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Über dem Kohlekraftwerk Niederaussem steht eine Dampfwolke. Von 2021 soll es für Kraftwerke teurer werden, Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen.

© Federico Gambarini/dpa

Klimaschutz: Berlin akzeptiert Verfallsdatum für CO2-Zertifikate

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth hat im Brüsseler Rat für die deutsche Industrie gekämpft - und für sie kostenlose CO2-Berechtigungen erstritten. Die Verhandlungen mit Parlament und Kommission dürften trotz des Kompromisses schwierig werden.

Die Verbände der energieintensiven Industrien können zufrieden sein. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) hat sich beim Umweltministerrat der Europäischen Union sehr dafür eingesetzt, dass sie mehr Kohlendioxid-Zertifikate kostenlos zugeteilt bekommen, als die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Am Dienstag entschied der Umweltrat, mit welcher Position er in die Verhandlungen mit Parlament und Kommission über die Reform des Emissionshandels von 2021 an gehen will. Am Abend entschieden die Minister gegen neun Gegenstimmen, dass die Industrie mehr Zertifikate kostenlos zugeteilt bekommt.
Die maltesische Präsidentschaft hatte vorgeschlagen, von 2021 an 57 Prozent der CO2-Zertifikate zu versteigern und 43 Prozent kostenlos an die Industrie auszugeben. Flasbarth warb leidenschaftlich dafür, die kostenlose Zuteilung auf 45 Prozent der Zertifikate zu erhöhen – und setzte sich damit am Ende durch. Sein Argument war, dass anderswo „mit Hochdruck daran gearbeitet wird, Umweltstandards drastisch zu senken“. Damit meinte er die amerikanische Regierung. Deshalb müsse die europäische Industrie vor „unfairem Wettbewerb geschützt werden“, argumentierte Flasbarth.

Mit Blick auf Polen signalisierte er „Flexibilität“ bei den Solidaritätszahlungen aus den Einnahmen des Emissionshandels. Polens Umweltminister Jan Szyzko diskutierte derweil gar nicht über den Emissionshandel sondern darüber, dass das Wachstum der polnischen Wälder das Land auch ohne Einschränkungen bei der Kohleverstromung klimaneutral machen könnten. Am Abend sollte sich dann auch zeigen, dass die bisher bewährte Strategie, Polen so lange Geld zu versprechen, bis sie irgendwann doch zustimmen, dieses Mal erfolglos war.

"Polen fühlt sich betrogen"

Worauf sich die Bundesregierung im Gegenzug eingelassen hat, ist ein Vorschlag, den Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Schweden am Dienstag in die Diskussion eingebracht haben. Frankreichs Umweltministerin Ségolène Royal will CO2-Zertifikate, die länger als fünf Jahre lang in der neuen Markt-Stabilitäts-Reserve lagern, dauerhaft stilllegen. Jedenfalls dann, wenn mindestens 500 Millionen CO2-Zertifikate in diesem Reservepool liegen, erläuterte die schwedische Klimaministerin Isabella Lövin. Bisher hatte sich die Bundesregierung gegen eine solche dauerhafte Entwertung von nicht gebrauchten Zertifikaten gewehrt, was die grüne Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock am Dienstag noch einmal scharf kritisiert hatte. Kurz vor der Abstimmung stellte Tschechien noch einmal klar, dass diese Stilllegung nicht nur einmal bei der Schaffung der Marktstabilitätsreserve greifen soll, sondern jedes Jahr.
Nach der Abstimmung sagte der polnische Umweltminister Jan Szyszko: „Polen fühlt sich betrogen.“ Seine Kollegin aus Ungarn protestierte ebenso wie der Vertreter aus Italien. 2014 habe der Rat beschlossen, den Emissionshandel „im Konsens“ zu reformieren, klagte Szyszko. Doch der Ratspräsident aus Malta entschied, nach einer 19-monatigen Debatte mit vier Umwelträten und 30 Treffen auf Fachebene, dass alle Argumente ausgetauscht seien. Deshalb ließ er die Eröffnung des Trilogs, also die Verhandlungen mit dem Europaparlament und der EU-Kommission, am Dienstag mit einfacher Mehrheit abstimmen. 19 Regierungen beklatschten diese Entscheidung minutenlang. Nun beginnt die nächste Schacherrunde in Brüssel. Das eröffnet Polen eine weitere Chance, die Verhandlungen über die Reform des Emissionshandels auszubremsen.
Flasbarth hatte am Vormittag Unterstützung vom britischen Klima-Staatssekretär Nick Hurd bekommen. Hurds Redebeitrag klang so, als wäre es ganz klar, dass Großbritannien 2021 noch Teil des Europäischen Emissionshandels sein würde. Dabei ist im Zuge der Brexit-Verhandlungen gar nichts klar. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich in ihren Brexit-Reden bisher nicht dazu geäußert, wie die britische Klimapolitik künftig aussehen soll. Da Großbritannien neben Deutschland aber der Staat mit den größten Emissionsminderungen ist - für 2016 meldete das britische Klimaministerium eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 38 Prozent im Vergleich zu 1990 - bringt ein Ausstieg der Briten das ganze System ins Wanken.

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