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Wirtschaft: Koalition soll Hartz IV kürzen

Wirtschaftsweise: Weniger Arbeitslosengeld II bringt rund 350 000 neue Jobs

Berlin - Mit einem neuen Kombilohn-Modell könnten nach Berechnungen des Sachverständigenrats rund 350 000 neue Stellen für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte in Deutschland entstehen. Um Arbeit im Niedriglohnsektor attraktiver zu machen, empfehlen die Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, den Regelsatz beim Arbeitslosengeld II um 30 Prozent abzusenken. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner lehnte diesen Vorschlag ab. „Die Koalition wird die Leistungen nicht kürzen. Es ist ein Irrtum, dass dadurch mehr Beschäftigung geschaffen wird“, sagte Brandner dem Tagesspiegel.

Der Sachverständigenrat empfiehlt darüber hinaus, die Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose sowie die Bedingungen für geringfügige Beschäftigung (Mini- und Midijobs) zu überarbeiten. An diesem Freitag übergeben die Ökonomen der Bundesregierung ein Gutachten zum Kombilohn, dessen Kurzfassung dem Tagesspiegel vorliegt. Die große Koalition will in diesem Herbst den Niedriglohnsektor neu organisieren. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) will dabei über Kombilöhne, Mindestlöhne und Zuverdienste für Langzeitarbeitslose beraten.

Würde das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent abgesenkt, so erhielten die rund zwei Millionen Betroffenen nur noch einen Regelsatz von rund 240 Euro im Monat, heute sind es 345 Euro. Die Kürzungen würden nach Ansicht des SPD-Arbeitsmarktpolitikers Brandner jedoch dazu führen, dass das Existenzminimum für die Betroffenen nicht mehr gewährleistet ist. Brandner sagte, es gehe nicht darum, mehr Druck auf Arbeitslose auszuüben. Die große Nachfrage nach Ein-Euro-Jobs – bis hin zu Wartelisten – zeige schon jetzt, dass die meisten Menschen bereit seien, Arbeit anzunehmen. „Unser Problem sind die fehlenden Arbeitsplätze“, sagt der SPD-Politiker.

Die Wirtschaftsweisen empfehlen, die heutigen 400-Euro-Minijobs deutlich einzudämmen. Die Einkommensgrenze für die steuerfreien und mit pauschalen Sozialabgaben belegten Minijobs soll von derzeit 400 auf 200 Euro sinken. Wer neben dem Arbeitslosengeld II einen Minijob annimmt, soll im gleichen Umfang seine Stütze gekürzt bekommen. Ein Nebenjob soll sich für den Betroffenen erst wieder lohnen, wenn er mehr als 200 Euro brutto im Monat abwirft. Der Sachverständigenrat schlägt vor, dass Arbeitslose bei einem Verdienst zwischen 200 und 800 Euro 50 Prozent statt bisher 20 Prozent behalten dürfen. Mit steigendem Bruttoeinkommen soll auch gleitend die Höhe der Sozialbeiträge steigen, die entrichtet werden müssen.

Wer keine reguläre Stelle findet, müsste demnach seinen Transfer durch eine Arbeitsgelegenheit auf dem zweiten Arbeitsmarkt aufbessern. Die Wissenschaftler prophezeien, dass die Betroffenen dadurch im Vergleich zu heute keine finanziellen Einbußen hinnehmen müssten. Gleichzeitig könne ihre Arbeitsbereitschaft überprüft werden. Zumindest in der Anfangsphase müsse sich die Zahl der Arbeitsgelegenheiten verdoppeln, erwartet der Sachverständigenrat. Derzeit sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) knapp 300 000 Personen in einem Ein-Euro-Job tätig.

Dass die Vorschläge umstritten sein werden, nehmen die Experten im Gutachten schon vorweg: Wenn der Politik die Kraft für die Kürzung des Arbeitslosengeldes II – eine „weitreichende und gesellschaftlich kontroverse Maßnahme“ – fehle, dann solle sie zumindest den Mut haben, auf eine andere, wenig wirksame aber teure Ausweitung bisheriger Instrumente zu verzichten.

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