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Eine Gruppe von Kunststudenten protestiert in einem Kaufhaus in Brasilien gegen Konsumverzicht. Sie sind mit brauner Farbe beschmiert und tragen braune Papiertüten.

© REUTERS

Konsumverzicht: Leben ohne Geld

Nie wird so viel gekauft wie vor dem Fest. Nicht jeder hat Lust auf Konsum – einige Menschen versuchen, ohne Geld auszukommen.

Weihnachtsgeschenke? Gibt es dieses Jahr nicht, und nächstes Jahr wahrscheinlich auch nicht. Jedenfalls nicht bei Gerrit von Jorck, 27. „Man kann viel besser Zeit verschenken, oder Ereignisse und Anregungen“, sagt er. Letztens hat ihm ein Freund Musiklisten geschenkt, mit Stücken und Interpreten, die er bis dato noch nicht kannte. „Damit kann ich viel mehr anfangen als mit einem gekauften Geschenk, das nach kurzer Zeit seinen Reiz verloren hat“, findet von Jorck. „Dann liegt es sinnlos in der Ecke.“

Überhaupt, Konsum: Für Robert Podzuweit, 48, ist das keine Leidenschaft. „Mir reichen 200 Euro im Monat zum Leben“, sagt er. Dabei könnte er mehr ausgeben, schließlich hat er studiert, führt eine kleine Druckerei. Will er aber gar nicht. „Ich brauche mit der Zeit immer weniger Dinge – und bin sehr zufrieden damit“, erzählt er.

Von Jorck und Podzuweit gehen nur einkaufen, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. Sie sind Konsumverweigerer. Auch jetzt kurz vor dem Fest, wo sich die Menschen zu Tausenden in Kaufhäusern und Einkaufszentren drängeln, mit Geschenken beladen nach Hause wanken oder sich Berge von online bestellten Waren liefern lassen. In einigen Branchen steht das Weihnachtsgeschäft für ein Viertel des Jahresumsatzes. Bücher, Elektronik, Kosmetika, Kinderspielzeug – 288 Euro sind jedem Deutschen im Durchschnitt in diesem Jahr die Gaben für seine Lieben wert.

Statt ins Kaufhaus geht's in den Umsonstladen

Wenn Kaufkritikern etwas fehlt, zieht es sie etwa in einen Umsonstladen. Dort kann man Dinge mitnehmen, ohne für sie bezahlen zu müssen – Hosen, Jacken, Pullover, aber auch Möbel, Teller, Bücher oder Babyartikel. Andere haben zuvor vorbeigebracht, was sie nicht mehr brauchen. Im Geschäft am Traveplatz in Friedrichshain sieht es aus wie in einem Secondhandshop – das Licht ist spärlich, die Waren sind erkennbar nicht mehr taufrisch. „Aber sie funktionieren und erfüllen ihren Zweck – darauf kommt es an“, sagt Podzuweit, der bei der Organisation hilft. Besucher dürfen maximal fünf Teile mit nach Hause nehmen –  die Leute sollen ja nur das einpacken, was sie wirklich brauchen. „Das fällt nicht jedem leicht.“ Nicht nur Bedürftige können sich im Umsonstladen bedienen, auch solche, die es eigentlich nicht nötig haben.

Es geht hier nicht um Hilfe für die Armen, es geht um das große Ganze. Wer bewusst aufs Einkaufen verzichtet, will ein Zeichen setzen – gegen den Konsum als Fetisch, gegen Wegwerfmentalität und Verschwendung, Ressourcenverbrauch und Klimakatastrophe, gegen den im Kapitalismus angelegten Drang zu Wachstum. „Es ist ein Genuss, nicht zu konsumieren“, befindet von Jorck. Er arbeitet in Berlin an einem Institut als Volkswirt, bewusst nur ein paar Stunden in der Woche. Sein verfügbares Monatsbudget gibt er mit 120 Euro an, zuzüglich der Miete. „Ich will mich unabhängig machen von dem Zwang zur Erwerbsarbeit“, beschreibt er sein Ziel.

Konsumskepsis ist nicht allein die Sache einer kleinen Schar von Öko-Extremisten. Die Gruppe der Zweifler wächst, vor allem seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008. Nicht nur in Friedrichshain, auch in Charlottenburg und Weißensee gibt es mittlerweile einen Umsonstladen. Auf privaten Tauschpartys wechseln überschüssige Dinge den Besitzer, in Repair-Cafés versuchen begabte Schrauber, vor allem Elektrogeräte wieder auf Vordermann zu bringen, statt sie einfach wegzuwerfen. Immer mehr Menschen nehmen zudem Supermärkten ihre aussortierten Lebensmittel ab und ernähren sich davon. Das Buch „Glücklich ohne Geld“ des Lebenskünstlers Raphael Fellmer ist derzeit eines der meistverkauften Wirtschaftsbücher bei Amazon.de, der Autor tourt damit durch deutsche Talkshows. Und die Frage, ob es Alternativen zum Immerhöher und Immermehr der Marktwirtschaft gibt, hat bis zum Frühjahr sogar eine Bundestags-Kommission beschäftigt. Auf handfeste Empfehlungen für die Politik konnte sich das Gremium allerdings nicht einigen.

Der Alltag ist für Konsumkritiker nicht einfach

Im Alltag müssen Konsumverweigerer vor allem eins: Dinge organisieren, sich kümmern. „Wir haben keinen Kühlschrank in unserer WG, wir besorgen jeden Tag frische Lebensmittel“, berichtet Konsumkritiker von Jorck. Für eine längere Reise trampt er, statt Zug oder Auto zu fahren. Bekleidung macht er selbst oder besorgt sie sich aus dem Umsonstladen – „nur Unterwäsche kaufe ich neu“. Alles dauert ein bisschen länger. „Man kommt mit weniger Geld aus, man braucht aber mehr Zeit“, sagt von Jorck. Dafür sei man weniger entfremdet von den Produkten, wenn man sie selber herstelle. „Man kann sich Konsum abgewöhnen – es dauert nur ein bisschen.“

Nur ein Problem gibt es: Smartphones hat bislang noch niemand im Umsonstladen abgegeben. „Viele meiner Freunde unterhalten sich über WhatsApp, das ist schwierig“, räumt von Jorck ein. „Da besteht die Gefahr der Ausgrenzung – aber ein Aussteiger-Leben will ich eigentlich nicht führen.“

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