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Wirtschaft: Konjunktur: Das Wirtschaftswunderland USA verliert an Glanz

In den Automobilfabriken in Detroit, Michigan und Newark stehen zurzeit die Maschinen still. Die Lager sind übervoll.

In den Automobilfabriken in Detroit, Michigan und Newark stehen zurzeit die Maschinen still. Die Lager sind übervoll. Erst kürzlich gaben die drei großen Autohersteller Ford, General Motors und Daimler-Chrysler bekannt, dass sie in den ersten neun Monaten dieses Jahres den niedrigsten Umsatz seit langem erzielt haben. Kein Einzelfall. Eine aktuelle Umfrage bescheinigt, dass sich das Wachstum in der US-amerikanischen Textil- und Papierwirtschaft seit vier Monaten permanent abschwächt. Und auch viele junge Telekommunikationsfirmen, deren Umsatzerlöse nicht mehr die Kosten decken, schrauben in diesen Wochen ihre ehrgeizigen Pläne zurück.

Nach fünf Rekordjahren der US-Wirtschaft lässt die Dynamik nach. Das wirft eine grundlegende Frage auf: Hat die amerikanische Wirtschaft in den Neunziger Jahren mit ihren großartigen Investitionen vielleicht gewaltig übertrieben? Wenn das so ist, dürfte die New Economy doch verwundbarer sein als gedacht.

Die zahlreichen Überkapazitäten beweisen, dass die Information über die zu erwartende Entwicklung der Nachfrage bei weitem noch nicht perfekt ist, wie man es vermuten könnte. So hat zum Beispiel der kalifornische Chip-Hersteller Altera unlängst angekündigt, dass der Umsatz im laufenden Quartal wahrscheinlich stagniert. Ursprünglich war ein zweistelliges Plus erwartet worden. Das Umsatzwachstum von Altera habe sich abgeschwächt, weil viele der Unternehmenskunden in Erwartung zusätzlicher Nachfrage zu viel bestellt hätten, sagt Vadim Zlotnikov, Analyst bei Sanford Bernstein.

Freilich können allein bessere Marktinformationen den Aufbau von Überkapazitäten auch nicht verhindern - vor allem nicht im Fall gewinnträchtiger neuer Technologien. "Die Leute sind von den verschiedenen Technologien begeistert und sie investieren so lange, bis der Gewinn einbricht", erklärtJohn Makin, Ökonom des Washingtoner Think-tank American Enterprise Institute. "So entstehen Überkapazitäten."

Das hat auch seine guten Seiten. Denn ein Überangebot läuft in der Regel auf erhebliche Preissenkungen für den Verbraucher hinaus. Allerdings können solche Preisnachlässe wiederum - wenn sie sich zu stark auf den Gewinn auswirken - Unternehmen dazu zwingen, Investitionspläne nach unten zu revidieren beziehungsweise Mitarbeiter zu entlassen.

Das ist eine neue Entwicklung. Ende der Neunziger Jahren schienen US-Unternehmer noch davon auszugehen, das Wirtschaftswachstum würde sogar noch einen Gang zulegen. Seit 1995 haben Fabriken, Bergwerke und Versorgungsunternehmen ihre Kapazitäten um jährlich fünf Prozent erhöht - mehr als doppelt soviel wie zwischen 1980 und 1994, heißt es bei der US-Notenbank.

Einzelhändler sind sogar noch optimistischer, weil es einen Bauboom diverser Fachgeschäfte gab. Diese neuen Geschäfte - die auf besondere Marktsegmente wie Sportkleidung oder Wäsche abzielen - werden die Verkaufsfläche im kommenden Jahr landesweit um etwa 30 Prozent vergrößern, wie in einer Umfrage unter 75 Fachhändlern unlängst ermittelt wurde. Die große Frage ist allerdings, ob diese Geschäfte nicht anderen das Wasser abgraben?

Nicht nur ein Schwindelgefühl dürfte viele amerikanische Unternehmen in den vergangenen Jahren zu Überinvestitionen angetrieben haben. Der rasant-schnelle globale Wettbewerb bedeutet auch, dass jede profitable neue Branche rasch ein Heer hungriger neuer Unternehmen anzieht. Man betrachte nur die Marktentwicklung von Sportwagen. 1995 haben nordamerikanische Fabriken etwa 1,7 Millionen Sportwagen auf den Markt gebracht. Seitdem haben sich die landesweiten Produktionskapazitäten für Sportwagen verdoppelt, heißt es bei dem Autoindustrie-Forschungsunternehmen Autodata in New Jersey. Ein guter Teil des Produktionsanstiegs lässt sich mit der großen amerikanischen Nachfrage nach dem Fahrzeug rechtfertigen. "In diesem Jahr ist der Umsatz bei Sportwagen um zehn Prozent gestiegen", sagt George Pipas, Verkaufsanalyst bei Ford. Doch nur die blauäugigsten Analysten gehen davon aus, dass die Nachfrage mit dem Angebotszuwachs Schritt hält. Goldman-Analysten schätzen, die Auslastung der Produktionskapazitäten bei Sportwagen werde von heute 92 Prozent auf 81 Prozent im Jahr 2005 fallen. Das Ergebnis: Die Margen würden sich halbieren.

In der Autobranche hatte immer starke Aufs und Abs gehabt, daher ist es vielleicht keine Überraschung, dass es in Detroit wieder einmal Überkapazitäten gibt. Beunruhigender aber ist das Überangebot in den High-Tech-Sektoren der Wirtschaft. Für Unternehmen, die an neue Marktsegmente verkaufen, ist es schwieriger, die Umsatzentwicklung vorherzusagen. Eine rasch steigende Nachfrage und die Aussicht gewaltiger Rendite haben Technologiefirmen ermutigt, bei dem Bau von Fabriken und der Verlegung von Kabeln auf eine rosige Zukunft zu setzen. So kam es nach der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes 1996 zu einem gigantischen Goldrausch in der Informationsbranche. Hunderte neuer Telekommunikationsunternehmen wurden auf den Markt gebracht, die Ferngespräche bis Hochgeschwindigkeitsinternetdienste für Geschäftskunden anboten. Doch bislang haben die neuen Unternehmen gegenüber den alten Telefongesellschaften kaum etwas ausrichten können. Die alten Firmen haben nach Schätzungen des Merrill Lynch-Analysten Ken Hoexter noch einen Anteil von immerhin 94 Prozent am lokalen Telefonmarkt. Nun wollen die Start-ups, von denen bislang keiner schwarze Zahlen geschrieben hat, die Investitionen drastisch reduzieren.

G. Ip[R.L. Simson], J.M. Schlesinger

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