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Dunkelziffer. Experten fürchten, dass der gesetzliche Mindestlohn zu mehr Schwarzarbeit führen wird, nicht nur auf dem Bau.

© picture alliance / dpa

Kontrolle des Mindestlohns: Dem Zoll fehlen 2000 Mitarbeiter

Werden alle Firmen den Mindestlohn zahlen? Der Zoll muss es überwachen – doch er hat viel zu wenig Personal.

Berlin - Wenn ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung geht, darf man schon mal schwärmen. Ausgiebig feiern die Gewerkschaften den von ihnen so sehr herbeigesehnten Mindestlohn. „Für Millionen von Menschen werden so Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert“, freut sich Verdi-Chef Frank Bsirske. Auch sein DGB-Kollege Michael Sommer jubelt. Selbst in Paris ist man entzückt. „Dies war eine Forderung, die wir seit langem an Deutschland hatten“, findet Frankreichs Präsident Francois Hollande.

Michael Kulus sieht das etwas anders. Für ihn und seine Leute bedeutet der Beschluss der angehenden schwarz-roten Regierung vor allem eines. „Da kommt mehr Arbeit auf uns zu.“ Kulus ist Sprecher des Hauptzollamts Berlin. Seine Behörde muss überwachen, dass spätestens ab 2017 alle Unternehmen in der Stadt den Mindestlohn zahlen.

Klar ist schon heute: Das wird schwierig. 250 Leute sind vom Amtssitz am Mehringdamm aus damit beschäftigt, Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung nachzuspüren. Oft mit Erfolg. Doch was in Zukunft kommen wird, hat eine andere Dimension. „Die Einhaltung des Mindestlohns zu prüfen, ist extrem zeitaufwendig“, sagt Klaus H. Leprich. Er ist Vorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft BDZ. „Deshalb brauchen wir rasch neues Personal – uns fehlen rund 2000 Leute.“

Wenn der Zoll heute kontrolliert, ob Unternehmen an Staat und Sozialkassen vorbeiwirtschaften, setzt er oft auf spektakuläre Razzien, etwa auf Baustellen. Bei der Kontrolle des Personals, seiner Papiere und Arbeitserlaubnisse, lässt sich recht leicht herausfinden, wer regulär einzahlt und wer nicht. Beim Mindestlohn dürfte die Sache schwieriger werden. „Da muss man in die Unternehmen gehen und die Geschäftsunterlagen sehr detailliert prüfen“, sagt Leprich. Das gehe nur mit intensiv geschultem Personal aus dem gehobenen Dienst. Die Schwarzarbeitskontrolleure stammen heute aus dem mittleren Dienst.

Leprich kennt das Prozedere – schon heute überwacht der Zoll in 15 Branchen die Einhaltung der tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen. „Die Mindestlöhne werden unterlaufen durch Scheinselbstständigkeit und Scheinwerkverträge – das wird bei einem gesetzlichen Mindestlohn nicht anders sein“, befürchtet er. Oft gebe es Ketten von Subunternehmern, die wiederum für Subunternehmer arbeiten – de facto aber deren Angestellte sind. Bei jedem fünften Unternehmen findet der Zoll heute Missstände.

6700 Menschen stehen bei der Behörde derzeit für Kontrollen zur Verfügung. Ernst wird es ab 2017 – dann gibt es beim Mindestlohn keine Ausnahmen mehr, jeder Arbeitgeber muss nach dem Willen der Koalitionäre dann 8,50 Euro oder mehr zahlen. Das Bundesfinanzministerium, das für den Zoll zuständig ist, will nicht sagen, wie viele zusätzliche Posten man plant. Das hänge von den Haushaltsverhandlungen ab, sagt ein Sprecher. Ohnehin wird es dauern, bis der Zoll die nötigen Fachleute findet. „Wenn der Zoll richtig gut ist, gibt es zum Start des Mindestlohns 500 neue Leute, aus anderen Bundesverwaltungen oder durch interne Umbesetzungen“, sagt Leprich. 2000 Leute zu mobilisieren, sei bis dahin nicht zu machen. „Der Zoll wird nicht von Anfang an in der Lage sein, flächendeckend intensiv zu prüfen.“

Welche Branchen für Probleme sorgen können, ist Gewerkschaftschef Leprich schon jetzt klar – „der Bau, Hotels und Gastronomie, Schlachtbetriebe, das Reinigungsgewerbe“. Bereiche also, in denen wenig gezahlt wird. Das Finanzministerium gehe davon aus, dass bundesweit sechs bis zehn Millionen Beschäftigte regelmäßig zu überprüfen seien, berichtet er. „Der Großraum Berlin wird ein Schwerpunkt sein.“ Weil hier die entsprechenden Dienstleister besonders stark vertreten sind.

Dass der gesetzliche Mindestlohn zu mehr Schwarzarbeit führen wird, ist für Friedrich Schneider klar. So viele Kontrollen könne es gar nicht geben, sagt der auf Schattenwirtschaft spezialisierte Wirtschaftsprofessor von der Universität Linz. „Ich rechne mit einer massiven Ausweitung der Schwarzarbeit.“ Stundenlöhne von sechs oder sieben Euro seien dann erheblich günstiger als die gesetzliche Grenze von 8,50 Euro. „Das ist ein sehr starker Anreiz.“

Die Schattenwirtschaft insgesamt, also der Teil der Wertschöpfung, der an Staat und Sozialkassen vorbeigeschleust wird, dürfte nach Schneiders Berechnungen dadurch um rund zwei Milliarden Euro wachsen – auf mehr als 340 Milliarden Euro. Allerdings gewinnt er den 8,50 Euro auch positive Seiten ab. „Wer den Mindestlohn erhält, gibt das Geld oft gleich wieder aus. Das ist gut für die Kaufkraft und den Konsum“, urteilt Schneider. „So wird womöglich der eine oder andere Arbeitsplatz zusätzlich geschaffen, der zuvor durch die Schattenwirtschaft gestrichen worden ist.“

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