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Konsum: Unser täglich Fleisch gib uns heute

Organisierte Vegetarier sehen sich vor dem Klimagipfel moralisch gestärkt. Ihrer Sache hilft das aber nur wenig.

In der japanischen Kleinstadt Matsusaka nahe Kobe stellt sich ein Bauer neben sein schwarzes Rind. Er nimmt einen Schluck Sake in den Mund und speit ihn prustend aus. Die Reisweingischt verteilt sich über die Flanke des Tieres. Dann beginnt die Massage. Manchmal gibt’s dazu auch Kotomusik vom Band, sanfte Klänge der landestypischen Wölbbrettzither. Für die Touristen veranstalten Landwirte buchstäblich einen Tanz ums goldene Kalb. So pflegen sie den Mythos der Kobe-Rinder, die das angeblich beste – in jedem Fall aber teuerste – Fleisch der Welt liefern.

Feinschmecker in aller Welt ahnen, dass die meisten der jährlich rund 3000 geschlachteten zertifizierten Kobe-Rinder ohne Musik und Massage aufgezogen werden. Das ist ihnen egal, sie achten auf die Qualität. Ein Filet-Steak dieser Tiere ist gleichmäßig von weißem Fett durchzogen, wie beim Marmor. Es schneidet sich angeblich wie Butter, zerfällt auf der Zunge. Am Ende kostet so ein kleines 100-Gramm-Steak beim Metzger in Japan rund 5000 Yen, das sind etwa 38 Euro, also 380 Euro je Kilogramm. Bei Real in Berlin kostete ein Kilo deutsches Rinderfilet vergangene Woche 29,99 Euro. Ein Kilo frischen Schweinenacken mit Knochen gab es schon für 1,99 Euro. Für ein Kilo Mehrkornbrot verlangte der Supermarkt exakt denselben Preis.

Zwischen Mythos und Massenware: In keinem anderen Lebensmittel steckt so viel kulturelle Spannung. Die Frage, ob und wie man Fleisch isst, trennt Juden von Christen, Moslems und Hindus. Zugleich geht in fast allen Ländern der Welt ein erhöhter Fleischkonsum einher mit sozialem Aufstieg Einzelner und gestiegenem Wohlstand der Bevölkerung insgesamt. Dementsprechend hat sich der weltweite Konsum seit 1950 verfünffacht. Diese Tatsache bringt jenseits aller kulturellen Fragen massive ökonomische und ökologische Probleme mit sich. Das stärkt jene, die durch den erklärten Verzicht auf Fleischkonsum die Welt retten wollen: Vegetarier, von vielen als Exoten belächelt, sehen sich gerade im Kontext der Klimadebatte moralisch gestärkt. Jetzt finden sie mit ihren Forderungen auch Gehör beim politischen Establishment.

Am Donnerstag will der polnische Konservative Jerzy Buzek als EU-Parlamentspräsident erstmals Vegetarier aller Länder in seinem hohen Haus in Brüssel begrüßen. Zweieinhalb Stunden lang dürfen Aktivisten mit Abgeordneten über globale Klimaerwärmung und Lebensmittelpolitik diskutieren. Das Motto der Veranstaltung ist griffig formuliert: „Less Meat = Less Heat“. Weniger Fleisch, weniger Erwärmung. Sprechen werden unter anderem der Ex-Beatle Paul McCartney, der durch seine 1998 verstorbene Ehefrau Linda zum Fleischfrei-Lobbyisten wurde, und der indische Ökonom Rajendra K. Pachauri, der Chef des Weltklimarates. Aus Berlin wird Sebastian Zösch anreisen. Der 29-Jährige ist Geschäftsführer des 1892 gegründeten Vegetarierbundes Deutschland (Vebu) und freut sich über diese politische Aufwertung, die die Bewegung derzeit erfährt.

„Mittlerweile erkennen immer mehr Menschen, dass eine Reduzierung des Fleischkonsums für unser Überleben auf dem Planeten unerlässlich ist.“ Zösch beobachtet auch einen Wandel in der Mitgliederstruktur seines Verbandes. Lange kamen organisierte Vegetarier vor allem aus der Öko- und Gesundheitsbewegung. Ähnlich wie bei den Grünen stammten die Mitglieder heute aber aus fast allen Milieus und begründen ihr Werben für fleischlose Ernährung nicht mehr nur mit Tierschutz, sondern begreifen es auch als praktischen Beitrag zum Klimaschutz. Wie groß dieVerantwortung der Fleischesser tatsächlich ist, ist umstritten: Tierhaltung sei für 18 Prozent des Ausstoßes klimaschädlicher Gase verantwortlich, rechnet die Uno-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO vor. Das Institut Worldwatch spricht sogar von 51 Prozent. Fleisch wäre damit der Klimakiller Nummer eins. Auf Basis solch unterschiedlicher Ergebnisse scheint eine seriöse Debatte kaum möglich. Tatsache aber ist, dass Verbraucher im Industrieland Deutschland heute frei entscheiden können, ob sie für zwei Euro ein Kilo Fleisch oder ein Kilo Brot im Supermarkt kaufen. Man muss kein Experte sein, um sich vorstellen zu können, dass es im Sinne des Klimaschutzes sinnvoller wäre, mehr Getreideprodukte zu essen als ein Tier zu verspeisen, das erst große Mengen Getreide fressen muss, bis es als Nahrungsmittellieferant taugt.

Was also könnte man tun, ohne gleich radikaler Vegetarier zu werden? Das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) überraschte im September mit einer Studie, in der es heißt, dass der Kauf von argentinischem Rindfleisch aus reinem Weidebetrieb trotz des erhöhten Zwischenlager- und Transportaufwands mitunter klimatisch günstiger ist als der Kauf von in Deutschland produziertem Rindfleisch aus reinem Mastbetrieb. Und mit dem Auto zum Biomarkt zu fahren, mache gar keinen Sinn. Klimafreundlicher sei es, zu Fuß zum Discounter um die Ecke zu gehen.

Wahrscheinlich würde es helfen, wenn der Fleischkonsum insgesamt sänke. Laut Statistischem Bundesamt wurde zuletzt aber wieder mehr Fleisch gewerblich produziert. Im dritten Quartal 2009 stieg die Menge auf 1,9 Millionen Tonnen. Das waren 1,8 Prozent mehr als im dritten Quartal 2008. Zösch vom Vegetarierbund fordert jetzt eine Steuer auf alle Fleischprodukte in Höhe von 20 bis 30 Prozent. „Fleisch muss teurer werden, anders lässt sich das Problem nicht lösen“, sagt er. „Mit den Einnahmen daraus könnte man den Anbau pflanzlicher Alternativen fördern.“ Aber auch das würde keinen Sinn ergeben, solange die EU die Fleischindustrie weiter subventioniert. Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) in Bonn wollte sich zum Vorschlag einer Sondersteuer auf Anfrage nicht äußern.

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