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Konjunktur: "Mit Prognosen verwirren wir das Volk"

Die Wirtschaftskrise lässt Ökonomen zweifeln. Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, über die Schwierigkeit, das Jahr 2010 vorherzusehen - und die Fehlbarkeit seiner Zunft.

Herr Zimmermann, Sie haben heute angekündigt, dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Sie vorstehen, für das kommende Jahr keine Konjunkturprognose veröffentlichen will. Verlässt Sie in der Krise der Mut?

Nein, wir sind nur ehrlich. Warum sollten wir sagen, wir wissen etwas, wenn das nicht stimmt? Wohin das führt, haben wir in den letzten Monaten beobachten können. Seit Beginn der Finanzkrise waren alle langfristigen Prognosen falsch. Unsere, aber auch die der anderen. Mit unseren Prognosen verwirren wir das Volk – und laufen Gefahr, dass uns niemand mehr zuhört.

Schützen Sie sich nicht vielmehr vor sich selbst? Denn Ihr Institut hat die Rezession als Letztes kommen sehen. Jetzt sind sie der Erste, der kapituliert.

Wir kapitulieren nicht. Wir sagen lediglich, dass punktgenaue Konjunkturprognosen für das kommende Jahr in der jetzigen Situation mehr Verwirrung stiften, als dass sie dienlich wären. Außerdem stimmt es nicht, dass wir die Lage bedeutend schlechter als andere eingeschätzt haben.

Noch im Herbst sprachen Sie davon, Deutschland drohe keinesfalls eine Rezession.

Wir haben damals vorher gesagt, dass Deutschland in diesem Jahr um 1,1 Prozent wachsen wird, stimmt. Aber wir haben hinzugefügt, dass die Prognose große Unsicherheiten enthält. Kurz darauf haben die anderen Forschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsprognose 0,2 vorhergesagt. Minus Fünf Prozent - in etwa unsere heutige Prognose für das laufenden Jahr - hat damals niemand gesehen.

Warum haben Sie damals überhaupt noch Konjunkturprognosen veröffentlicht, wenn Sie wussten, dass Sie damit scheitern konnten?

Ich habe bereits im Dezember auf die Risiken hingewiesen, die solche Prognosen bergen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, die Unsicherheiten zu kommunizieren, die in den Prognosen stecken ...

... etwa, indem Sie einen Korridor angeben, in dem sich die künftige wirtschaftliche Entwicklung bewegen kann. Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit werde die Wirtschaft in diesem Jahr um zwei Prozent wachsen – zum Beispiel. Wäre das nicht redlicher?

Wir haben in der Tat versucht, die Unsicherheitsbereiche zu veröffentlichen, aber das fand keine Akzeptanz. Die Öffentlichkeit will und wollte es eben präziser. In unseren Berichten waren die Intervalle, von denen Sie sprechen, dennoch jedes Mal vermerkt.

Warum ist es im Moment für die Forscher so schwer, ein, zwei Jahre in die Zukunft zu schauen?

Wenn es um Wendepunkte geht, also wie derzeit um die Frage, wie wir aus der Krise zum Aufschwung kommen, dann ist das auch in normalen Zeiten eine sehr unsichere Angelegenheit. Man kann das mit  den Seismologen vergleichen, die ein Erdbeben auch nicht vorhersagen können. Auch in normalen Zeiten ist es schwierig, die Konjunktur im Frühjahr für das kommende Jahre vorherzusagen, weil die entsprechenden Daten fehlen.

Wo liegen die konkreten Schwierigkeiten?

Nehmen Sie den Einbruch der deutschen Wirtschaft. Die Ökonomen hierzulande haben lange Zeit angenommen, Deutschland werde über den Finanzmarkt getroffen. Doch wir haben uns geirrt: Die Krise kommt über die Realwirtschaft nach Deutschland. Die Weltwirtschaft ist so dramatisch eingebrochen wie zuletzt in der Weltwirtschaftskrise. Nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt. Das hat in dieser Geschwindigkeit kaum jemand kommen sehen.

Nun aber ist die Rezession da. Auch die Mechanismen, die zu ihr führten, werden klarer. Braucht die Politik nicht gerade jetzt Ihren Rat, um zu verhindern, dass es noch schlimmer kommt?

Wir geben ja weiter Rat. Aber wir kommunizieren eben keine Prognose mehr, bis wir nicht über wichtige Fragen Klarheit haben: Bekommen die Amerikaner ihren Bankensektor in den Griff? Wirken die Konjunkturprogramme in Japan, den USA und auch in Deutschland?

Und? Werden sie wirken?

Das ist noch unsicher. Wir haben hierzu eine Schätzung vorgelegt. Demnach wird jeder Euro aus dem Konjunkturprogramm in Deutschland einen Multiplikator-Effekt von 0,5 haben. Für die USA liegen ähnliche Zahlen vor.

Das würde bedeuten, dass jeder Euro aus dem Konjunkturpaket keinen Wachstumseffekt von 1,5 Euro oder 2 Euro hat, sondern nur von 50 Cent.

Ja, das wäre erschreckend wenig. Aber wie gesagt: Wir können falsch liegen. Es gibt auch optimistischere Schätzungen.

Täuscht es, oder treten die Vertreter der Ökonomen-Zunft zuletzt weniger selbstbewusst auf als noch vor ein paar Jahren?

Das Selbstbewusstsein unserer Zukunft gründete sich immer auf unsere Fähigkeit zur Analyse. In Zeiten, in denen es keine dramatischen Wendepunkte gibt, fallen Prognosen leichter. Jetzt, wo es es wirklich drauf ankommt, versagen unsere Modelle zu oft. Man muss sagen: Da sind wir schlecht und müssen dazulernen. Denn wir Ökonomen haben auch eine Verantwortung. Wenn wir zu oft unsere Aussagen revidieren müssen, hört uns irgendwann niemand mehr zu.

Überschätzen Sie nicht ohnehin ein wenig die Wirkungskraft von Prognosen? Die meisten Menschen geben doch wenig auf die Zahlen der Institute – oder richten gar ihr Leben danach aus.

Ich würde das nicht unterschätzen. Der Internationale Währungsfonds etwa sagt schon seit dem Frühjahr 2008 die Weltkrise voraus. Alle drei Monate aufs Neue. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Allein für Deutschland gibt es 50 Institutionen, die sich zur Konjunktur äußern. Es gibt ein enormes Herdentriebverhalten: Legen die einen vor, ziehen die anderen nach. Gott und die Welt schaut auf die Prognosen. Deshalb sollten wir gerade jetzt vorsichtiger damit umgehen. (ZEIT ONLINE)

Klaus Zimmermann, Jahrgang 1952, ist seit dem Jahr 2000 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zugleich ist er Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften der Universität Bonn und Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA Bonn). Zimmermann forscht seit Jahren auf dem Feld der Arbeitsökonomie und der Industrieökonomik.

Interview von Philip Faigle

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