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Wirtschaft: Konjunktur: Falsche Morgendämmerung in den USA

Die US-Börsen demonstrierten in den vergangenen zwei Wochen erstaunliche Gelassenheit. Ein ganzes Meer trauriger Nachrichten aus Unternehmen und Wirtschaft prallte an den Anlegern ab.

Die US-Börsen demonstrierten in den vergangenen zwei Wochen erstaunliche Gelassenheit. Ein ganzes Meer trauriger Nachrichten aus Unternehmen und Wirtschaft prallte an den Anlegern ab. Gewinneinbruch bei Cisco und Co, die schwindende Zuversicht der Konsumenten und Massenentlassungen lösten nicht viel mehr als ein Schulterzucken aus. "Es reicht bereits, wenn die Nachrichten nicht ganz so negativ sind, wie befürchtet", sagt Barton Biggs, Stratege des US-Investmenthauses Morgan Stanley Dean Witter. Schon stiegen die Kurse.

Notenbankchef Alan Greenspan heizte mit seiner völlig überraschenden Zinssenkung das zaghaft züngelnde Kursfeuer zusätzlich an. Seit die Notierungen an der Wall Street am 4. April ihren jüngsten Tiefpunkt erreicht haben, gewannen das Barometer der Industriewerte S & P-500 und die Technologiebörse Nasdaq gut zehn und knapp 30 Prozent. Haben die Börsianer wieder mal eine gute Nase für die Trendwende und wittern sie den kommenden Konjunkturaufschwung, der zugleich das Ende der Baisse besiegelt? Die Zinsentscheidung der Federal Reserve signalisiert eher das Gegenteil. Der Abschwung dauert länger als erwartet, lautet ihre Botschaft. Im ersten Quartal jedenfalls dürfte sich das Wirtschaftswachstum der Nulllinie gefährlich genähert haben. Aber wie geht es von hier weiter?

Die Optimisten verweisen darauf, dass die Unternehmen überschüssige Lagerbestände weitgehend abgebaut hätten. Das bedeutet, dass schon ein geringer Anstieg der Nachfrage genügt, um die Produktion anzukurbeln. Die amerikanischen Verbraucher konsumieren noch nach Kräften - und darüber hinaus: Sie nehmen immer mehr Kredite auf und kompensieren so Reallohneinbußen und Vermögensverluste am Aktienmarkt. Die Einzelhandelsumsätze nahmen im März noch mit einer Jahresrate von 1,9 Prozent zu - vor Jahresfrist waren es noch mehr als zehn Prozent. Obwohl das Produktivitätswachstum zuletzt schrumpfte, ist das Plus im historischen Vergleich noch immer eindrucksvoll. Der Trend weist jedoch abwärts. Und die Frage, ob rückläufige Investitionen diese Richtung nicht verstärken, muss mit Ja beantwortet werden. Hier gerät der Konjunkturforscher ins Revier der Pessimisten.

Die Unternehmen haben ihre Investitionen radikal gekürzt. "Die anhaltende Erosion der laufenden und künftigen Gewinne, verbunden mit der zunehmenden Unsicherheit über die Entwicklung des Geschäftsklimas dürften in Zukunft die Investitionsbereitschaft dämpfen", schreibt die Federal Reserve in ihrer Begründung zur jüngsten Lockerung der monetären Zügel. Damit bekennt sich auch Notenbankchef Alan Greenspan zum Lager der Skeptiker.

Tatsächlich deuten die Frühindikatoren bislang auch nicht auf eine rasche Gesundung der Wirtschaft hin. Die Unternehmen verbuchten im März 5,5 Prozent weniger Aufträge als noch vor Jahresfrist. Als auf dem Gipfelpunkt des Konjunkturbooms die Orderbücher noch prall gefüllt waren, betrug die Zuwachsrate 15 Prozent. Der Index der US-Einkaufsmanager, der ähnlich dem deutschen ifo-Geschäftsklima die Stimmung in der Industrie anzeigt, stürzte von knapp 60 Punkten Anfang 2000 auf zuletzt 43 Punkte ab. Werte unter 50 Punkten lassen eine Rezession erwarten. Zugleich nimmt das Vertrauen der Verbraucher in die Stärke der US-Wirtschaft rapide ab. Alle drei Barometer haben sich als hervorragende Frühindikatoren für die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts bewährt. Der Sirenengesang des Trios ist unmissverständlich: Amerika steht eine Rezession bevor.

Richtig ist allerdings auch, dass sowohl Verbraucher als auch Manager im vergangenen Monat die Zukunft nicht mehr ganz so schwarz sahen. Optimisten deuten dies als ein Zeichen der Trendwende. Doch die Erholung, von der nicht nur die Aktionäre träumen, könnte von kurzer Dauer sein. Der Grund: Die Arbeitslosenzahlen nehmen zur Zeit rasant zu, auch wenn die Quote von 4,3 Prozent Europäern sensationell niedrig vorkommt. Die Tausenden von Mitarbeitern, die Cisco, Texas Instruments oder Hewlett Packard entlassen wollen, stehen ja nicht schon heute, sondern erst in ein paar Monaten auf der Straße. Dann werden viele Haushalte den Gürtel enger schnallen.

Auf Unternehmensseite sieht es ähnlich aus. Die Analysten kalkulieren für 2001 mit einem Nullwachstum bei den Gewinnen der Unternehmen im Blue-Chip-Index S & P-500. Gleichzeitig rechnen die Profis aber mit einer Erholung auf plus 16 Prozent im Jahr 2002. Wer die aktuellen Unternehmensmeldungen verfolgt, erkennt rasch: Das ist mehr frommer Wunsch als realistische Prognose. Damit dürften aber auch die Investitionen hinter den Erwartungen zurückbleiben - und die waren einer der wichtigsten Motoren des vielbestaunten amerikanischen Wirtschaftswunders.

Auf einen Buchstaben gebracht, dürfte das Wachstum in den USA wie ein "W" verlaufen. Nach dem scharfen Abschwung, den wir hinter uns haben, kommt eine kurze Zwischenerholung, die sich jetzt schon andeutet. Danach geht es allerdings noch einmal bergab, bevor die massiven Zinssenkungen und Kosteneinsparungen endgültig greifen und der Konjunktur zum Aufschwung verhelfen. Die Strategen von Morgan Stanley Dean Witter jedenfalls haben sich gerade von der Hoffnung auf einen "V"-förmigen Kickstart der Konjunktur verabschiedet und ihre Kursziele für Technologieaktien und Standardwerte heftig nach unten revidiert: Die Nasdaq soll bis Ende 2001 nur noch bei 2750 statt bei 3750 Punkten stehen. Der S & P-500 erreiche statt der ursprünglich angepeilten 1600 Zähler lediglich 1425 Zähler.

Catherine Hoffmann

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