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Wirtschaft: Knochenjob mit Herz

Nach einer Ausbildung zum Altenpfleger hat man beste Aussichten auf eine Stelle. Immer mehr Arbeitslose interessieren sich dafür. Wer schon als Pflegehelfer arbeitet, kann sich berufsbegleitend weiterbilden – und hinterher mehr verdienen.

Wehe, die Tür knallt zu. Oder zu viele Leute reden zu laut durcheinander. Dann dreht Tequila auf. Der flauschige braune Mischling hüpft und kläfft. Mehrmals muss Corinna Herrmann ihn zur Ruhe mahnen, bis er sich abregt und hinlegt. Zu viel Trubel macht den 13 Jahre alten Hund nervös. Tequila folgt der Pflegedienstleiterin im Seniorendomizil an der Panke auf Schritt und Tritt. Er ist nicht das einzige Haustier. Im Foyer hat sich eine Katze auf dem Sofa zusammengerollt, im Zimmerteich paddelt eine Schildkröte träge im Wasser. Bewohner dürfen ihre Tiere mitbringen – vorausgesetzt, sie können sich noch selbst um sie kümmern. „Wenn sie irgendwann nicht mehr können, machen wir das natürlich“, sagt die 51-Jährige. So kam sie zu ihrem ständigen Begleiter. Das Altenheim in Berlin-Wedding erinnert eher an eine WG als an eine medizinische Einrichtung. Jedes Stockwerk ist anders dekoriert – im MOment passend zur Jahreszeit mit viel Weihnachtsschmuck. Das Motto des Hauses fasst Corinna Herrmann so zusammen: „Wir arbeiten im Zuhause unserer Bewohner. Sie wohnen nicht zufällig an unserem Arbeitsplatz.“

Doch trotz aller Fröhlichkeit, die hier zu spüren ist: Auch im Seniorendomizil an der Panke kennt man die Nöte der Pflegebranche. „Wir brauchen dringend Fachkräfte“, sagt die Pflegedienstleiterin. „Wir bilden aus, so viel wir dürfen.“ Sieben Auszubildende in Vollzeit sind derzeit in der Einrichtung beschäftigt, eine Pflegehilfskraft macht außerdem die berufsbegleitende Ausbildung zum examinierten Altenpfleger. „Es wäre schön, wenn es noch mehr wären“, sagt Herrmann.

Je nach Schätzung fehlen bundesweit 30 000 bis 50 000 Altenpfleger. Für Berlin könnten Prognosen der Bertelsmann-Stiftung zufolge bis 2030 etwa 25 000 Vollzeitstellen fehlen. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste warnt, dass sich der Bedarf aus eigener Kraft nicht decken lässt. Inzwischen suchen die Arbeitsämter weltweit nach Pflegepersonal, unter anderem in Spanien, Griechenland und Serbien. Im Januar sollen 150 chinesische Pflegehelfer nach Deutschland kommen und hier weiterqualifiziert werden. Einige Bundesländer haben das Schulgeld an den Pflegeschulen abgeschafft, um die Ausbildung attraktiver zu machen (siehe Kasten).

Im Dezember 2012 unterschrieben 30 Partner aus Bund, Ländern und Verbänden die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege, die bis Ende 2015 laufen wird. Bis 2015 sollen die Ausbildungszahlen pro Jahr um zehn Prozent ausgebaut werden. Die Bundesagentur für Arbeit fördert die dreijährige Umschulung zum Altenpfleger wieder über die komplette Ausbildungsdauer. Zudem wurde die Möglichkeit einer verkürzten Ausbildung geschaffen: Pflegehelfer mit entsprechenden Vorkenntnissen können die berufsbegleitende Weiterqualifikation zum examinierten Altenpfleger, die in der Regel vier Jahre dauert, um bis zu ein Jahr verkürzen – vorausgesetzt ein psychologisches Gutachten befindet sie für geeignet.

Die Bemühungen zeigen erste Wirkung. Bis August dieses Jahres haben laut Bundesagentur für Arbeit bundesweit 2700 Arbeitslose mit einer Qualifizierung für die Altenpflege begonnen – etwa die Hälfte mehr als im Vergleichszeitraum 2012. „Seit diesem Frühjahr ist das Interesse an einer Altenpflegeausbildung gestiegen“, sagt die Pflegepädagogin Elfriede Bär, die am Campus Berufsbildung e.V. die Altenpflegeausbildung koordiniert. „Vor allem die berufsbegleitende Ausbildung wird stärker nachgefragt.“ Die Altenpflegeschule des Campus Berufsbildung bietet pro Jahr zwei berufsbegleitende Kurse für jeweils zirka 20 Teilnehmer an, „und die sind eigentlich immer voll“. Nicht alle Teilnehmer kommen mit einem Bildungsgutschein vom Arbeitsamt. „Aber generell ist die Förderpolitik zurzeit ziemlich großzügig.“

Die Pflegepädagogin freut sich über die Schüler mit Berufserfahrung. „Sie sind älter, erfahrener und wissen, wie der Arbeitsalltag aussieht“, sagt sie. „Meistens sind sie hochmotiviert und oft auch besser im Examen.“ Die Abbruchquote sei niedriger als in den Vollzeitklassen. Bär rät Pflegehelfern, die sich weiterqualifizieren wollen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. „Bei vollen Schichten ist das kaum zu schaffen.“ Doch eine reduzierte Arbeitszeit bedeutet weniger Geld – und ein Mitarbeiter weniger in der Schicht im Heim. Das kann im Alltag vieler Einrichtungen problematisch sein. Über das Programm Wegebau, ein Förderprojekt speziell für gering qualifizierte Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen, können sowohl die Beschäftigten als auch die Unternehmen finanziell unterstützt werden.

Diejenigen, die sich für die berufsbegleitende Ausbildung entscheiden, motiviert zum einen die Aussicht auf mehr Geld. Für Pflegehelfer gilt derzeit ein Mindestlohn von neun Euro brutto pro Stunde im Westen und acht Euro pro Stunde in den neuen Bundesländern. Daten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge verdienen examinierte Altenpfleger im Durchschnitt 2400 Euro brutto im Monat – bis zu 1000 Euro mehr als Pflegehelfer.

„Aber auch neue Arbeitsmöglichkeiten sind für viele eine Motivation“, sagt Elfriede Bär. Denn Altenpfleger dürfen Aufgaben übernehmen, die Pflegehelfer nicht tun können, zum Beispiel Spritzen geben und einen Wohnbereich leiten. Und für viele Weiterbildungen im Pflegebereich ist die Ausbildung zum Altenpfleger Voraussetzung, etwa zum Hygienebeauftragten oder zur Pflegedienstleitung.

Für die Ausbildung spricht auch: die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz. Laut Bundesagentur für Arbeit ist der Pflegenotstand fast ausschließlich ein Phänomen der Fachkräfte: Auf 100 gemeldete Stellen kamen im Zwölf-Monats-Durchschnitt nur 39 als arbeitslos gemeldete Altenpfleger, heißt es in dem im Oktober veröffentlichten Bericht „Arbeitsmarkt Altenpflege“. Für Pflegehelfer sieht die Arbeitsmarktlage wenig rosig aus: Auf 100 Stellen kommen statistisch 802 arbeitslose Pflegehelfer, in manchen Regionen Ostdeutschlands sogar 1265.

Jessica Harbach kann der Zukunft also gelassen entgegensehen. Die 29-Jährige ist eine der sieben Auszubildenden im Seniorendomizil an der Panke: „Für mich ist Altenpflegerin ein Traumberuf.“ Meist beginnt ihr Arbeitstag um 6.30 Uhr, sie wäscht die Bewohner auf ihrer Station, frühstückt mit ihnen. Sie macht am liebsten die Frühschicht, dann hat sie nachmittags noch Zeit für ihren siebenjährigen Sohn. Bis zum Beginn der Ausbildung war sie Vollzeit-Mutter. Es ist ihre erste Ausbildung. Die Theorieblöcke absolviert sie am Campus Berufsbildung. Die Ausbildung ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch inhaltlich sehr anspruchsvoll. Viele packen es nicht: In Jessica Harbachs Klasse sind von mehr als 30 Anfängern nur noch 18 dabei. Schichtarbeit, Schule, ihr Sohn – auch für die 29-Jährige ist der Alltag anstrengend: „Wenn es mir nicht so viel Spaß machen würde – ich weiß nicht, ob ich es durchhalten könnte."

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