren könnte. Solche Reformen würden jedoch nichts verändern, sondern auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bleiben.

Angela Merkel hat es nicht geschafft, die Unzufriedenheit der Menschen auszunutzen und sich auf die Unstimmigkeiten von Schröders Wahlkampf einzuschießen. So hatte Schröder behauptet, dass seine Reformpolitik keine Unterstützung seiner Partei mehr habe. Wie sich das ändern soll, wenn dieselben SPD-Abgeordneten wiedergewählt würden, hat er nicht erklärt. Er stellte sich als mutigen Reformer dar und beschimpfte gleichzeitig die Opposition als gewissenlose Kapitalisten.

Der bizarrste Aspekt des Wahlkampfs ist jedoch die Diskussion um Paul Kirchhof, der ein bekannter Verfechter des Einheitssteuersatzes ist. Das führte zu Problemen zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU, die sich vorher auf ein Beibehalten des progressiven Steuersystems geeinigt hatten. Merkel bekannte sich daraufhin zum Parteiprogramm und verteidigte Kirchhof als Mann mit „Visionen“.

Das erinnerte viele an Helmut Schmidts Ausspruch, dass Leute, die Visionen hätten, zum Arzt gehen sollten. Diese Unstimmigkeit im schwarzen Lager nutzte Schröder aus und attackierte Kirchhof als „sozial ungerecht“ – die wohl schlimmste Beleidigung in Deutschland.

Die Opposition erklärte darauf lediglich, dass einkommensschwache Menschen durch Vergünstigungen von diesem System besonders profitieren würden. Da sie sich aber nicht voll hinter Kirchhofs Pläne stellte, schloss die Öffentlichkeit, dass der Kanzler Recht haben müsse.

Wenn es Angela Merkel nun gelingt, sich eine Mehrheit zu sichern, wären das nicht die ersten Umfragen gewesen, die die Stimmung der Menschen nicht erkannt hätten. Aber wenn es zum vorhergesagten knappen Ergebnis kommt, dürften die Deutschen bald merken, dass sie ihre Probleme nicht gelöst haben.

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