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Für einen Schuldenerlass Griechenlands plädiert der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Wirtschaft: „Kohl hatte recht“

Der Ökonom Bert Rürup über die Krisenpolitik in der EU und die Notwendigkeit von Transfers und Eurobonds

Herr Rürup, was haben die Finanzminister auf ihrer letzten Sitzung erreicht?

Es wurde gesagt, dass man mittlerweile für alles offen ist und damit auch für einen Schuldenerlass Griechenlands. Der Konflikt mit der EZB, die ja dezidiert dagegen ist, wurde deutlich offengelegt. Alles in allem endete dieses Treffen aber in einer Nicht-Entscheidung. Positiv ist, dass die Finanzminister bislang Undenkbares wie Rückkaufprogramme oder Eurobonds diskutierten.

Sie als Ökonom müssten aufseiten des EZB-Präsidenten Trichet stehen.

Grundsätzlich ist das so. Aber Lösungen, die vor einem Jahr machbar waren, sind jetzt aufgrund der Zauderei – nicht zuletzt der deutschen Regierung – nicht mehr möglich. Wenn es im Frühjahr 2010 eine klare Ansage der Euro-Staaten gegeben hätte: „Wir stehen auf jeden Fall zu Griechenland“, dann wäre vieles anders gelaufen. Stattdessen wurde über ein Jahr auf Zeit gespielt, auch weil man Zorn und Unverständnis der Bevölkerung über kostspielige Rettungsaktionen fürchtete.

Und jetzt geht es nicht mehr ohne einen Schuldenschnitt?

Ja, das ist leider offensichtlich. Ich war der Ansicht, dass man dies hätte vermeiden sollen. Und Trichet sieht das heute noch so. Aber auch der EZB-Präsident ist ein Banker, und die scheuen Verluste in der Bilanz wie der Teufel das Weihwasser. Das griechische, portugiesische und irische Bankensystem hängt am Tropf der EZB. Und wenn es nun einen Schuldenschnitt gibt, dann belastet das die Bilanz der EZB ganz erheblich.

Nun ist Commerzbank-Chef Martin Blessing auch ein Banker, und der plädiert für einen Schuldenschnitt.

Ich finde seine Ausführungen mutig und abgewogen, weiß allerdings nicht, wie viel griechische Anleihen er noch in seiner Bilanz hat.

Sie stimmen Blessing zu?

Bei meinem ursprünglichen Verständnis des europäischen Einigungsprozesses und der Europäischen Währungsunion widerstrebt ein Teilbankrott eines Euro-Landes dem Geist dieser Ideen. Aber heute muss ich zugeben, dass die Politik durch ihr Zaudern den Geist dieser Ideen geschwächt hat und ein Teilbankrott wohl in Kauf genommen wird.

Ist die Teilentschuldung besser als die Ausgabe von Eurobonds?

Das eine ist kein Ersatz für das andere. Was immer auch für Griechenland gemacht wird, muss Bestandteil eines umfassenden Paketes sein. Andernfalls gibt es keine Ruhe auf den Finanzmärkten. Es geht nämlich nicht mehr nur um die Stabilisierung Griechenlands, sondern um eine dauerhafte Stabilisierung der Eurozone als Ganzes. Dazu wird man um Eurobonds nicht herumkommen.

Wie soll das funktionieren?

Eurobonds bedeutet, dass nicht mehr ein einzelnes Land an den Kapitalmarkt geht, sondern die Gemeinschaft der Euroländer vertreten durch eine gemeinsame Institution. Dies könnte zum Beispiel der EFSF oder vorzugsweise ein neu einzurichtender Europäischer Währungsfonds sein. Die einzelnen Länder können sich bei dieser Institution in Höhe bis zu 60 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung verschulden – das ist das Maastrichtkriterium. Diese Kredite oder Anleihen sind dann günstiger, weil das Ausfallrisiko dieser Eurobonds kaum höher als das französischer oder deutscher Anleihen wäre. Für die nationalen Schulden, die über 60 Prozent hinausgehen, müssten die einzelnen Länder selbst auf den Kapitalmarkt aktiv werden und dafür höhere Kreditkosten in Kauf nehmen. Aber bis zu der 60- Prozent-Marke würde dies eine substanzielle Reduzierung der Zinslasten der schwächeren Staaten bedeuten.

Haben Sie diese Idee schon einmal im Kreise der Euro-Finanzminister gehört?

Jean-Claude Juncker denkt offensichtlich in diese Richtung.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement von Deutschland und Frankreich, den führenden Euro-Ländern?

Deutschland war ja der Geburtshelfer des Euros und der Motor der europäischen Integration. Diesen Elan kann ich in den letzten Jahren nicht mehr erkennen.

Gibt es zu wenig Leidenschaft für Europa?

Ja! Der Euro war von Anfang an ein Projekt, um die politische Integration Europas voranzutreiben. Was jetzt offen zutage tritt, sind die beiden ökonomischen Geburtsfehler, nämlich der Glaube, dass ein Stabilitätspakt ein Ersatz für eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik sei und dass es in einer EU, die immer eine Transferunion war, eine EWU geben könne, die keinerlei Transferelemente haben dürfe. Deshalb wird keine Rettungsaktion zur Stabilisierung der EWU einen nachhaltigen Erfolg haben, wenn sie nicht mit einem Schub bei der Europäischen Integration verbunden ist.

Vermissen Sie auch Helmut Kohl?

Herr Kohl hat den Euro gegen den Willen der Mehrheit der Ökonomen eingeführt. Ich war auch einer der 62 Ökonomen, die 1992 den ersten Aufruf gegen den Euro unterzeichnet haben. Heute bekenne ich: Helmut Kohl hatte recht. Der Euro ist ein ökonomischer Erfolg, und Deutschland ist einer der großen Profiteure der Gemeinschaftswährung.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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