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Das Geschenk. Auch der Konsum stützt nun den Aufschwung. 2011 soll die Inlandsnachfrage für 90 Prozent der Wirtschaftsleistung sorgen, erwartet der Sachverständigenrat. Foto: dpa

© dpa

Konjunktur: Firmen sind optimistisch wie zu Wende-Zeiten

Der unerwartet starke Aufschwung nach der tiefen Krise im vergangenen Jahr geht weiter. Unternehmen sind zuversichtlich – und ignorieren die EU-Krise.

Berlin - Die Professoren waren begeistert. Es lief gut, so gut wie seit Jahrzehnten nicht, nachdem 1990 das Land wieder zusammengefunden hatte. Ihre Euphorie kleideten die Herren allerdings in biedere Worte. „Alle großen Wirtschaftsbereiche haben ihre Produktion erhöht und Arbeitskräfte eingestellt. Die Auftragslage ist allenthalben gut, teilweise sogar sehr gut, und es herrscht Zuversicht, dass sich die Aufwärtsentwicklung fortsetzen wird“ – so beschrieb der Wirtschafts-Sachverständigenrat Ende 1990 in einer Studie den Einheitsboom. Vor allem die Ostdeutschen konsumierten, als gäbe es kein Morgen, kauften Autos, Möbel, Stereoanlagen, West-Lebensmittel. Der Republik bescherte ihr Kaufrausch Wachstumsraten von fast sechs Prozent.

Zwanzig Jahre später geht es den Unternehmen wieder so gut wie damals. „Die Wirtschaft schraubt sich immer höher“, jubelte am Mittwoch Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts. Zuvor hatten seine Experten wie jeden Monat etwa 7000 Unternehmen im ganzen Land nach ihrer Lage und ihren Plänen für die kommenden sechs Monate befragt. Aus den Antworten der Manager entstand der Geschäftsklima-Index, das wichtigste Konjunkturbarometer für die deutsche Wirtschaft. Das Ergebnis: Die Stimmung war in diesem November so gut wie seit Januar 1991 nicht, als der Index auf die gesamtdeutsche Zählweise umgestellt wurde. Und all das ganz ohne Einheitseuphorie.

Das bedeutet: Der unerwartet starke Aufschwung nach der tiefen Krise im vergangenen Jahr geht weiter. 109,3 Punkte erreichte der Ifo-Index, es war das sechste Plus in Folge. Die europäische Schuldenkrise in Irland, Portugal oder Griechenland spielt für die Firmen offenbar praktisch keine Rolle. Auch die Schwäche Amerikas, die zuletzt verhaltene Entwicklung in Asien oder die Inflationssorgen in China lächeln die deutschen Wirtschaftsführer zurzeit einfach weg. Dabei hatten Fachleute mit einer allmählichen Ernüchterung gerechnet. „Die deutsche Wirtschaft bleibt das Zugpferd im Euroraum“, ließ Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) stolz mitteilen.

Die Stimmung verbesserte sich quer durch alle Branchen – von der Industrie über den Bau, dem Groß- und Einzelhandel bis hin zu den Dienstleistern. Das Wachstum kommt also nicht mehr allein vom Export, der Beitrag des Binnenkonsums ist ebenso groß. Die Einzelhändler etwa freuen sich auf ein umsatzstarkes Weihnachtsgeschäft, auch weil die Arbeitslosenzahl stark gesunken ist und sich 2011 zeitweise in Richtung der Zweieinhalb-Millionen-Marke bewegen dürfte. „Deutschland ist eine Insel der Glückseligen“, urteilte Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Nirgends läuft es so gut wie bei uns, weder in Übersee noch in Europa.“ Zwischen Juli und Ende September war die deutsche Wirtschaft um 0,7 Prozent gewachsen, fast doppelt so schnell wie im übrigen Euroraum. Allerdings: Die plötzliche Kraft des Aufschwungs ist den Ökonomen auch ein bisschen unheimlich. „Warum das Wachstum derart stark ist, wissen wir nicht so recht“, gibt Döhrn zu – dabei ist er immerhin seit mehr als 30 Jahren im Geschäft.

Auch die Finanzmärkte bleiben skeptisch – der Euro fiel angesichts der Schuldenkrise auf 1,33 Dollar, nachdem er zu Wochenbeginn noch bei 1,37Dollar notiert hatte. Einen plötzlichen Crash hält Jörg Kramer, Chefökonom der Commerzbank, nicht für ausgeschlossen. Geriete die Schuldenkrise außer Kontrolle, „könnte es zu einem Unsicherheitsschock wie nach der Lehman-Pleite und damit zu einer erneuten Rezession kommen“, warnte er. Auch vor 20 Jahren währte die Party nicht ewig. 1993 ereilte auch Deutschland die Rezession – und sorgte für ein abruptes Ende des Einheitsbooms.

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