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Die letzte Sitzung des Bündnis für Arbeit fand im März 2003 im Kanzleramt statt. Auf der linken Seite Bundeskanzler Gerhard Schröder und Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier. Auf der rechten Seite die Gewerkschafter und Arbeitgeber.

© dpa

Konzertierte Aktion im Kanzleramt: Die Krise managen

Am 4. Juli versammelt Bundeskanzler Scholz Arbeitgeber und Gewerkschaften zur Konzertierten Aktion gegen die Folgen der Inflation.

Berlin - Der große Tisch im Kanzleramt ist besetzt am 4. Juli, wenn Olaf Scholz ein Format aus der alten Bundesrepublik wiederbelebt. Jeweils acht Vertreter von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden sowie der Präsident der Bundesbank und ein Wirtschaftsweiser kommen auf Einladung des Bundeskanzlers zur Konzertierten Aktion zusammen. Die Minister für Finanzen, Wirtschaft und Arbeit/Soziales sind auch dabei.

So ungewöhnlich wie Scholz meinte, als er seine Idee Anfang Juni im Bundestag vorstellte, ist die gar nicht. Im Februar 1967 hatte Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) die erste Konzertierte Aktion als ein neues Instrument zur Krisenbewältigung initiiert. Die westdeutsche Wirtschaft schwächelte nach den Wirtschaftswunderjahren und das politische System veränderte sich nach dem Scheitern der Regierung Erhard. Erstmals saß die SPD mit am Kabinettstisch, und mit Schiller kam eine keynesianisch orientierte Wirtschaftspolitik in Mode: Der Staat wollte Einfluss nehmen auf die Konjunktur, und die große Koalition verabschiedete dafür das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“.

„Das unmittelbare Ziel der Konzertierten Aktion lag zunächst in der Bekämpfung von Inflationstendenzen sowie dem schnellen Abbau der anschwellenden Arbeitslosigkeit“, schreibt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Schröder über 1967. Und heute? „Es macht Sinn, in der Krise eine vernünftige Abstimmung zu versuchen. Denn keiner der Akteure kann alleine zur Bewältigung der multiplen Krise beitragen“, sagte Schröder dem Tagesspiegel. „Niemand hat derzeit eine Antwort auf die Verteilungsfragen, die mit den hohen Preissteigerungen aufgeworfen werden.“

Der Bundeskanzler selbst erläuterte die Einladung zum 4. Juli mit eine klaren Zielstellung. „Gemeinsam mit den Sozialpartnern wollen wir diskutieren, wie wir mit der aktuellen Preisentwicklung umgehen.“ Man habe eine „Kraftanstrengung in einer außergewöhnlichen Situation“ vor sich, doch selbstverständlich wolle sich die Politik aus Lohnverhandlungen raushalten. Trotz dieser Aussage betonen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften reflexhaft die Tarifautonomie. „Tarifverhandlungen werden nicht im Kanzleramt geführt“, meinte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ihren Parteifreund Olaf Scholz erinnern zu müssen. „Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben in den bisherigen Krisen immer konstruktiv an Lösungen mitgearbeitet“, kommentierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger die Wiederbelebung der Konzertierten Aktion. „Wir werden es auch dieses Mal tun.“ Aber wie?

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So schnell wie möglich wollte Scholz die Sozialpartner einladen, doch der IG- Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann bat um eine Verschiebung bis Anfang Juli, weil die größte deutsche Gewerkschaft ihre Tarifforderung für knapp vier Millionen Metallbeschäftigte erst Ende Juni endgültig beschließt. Bereits an diesem Montag gibt es eine erste Empfehlung des Vorstands der IG Metall, die um die 7,6 Prozent liegen dürfte. Wer mit 7,6 Prozent ins Rennen geht, kommt mit fünf Prozent ins Ziel. Selbst die durchsetzungsstärkste Gewerkschaft kann die Kaufkraft ihrer Mitglieder nicht stabilisieren; eine Inflationsrate von sieben Prozent überfordert die Tarifpolitik. Also kommt der Staat ins Spiel. Und die Konzertierte Aktion.

„Lohndisziplinierung hat weder in der ersten Konzertierten Aktion noch später im Bündnis für Arbeit funktioniert“, sagt der Sozialwissenschaftler Schröder. In den neun Tarifrunden zwischen 1967 und 1976 hätten die jährlichen Tarifsteigerungen in der Leitbranche, der Metall- und Elektroindustrie, vier Jahre unterhalb der Orientierungsdaten der Konzertierten Aktion gelegen. Die Konzertierte Aktion bedeutete „also keine grundsätzliche Präjudizierung der Tarifpolitik“, konstatiert Schröder. Dennoch geht es auch 2022 wieder um Einkommen, Inflation und Arbeitskosten.

Bundeskanzler Scholz hat die chemische Industrie als ein Vorbild ausgemacht: Anfang April hatten sich die Tarifparteien auf eine „Brückenzahlung“ von 1400 Euro für die 580 000 Chemiearbeiter verständigt als vorläufigen Ersatz für eine dauerhafte, prozentuale Lohnerhöhung. Mit der einmaligen Sonderzahlung würden hohen Preise „schnell und substanziell ausgeglichen“, lobte Scholz. Im Oktober, parallel zu den Metallern, setzen die Chemie-Tarifpartner die Verhandlungen fort. Bis dahin sollte eine Verabredung der Konzertierten Aktion vorliegen, für die Scholz bis in den Spätsommer drei Treffen plant.

Der Kanzler stellt sich die Wiedereinführung der Coronaprämie vor mit folgendem Effekt: Die Tarifparteien verständigen sich auf Sonderzahlungen, die von Steuern und Abgaben befreit werden, und halten sich mit prozentualen Erhöhungen zurück. Prototypisch dafür ist der Verdi-Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst aus dem letzten November: 1,1 Millionen Tarif-Beschäftigten der Bundesländer bekommen Anfang 2022 1300 Euro als Einmalzahlung und erst Ende 2022 2,8 Prozent mehr Geld.

Für die Arbeitnehmer ist das problematisch, weil eine Einmalzahlung schnell verfrühstückt ist, die Preise aber hoch bleiben. Deshalb bestehen die Gewerkschaften nach den mageren Pandemiejahren in diesem Jahr auf Lohnprozenten, wie soeben in der Stahlindustrie mit 6,5 Prozent. Der höchste Tarifabschluss seit 30 Jahren bleibt aber immer noch unter der Inflationsrate. Deshalb werden die Sozialpartner am 4. Juli Steuergeld für ihre Klientel fordern: Erleichterte Kurzarbeitsregelung und Finanzhilfen des Staates als Ausgleich vor allem für die Energiekosten, allein in allem ein 3. Entlastungspaket, das bis ins nächste Jahr hinein wirkt. Die Bundesregierung übernimmt einen Teil des Kaufkraftausgleichs – um die Tarifpolitik zu entlasten, die Konjunktur zu stärken und armen Haushalten zu helfen.

Korporatistische Systeme, in denen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zum Wohl des Ganzen kooperieren, haben die Ölpreisschocks in den 1070er Jahren besser verkraftet als andere Volkswirtschaften und ebenso die Finanzkrise 2008/09. Im Industrieland Deutschland könnte eine erfolgreiche Konzertierte Aktion über die akute Krisenpolitik hinaus eine Verbindung schaffen zur mittelfristigen Modernisierungsstrategie, für die Scholz die „Allianz zur Transformation“ mit ähnlichen Teilnehmern wie bei der Konzertierten Aktion gebildet hat. Es ist das Bemühen um einen einvernehmlichen Kurs. „Am Anfang stand viel Euphorie, dann folgte die Ernüchterung und die Überlastung des Formats mit zusätzlichen Themen, und am Ende stand ein Katzenjammer – 1977 wie auch 2003“, resümiert der Politikwissenschaftler Schröder die Verläufe der ersten Konzerten Aktion sowie des Bündnis für Arbeit, dessen Scheitern eine Voraussetzung war für die Agenda 2010 der Schröder-Regierung. Olaf Scholz weiß das.

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