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Ein Güterzug passiert einen Bahnübergang, das Signal für den Autoverkehr steht auf Rot.

© dpa

Krach um den Lärm der Eisenbahn: Verkehr, bis der Fußboden wackelt

Regierung und Bahn wollen die Schiene leiser machen - doch die Wirkung wird noch Jahre auf sich warten lassen. Anwohner verlangen ein radikaleres Vorgehen

Sie kommen vor allem, wenn es dunkel ist. Dreimal, viermal jede Nacht, Dietrich Peters hat aufgehört zu zählen. Er weiß nur: Wenn sie kommen, wird es laut. „Dann kann man im Bett eine Stehparty feiern“, sagt der 60-Jährige. Der Krach sei aber nicht einmal das Schlimmste, der vibrierende Fußboden raube ihm die Nerven. „Kein Mensch kann dabei gesund bleiben.“ Peters hat Diabetes und sein Blutdruck ist zu hoch. „Dass das mit der Bahnstrecke zu tun hat, bescheinigt mir natürlich kein Arzt.“ Aber er glaubt fest daran: Die Güterzüge, die 30 Meter neben seinem Schlafzimmer in Panketal über die Gleise der Stettiner Bahn poltern, haben seine Gesundheit ruiniert. Leere Kesselwagen sind es, auf dem Weg zur Raffinerie in Schwedt, wo sie Flugbenzin fassen. Der Lärm, den sie machen, kann es mit einem Presslufthammer oder einer Kreissäge aufnehmen.

Auf Leute wie Peter Ramsauer (CSU) ist Peters nicht besonders gut zu sprechen. „Das ist unmenschlich, was hier mit uns geschieht.“ Ramsauers Ministerium verhindere einen besseren Lärmschutz, es sei „von Lobbyisten durchsetzt“. Trotzdem will der Bundesverkehrsminister an diesem Montag etwas für Dietrich Peters tun: Er will sich persönlich einen der lärmenden Güterwagen vorknöpfen. In der Bahn-Werkstatt Grunewald, zusammen mit Konzernchef Rüdiger Grube. Natürlich nur für die Kameras. Es geht um die sogenannte LL-Sohle, eine neue, preiswerte und vor allem leisere Bremstechnik. „Wir packen den Lärm an der Wurzel und bekämpfen ihn dort, wo er entsteht: an den Waggons. Es gibt nun keine Entschuldigung mehr für Wagenhalter, ihre Flotte nicht zügig auf diese Flüstertechnik umzurüsten", sagte Ramsauer dem Tagesspiegel. „Es wird endlich erträglicher werden für die Menschen entlang der viel befahrenen Bahnstrecken.“

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Schienenlärm ist ein wachsendes Problem. „Lärm ist die am stärksten unterschätzte Umweltbelastung“, sagt Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts. Gut ein Zehntel aller Zugtrassen führt durch dicht bewohntes Gebiet. Neben der Stettiner Bahn ist in der Hauptstadtregion die Gegend um den Rangierbahnhof Seddin besonders betroffen. Den meisten Krach müssen aber die Menschen im Mittelrheintal ertragen: Alle drei, vier Minuten donnern Züge mitten durch ihre Orte an der Transversale Rotterdam-Genua. „Das bringt uns um“, sagt Frank Groß, der in Boppard eine Bürgerinitiative gegen den Krach gegründet hat. „Der Lärm bei uns ist dreimal so schlimm wie an den Flughäfen, weil die Leute nur ein paar Meter daneben stehen.“

Bahn und Politik sind sich des Problems bewusst. Bis 2020 soll der Lärm für die Anwohner im Vergleich zum Jahr 2000 um die Hälfte sinken, durch Lärmschutzwände und Schallschutzfenster. Das Privileg der Bahn, lauter sein zu dürfen als etwa eine Straße, entfällt künftig. Doch am meisten versprechen sich die Eisenbahner von der LL-Sohle. Bislang sind Bremsen mit einem Grauguss-Belag Stand der Technik, sie stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Sie rauen mit der Zeit aber die Räder auf, mit der Folge, dass Brems- und Fahrgeräusche von bis zu 90 Dezibel entstehen. Die meisten der 180 000 Güterwagen hierzulande sind noch mit dieser Technik unterwegs.

Die neue LL-Sohle aus Verbundstoffen greift die Räder nicht an, deshalb ist sie leiser. Um die Umrüstung zu fördern, gilt bei der Bahn seit Juni eine lärmabhängige Schienenmaut: Laute Züge kosten mehr Maut. Ein Zug von Mannheim nach Hamburg-Maschen etwa schlägt mit 1481 Euro zu Buche. Sind 80 Prozent der Waggons umgerüstet, gibt es einen Rabatt von 15 Euro.

Zwar bekommen Besitzer der Wagen Zuschüsse für den Umbau – doch er wird dauern. Nur ein Drittel der 180 000 Waggons gehört der Bahn-Tochter Schenker Rail. Zwar will Schenker bis 2020 in alle Wagen die neuen Bremsen eingebaut haben – doch der Spareffekt wirkt nur, wenn mindestens vier von fünf Waggons in einem Zugverbund umgerüstet sind. „Das neue lärmabhängige Trassenpreissystem bietet nicht genügend Anreize", findet Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender im Bundestags-Verkehrsausschuss. „Es ist für die Besitzer immer noch günstiger, mit einem lauten Wagen zu fahren und einen etwas höheren Trassenpreis zu zahlen, als umzurüsten.“ Tatsächlich gibt es in der Branche keine Euphorie. Man halte sich noch zurück mit der Umrüstung, heißt es etwa beim größten Wagen-Vermieter TG.

Auch Frank Groß aus Boppard am Rhein geht der Prozess zu langsam. „Wenn sich die Umrüstung so lange hinzieht, sind die ersten Wagen schon wieder kaputt, wenn die letzten fertig sind“, bemängelt er. „Es geht wieder mal nur ums Geld.“ Er und seine Bürgerinitiative verlangen ein Nachtfahrverbote und ein Tempolimit für die Güterzüge - das würde deutlich schneller wirken, findet er.

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