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Haus gegen Pflanzen. Holger Zahn hat es sich auf der Terrasse seines Cafés bequem gemacht. Für den Bau hat er nicht einen Cent bezahlt.

© Georg Moritz

Kompensationsgesellschaft: Tauschhandel - Bloß kein Geld

Über eine Berliner Gesellschaft tauschen Unternehmen Waren und Dienstleistungen. Vor allem Mittelständler profitieren.

Von Carla Neuhaus

Die Idee hatte Holger Zahn bereits vor über vier Jahren: Um mehr Kunden in seine Baumschule zu locken, wollte er ein Hofcafé eröffnen. Allerdings fehlte ihm das nötige Geld, um ein Gebäude dafür zu errichten. „Es gab immer Investitionen, die wichtiger waren“, erzählt Zahn, der die Späth’sche Baumschule in Treptow leitet. „Und als Mittelständler bekomme ich schließlich nicht unbegrenzt Kredite.“

Dass sein Hofcafé im letzten Sommer dann doch noch Realität wurde, verdankt er einer alternativen Finanzierungsform: Statt einen Kredit aufzunehmen, ertauschte sich Zahn sich sein Café. Trockenbauer, Elektriker und Dachdecker halfen ihm, das Gebäude zu errichten – doch statt mit Geld bezahlte der Gartenbauer mit Pflanzengutscheinen. Weil nicht jeder Arbeiter, der beim Bau des Cafés mithalf, auch Pflanzen gebrauchen konnte, tauschten sie Ware und Leistungen nicht direkt. Sowohl Zahn als auch die beteiligten Handwerker sind Mitglied eines Tauschrings für Unternehmen, der Deutschen Kompensationsgesellschaft (DKG) mit Hauptsitz in Berlin. Dort hat jedes Mitgliedsunternehmen ein Konto, ähnlich wie bei einer Bank – nur dass auf diesen Konten kein reales, sondern nur ein fiktives Vermögen lagert: Erbringt ein Unternehmen eine Leistung für einen Tauschpartner, bekommt es sogenannte „DKG-Euros“ gutgeschrieben. Nimmt es eine Leistung in Anspruch, wird ihm die Summe in der fiktiven Währung abgezogen. So glich Zahn sein DKG-Konto mit Pflanzengutscheinen an andere Mitgliedsunternehmen aus.

Wie die Späth’sche Baumschule haben sich mittlerweile 700 meist mittelständische Unternehmen aus ganz Deutschland der DKG angeschlossen – vom Anwalt über den Restaurantbetreiber bis hin zum Autohaus. Sie tauschen zum Beispiel Rechtsberatung gegen Restaurantgutscheine gegen den Leihwagen. Und die Zahl der Mitglieder steigt stetig. „In diesem Jahr wollen wir die 1000er-Grenze knacken“, sagt David Seifert, einer der beiden Geschäftsführer. Inzwischen gibt es Zweigstellen in Rostock und Hamburg. Noch dieses Jahr sollen Büros in Kassel und Basel hinzukommen.

Weltweit gibt es derzeit etwa 700 Organisationen, die den Tausch von Waren und Leistungen zwischen Unternehmen koordinieren. Während dieses Modell in Deutschland noch ein Schattendasein führt, ist es in anderen Ländern wie den USA oder Australien bereits weit verbreitet. So schätzt die Welthandelsorganisation (WTO), dass gut 15 bis 20 Prozent des Welthandels über solche Tauschgeschäfte abgewickelt wird. In der Schweiz ist beispielsweise jedes vierte Unternehmen Mitglied bei der WIR, einer der ältesten Tauschgesellschaften, die mittlerweile den Status einer Bank hat.

Die Idee, die hinter einem solchen Tauschnetzwerk steckt, ist uralt. Schließlich haben Menschen schon lange bevor sie überhaupt das Geld erfanden, untereinander Tauschgeschäfte abgewickelt. Dennoch sehen die Mittelständler von heute in der modernen Tauschbörse gleich mehrere Vorteile. Für Gartenbauer Zahn ersetzte der Tausch einen Kredit. Für Gabriele Cichon, die die Berliner Druckerei Giesler führt, ist die Mitgliedschaft im Tauschring dagegen vor allem eine Möglichkeit, neue Kunden zu gewinnen. Bei ihr können andere DKG-Mitglieder für ihr Unternehmen per Tauschgeschäft Flyer, Visitenkarten oder Briefbögen drucken lassen. „Im letzten Jahr haben wir auf diese Weise fünf neue Kunden gewonnen, die jetzt regelmäßig mit neuen Druckaufträgen zu uns kommen“, sagt Cichon. Sie selbst hat mit ihrem fiktiven Guthaben einen Anwalt bezahlt.

Allerdings gibt es für das Guthaben auf dem Tauschkonto anders als bei einem Bankkonto keine Zinsen. „Meist haben die fiktiven Geldeinheiten in einem solchen Netzwerk deshalb eine sehr hohe Umlaufgeschwindigkeit“, sagt Hugo Godschalk, Experte für bargeldlosen Zahlungsverkehr bei der Unternehmensberatung Paysys. Wer ein Guthaben aufgebaut habe, wolle es möglichst schnell wieder verbrauchen. Dadurch folgt ein Tauschgeschäft oft schnell auf das nächste.

„Sinn macht der Tausch vor allem dann, wenn die Unternehmen freie Kapazitäten haben“, sagt DKG-Geschäftsführer Seifert. So konnte Cichon freie Spitzen in ihrer Berliner Druckerei nutzen, um in dieser Zeit Druckaufträge für andere Tauschpartner abzuarbeiten. „So entsteht ein Geschäft, das sonst nicht zustande gekommen wäre“, sagt Seifert. Vor allem Mittelständler gingen schneller Geschäfte ein, wenn sie dafür mit ihren eigenen Leistungen oder Waren zahlen könnten, statt ihre liquiden Mittel antasten zu müssen. Auch wenn bei der Tauschbörse fiktive Währungseinheiten verbucht werden, ist das für die Unternehmen kein Steuerschlupfloch: Für die untereinander erbrachten Leistungen müssen sie Rechnungen schreiben und Mehrwertsteuer ausweisen.

Für Gartenbauer Zahn hat sich die Mitgliedschaft ausgezahlt. „Mittlerweile finden in unserem Hofcafé sogar Familien- und Hochzeitsfeiern statt“, erzählt er. Nun plant er das nächste Projekt, das er über den Tausch finanzieren will: Einen Anbau für einen neuen Kassenbereich.

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