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Kontroverse um den Mindestlohn: Hoffnung für sechs Millionen

14 EU-Länder haben Mindestlöhne erhöht, hierzulande wird weiter um die Lohnuntergrenze gestritten. Arbeitgeber rechnen mit höherer Jugendarbeitslosigkeit.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise drückt auf die Löhne, vor allem in Südeuropa. „Die Regierung in Athen kürzte den Mindestlohn auf internationalen Druck um knapp 23 Prozent auf 3,35 Euro die Stunde“, heißt es in einer aktuellen Analyse der Hans-Böckler-Stiftung über die Entwicklung von Mindestlöhnen in der EU. Zwar hätten die meisten der 20 EU-Länder, in denen es einen Mindestlohn gibt, diesen zuletzt angehoben. Doch alles in allem habe sich wegen der Massenarbeitslosigkeit in Europa und des Sparkurses „die schwache Mindestlohnentwicklung fortgesetzt“.

In der Bundesrepublik wird derweil über Sinn oder Unsinn eines solchen Mindestlohnes überhaupt debattiert. Am heutigen Dienstag befasst sich voraussichtlich der Berliner Senat mit dem Thema, am kommenden Freitag wollen SPD, Grüne und Linke (im Bund) die Forderung nach einem Mindeststundenlohn von 8,50 Euro im Bundesrat einbringen. Dabei ist offen, wie sich das von einer großen Koalition regierte Berlin verhält. „Die Haltung des Senats entscheidet sich immer dienstags“, sagte Senatssprecher Richard Meng auf Anfrage. Die Arbeitnehmer in der SPD forderten vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (ebenfalls SPD) „ein deutliches Bekenntnis“ zum Mindestlohn und verwiesen dabei auf „mehr als 100 000 Menschen, die in Berlin unter Dumpinglöhnen leiden“.

Deutschlandweit würde knapp ein Fünftel aller Arbeitnehmer oder 6,1 Millionen von der Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro profitieren. Von den unter 25-Jährigen bekäme sogar fast jeder zweite mehr Geld, hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ermittelt. An dieser Stelle setzt die Kritik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) an. Wenn es für alle Arbeitnehmer einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn gebe, hätte das „gravierende Folgen für die Problemgruppen am Arbeitsmarkt“, also Langzeitarbeitslose, junge Leute ohne Schulabschluss oder ohne Berufsausbildung, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner dem Tagesspiegel. „Diese Gruppen kommen nicht über die Hürde eines gesetzlichen Mindestlohns.“ Die CDU, für die Göhner viele Jahre im Bundestag saß, müsse sich deshalb vor der Einführung eines solchen Mindestlohnes überlegen, „was man mit diesen Menschen macht“. In vielen Ländern mit Mindestlohn gebe es „eine drastisch höhere Jugendarbeitslosigkeit als in Deutschland“. Das Wirtschaftsinstitut der gewerkschaftseigenen Böckler-Stiftung führt dagegen die Generaldirektion Beschäftigung und Soziales der EU-Kommission ins Feld, die Mindestlöhne als Instrument gegen gesellschaftliche Polarisierungstendenzen befürworte.

Diese Einschätzung teilen im Wahljahr zunehmend Politiker von CDU/CSU. Dabei sei „die Position der Union nicht ganz klar“, meint BDA-Chef Göhner. „Soll es eine Lohnuntergrenze geben für Bereiche ohne Tarifvertrag oder soll es einen Mindestlohn geben für alle Arbeitnehmer, die nicht nach Tarif bezahlt werden?“ Im ersten Fall blieben Göhner zufolge einige Dienstleistungsbereiche übrig, für die dann das Mindestarbeitsbedingungengesetz völlig ausreiche. Dieses Gesetz war 2009 von der großen Koalition eingeführt worden, um „soziale Verwerfungen“ auf den Arbeitsmarkt zu verhindern. Dazu müssen entsprechende Anträge bei einem sogenannten Hauptausschuss eingereicht werden, der vom früheren Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) geleitet wird. Bislang ging nur ein Antrag ein, und zwar wollten die Gewerkschaften vor rund zwei Jahren höhere Löhne in Callcentern, was der Ausschuss damals ablehnte.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hält von dem Gesetz ebenso wenig wie die Gewerkschaften, beide wollen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Beschlusslage der Union ist bislang, nur für Branchen ohne einen allgemeingültigen Tarifvertrag einen Mindestlohn einzuführen. Wesentlich größer wäre indes der Kreis der Betroffenen, wenn alle Arbeitnehmer ohne Tarif einen Mindestlohn bekämen.

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